Seid Roboter und vermehret euch
© Getty
Januar 2022

Seid Roboter und vermehret euch

Von Volker Paulun
Sich selbst reproduzierende Roboter: Das hört sich nach Science-Fiction an. Ist aber Realität. Allerdings sind die automatischen Maschinen winzig klein.

Was passiert, wenn sich Biologen und Computerexperten zusammenspannen? Sie machen aus Froschzellen wuselige Mikromaschinen. Das unheimlich anmutende Ergebnis: sogenannte Xenobots. Solche Hybridwinzlinge haben Wissenschaftler der US-Universitäten Tufts und Vermont (UVM) bereits im vergangenen Jahr präsentiert. Die Xenobots können Partikel einsammeln und transportieren und zeigten in Gegenwart eines Schwarms anderer Xenobots sogar ein kollektives Verhalten.

Jetzt wird es noch unheimlicher. Dasselbe Team hat nun Lebensformen geschaffen, die sich selbst aus einzelnen Zellen zusammensetzen. Der Xenobot 3.0 erschafft sich also selbst. Unheimlich hoch zwei. Die neue Generation von Xenobots „lebt“ auch länger und bewegt sich darüber hinaus schneller als die Vorgänger – und das in verschiedenen Umgebungen. Da „Xeno3" auch eine Art Gedächtnis hat, kann er sogar lernen – wie ein Roboter. Geblieben sind die Fähigkeiten, in Gruppen zusammenzuarbeiten und sich selbst zu heilen, wenn sie beschädigt werden.

Steigen wir ein in die „Schöpfungsgeschichte“ der Xenobots, die an eine mikrobiologische Version des Gruselklassikers „Frankenstein“ erinnert. Bei der Version 1.0 der millimetergroßen Bio-Maschinchen konstruierten die Wissenschaftler aus Froschhaut- und Herzgewebezellen einen Bewegungsapparat. Bei der nächsten Generation entnahmen die Biologen an der Tufts University Stammzellen aus Embryonen des afrikanischen Frosches Xenopus laevis (daher der Name „Xenobots“) und ließen sie sich selbst zusammensetzen und zu kugelförmigen Mikrolebensformen („Sphäroiden“) heranwachsen. Einige der Zellen differenzierten sich nach einigen Tagen und entwickelten Flimmerhärchen – winzige haarähnliche Fortsätze, die sich hin und her bewegen. Sie machen den Sphäroiden sprichwörtlich „Beine“.

Die dritte Generation ist nun in der Lage, Stammzellen einzusammeln und daraus Replikanten seiner selbst zu formen.

Seid Roboter und vermehret euch
So roboterhaft wie auf dem Aufmacher sehen Xenobots nicht aus. Dieser Blick ins Mikroskop zeigt einen Xenobot (rot) und seinen wachsenden Replikanten (grün) © Douglas Blackiston, Sam Kriegman
Turbo-Evolution

Aber warum sind Xenobots Maschinen? Der leitende Wissenschaftler Douglas Blackiston gibt Antworten: „In gewisser Weise sind die Xenobots ähnlich aufgebaut wie ein herkömmlicher Roboter. Nur verwenden wir Zellen und Gewebe anstelle von künstlichen Komponenten, um Formen zu bilden und ein vorhersehbares Verhalten zu erzeugen.“

Michael Levin, Biologie-Professor an der Tufts University und Mitautor der Studie, ergänzt: „In einem Froschembryo arbeiten die Zellen zusammen, um eine Kaulquappe zu erzeugen. Hier, losgelöst von diesem Kontext, sehen wir, dass Zellen ihre genetisch kodierte Hardware, wie z. B. Flimmerhärchen, für neue Funktionen wie die Fortbewegung umfunktionieren können. Es ist erstaunlich, dass Zellen spontan neue Aufgaben übernehmen und neue Körperpläne und Verhaltensweisen entwickeln können, ohne dass es dafür eine lange evolutionäre Selektion gegeben hat.“

Und woher wissen die Xenobots, was sie zu tun haben? Dabei hilft ein Supercomputer an der UVM. „Wir können Aufgaben für die Xenobots festlegen, aber es ist für den Menschen überhaupt nicht zu erschließen, wie der dafür geeignete Typus aussehen sollte. Hier kommt der Supercomputer ins Spiel. Der Rechner durchsucht alle möglichen Xenobot-Schwärme, um den Schwarm zu finden, der die Aufgabe am besten erfüllt“, sagt UVM-Robotikexperte Josh Bongard. Durch diese Typen-Rasterung mithilfe eines evolutionären Algorithmus, der Hunderttausende verschiedener Umweltbedingungen simuliert, sollen die Bots für komplexere Verhaltensweisen optimiert werden – man kann auch sagen: in einer Art Highspeed-Evolution biologisch programmiert werden. Bongard weiter: „Wir wollen, dass die Xenobots nützliche Arbeit leisten. Im Moment geben wir ihnen noch einfache Aufgaben, aber letztlich streben wir eine neue Art von lebendem Werkzeug an, das zum Beispiel Mikroplastik im Meer oder Schadstoffe im Boden beseitigen könnte.“

Erste Experimente in diese Richtung verliefen vielversprechend: Spezialisierte Xenobots arbeiten in einem Schwarm zusammen, um eine Petrischale zu durchsuchen und größere Haufen von Eisenoxidpartikeln einzusammeln. Sie können auch große ebene Flächen abdecken oder sich durch enge Kapillarrohre bewegen.

So geht’s weiter

Aber die Wissenschaftler wollen noch mehr. Bongard: „Wenn wir die Bots mit mehr Fähigkeiten ausstatten, können wir sie mithilfe von Computersimulationen so gestalten, dass sie komplexere Verhaltensweisen zeigen und aufwendigere Aufgaben ausführen können. Wir könnten sie so gestalten, dass sie nicht nur die Bedingungen in ihrer Umgebung melden, sondern auch die Bedingungen in ihrer Umgebung verändern und reparieren.“

Schritt eins: Die Tufts-Wissenschaftler haben den Xenobot 2.0 durch das injizieren einer Boten-RNA mit einer Lese-/Schreibfunktion ausgestattet, um ein Bit an Informationen aufzuzeichnen. Kommt ein so präparierter Xenobot mit einem bestimmten Licht in Berührung, verfärbt er sich dauerhaft. So kann schon jetzt eine „Reiseerfahrung“ aufgezeichnet werden. Schritt zwei: Ein erweitertes molekulares Gedächtnis könnte z.B. das Vorhandensein von radioaktiver Kontamination, chemischen Schadstoffen, Medikamenten oder Krankheiten erkennen und aufzeichnen. Schritt drei: Weitere Entwicklungen sollen die Bots in die Lage versetzen, bei Wahrnehmung von Reizen transportierte Substanzen freizusetzen oder andere Funktionen zu starten.