Von Anfang an nachhaltig gedacht

Von Björn Carstens
Materialeinsatz, Energieverbrauch und ökologischer Fußabdruck müssen in der Produktentwicklung von Anfang an mitgeplant werden. Nur so entstehen Innovationen, die Technologie und den Umweltgedanken miteinander vereinen.

Die globale Industrie ist auf den Einsatz großer Mengen Rohstoffe und Energie angewiesen, gleichzeitig muss sie Abfälle vermeiden, Wasser sparen, CO₂e*-Emissionen reduzieren und vieles mehr, wenn die Pariser Klimaziele erreicht werden sollen. Was also tun? Antwort: Eine Möglichkeit ist es, mehr im Kreis zu denken. Produkte müssen von Anfang an so gestaltet werden, dass sie Ressourcen schonen, sich leichter reparieren lassen und Materialien zurück in den Kreislauf bringen.

*CO₂e = Kohlenstoffdioxid-Äquivalent.

CO₂e (Kohlenstoffdioxid-Äquivalent) bezeichnet eine Maßeinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung verschiedener Treibhausgase. Dabei wird das Treibhauspotenzial eines Gases auf das von CO₂ bezogen. So lassen sich Methan, Lachgas & Co. vergleichbar machen. CO₂e ist zentral für Klimabilanzen, CO₂-Fußabdruck und Emissionsziele.

Untermauert wird die These unter anderem vom Global Circularity Gap Report, der aufzeigt: Würden die Lieferketten der Weltwirtschaft konsequent zirkulär gestaltet, könnte dies mehr als 40 Prozent der globalen CO₂e-Emissionen einsparen. Das erfordert allerdings ein Umdenken bei Materialien, Lieferketten und Technologien über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes — von der ersten Konstruktionsskizze bis zum Materialrecycling.

„Nachhaltigkeit muss gelebte Praxis sein“, bestätigt Kathrin Ebner, die bei der Motion Technology Company Schaeffler ein Projekt im Bereich Produktnachhaltigkeit leitet. „Entwicklerinnen und Entwickler müssen sich schon bei der Konzeptidee fragen: Wie kann ich Energie und Ressourcen sparen? Wie lässt sich dieses Produkt am Ende nochmals wiederverwenden und das Material wiederverwerten?“ Think sustainable from scratch eben.

Von Anfang an nachhaltig gedacht
Projektleiterin Kathrin Ebner
© Schaeffler

„Ziel ist es, nicht nur einzelne Projekte nachhaltiger zu gestalten, sondern die Denkweise in der gesamten Organisation zu verankern.“

Entwicklungsteams brauchen viele, sehr viele Daten

Wissen ist Macht, das gilt auch in der Produktentwicklung. Konstruiere ich ein Gehäuse aus Kunststoff oder Alu? Was ist sinnvoller? Was hält Umweltverträglichkeit und Kosten in der Waage? Bei Schaeffler werden Produktentwickler bei solchen Fragen seit Langem mit umfangreichem Materialwissen und grundlegenden Schulungen zu beispielsweise Ecodesign unterstützt. Dafür zuständig ist der Bereich „Sustainable Products & Advanced Material“, die Abteilung ist zentrale Schnittstelle und Treiber strategischer Innovationsprojekte, sie analysiert die Vorgaben der EU und füllt darüber hinaus die Nachhaltigkeitsstrategie mit Leben.

100 Prozent

beträgt die Recyclingquote für Produktionsabfälle an acht Schaeffler-Standorten weltweit.

© iStock

„Unser Job ist es, Informationen leichter verfügbar zu machen. In unserer Material Supplier Database sind materialbezogene Daten vieler unserer Lieferanten hinterlegt, inklusive der dazugehörigen CO2e-Fußabdrücke und zukünftig auch des Anteils an Recyclingmaterial“, erläutert Kathrin Ebner. „Seit 2021 kann sich jeder Entwickler weltweit für diese Datenbank anmelden. Wir füttern diese und unterstützen zudem mit Berechnungen und Hotspot-Analysen.“

Damit jedes Entwicklerteam bei Schaeffler zukünftig die verfügbaren Möglichkeiten bei Konstruktion und Materialwahl vollumfänglich nutzen kann, arbeitet Schaeffler in interdisziplinären Teams an verschiedenen Methoden und Tools, die konzernweit eingesetzt werden können. Sabine Adrian, Environmental, Social, and Governance (ESG) Strategy Professional, verantwortet die Kreislaufwirtschaftsstrategie, sie beschreibt den strategischen Ansatz folgendermaßen: „Eines unserer Ziele ist es, Anforderungen, Maßnahmen und Kriterien zur Produktnachhaltigkeit von Anfang an im Entwicklungsprozess zu verankern. Wir wollen weg von Einzelfallentscheidungen, hin zu klaren Strukturen, damit Nachhaltigkeit bei jedem neuen Produkt selbstverständlich mitgedacht werden kann.“

Mit im Boot sitzt ein interdisziplinäres Team. Experten für Nachhaltigkeit, Governance sowie Prozessarchitektur, Kreislaufwirtschaft, Einkauf und Produktentwicklung arbeiten gemeinsam an Lösungen. Besonders wichtig ist für Kathrin Ebner, dass über diese Lösungen so früh wie möglich entschieden wird. „Früher ging es um Kosten und Performance, heute kommt Nachhaltigkeit als weiteres Kriterium dazu. Je früher ökologische Kriterien berücksichtigt werden, desto einfacher ist es, sie konsequent umzusetzen – und am Ende ressourcenschonendere, zukunftsfähige Produkte auf den Markt zu bringen. Nicht als Extra-Aufgabe, sondern als Teil der DNA.“

„Wir müssen den Blick weiten“, betont Kathrin Ebner. „zwar sprechen wir seit vielen Jahren über Design for Environment und zirkuläre Geschäftsmodelle, bei denen wir Werkstoffe wiederverwenden können. Aber künftig werden wir das noch sehr viel intensiver tun. Das bedeutet auch: Wir schaffen ein neues Bewusstsein für Nachhaltigkeit bei allen, die an der Produktentwicklung beteiligt sind.“

So verbessert Schaeffler die Ökobilanz
Von Anfang an nachhaltig gedacht
Die Käfige bestehen aus bio-basierten Kunststoffen
The Green Bearing Cage

Obwohl der Anteil des Käfigs am Gesamtgewicht eines Wälzlagers meistens weniger als zehn Prozent beträgt, kann er einen messbaren Beitrag zur Verringerung des CO₂e-Fußabdrucks leisten. Das hat ein Team bei Schaeffler um Projektleiter Alfred Hock bewiesen. Die Ingenieure verwendeten bei der Produktion der Käfige bio-basierte Kunststoffe (Polyamide) und verringerten so den CO₂e-Ausstoß um bis zu 90 Prozent – bei gleichzeitig guten mechanischen Eigenschaften des Lagers und sogar einer längeren Lebensdauer. Das errechnete Performance-Plus beträgt 120 Prozent. Und: Die zuverlässige Funktion des alternativen Materials bis 120 Grad wurde in Bauteilversuchen nachgewiesen. Erste Kunden aus dem Automotive-Bereich sind interessiert.

Elektroschrott vermeiden

Die Industrie möchte so viel Elektronikschrott wie möglich vermeiden. Schaeffler zeigt im EU-Projekt EECONE in einem Konsortium mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft, wie das funktionieren kann. Leistungselektronik wie Inverter, On-Board-Charger oder DC/DC-Wandler (Foto) sollen durch kluges Ökodesign leichter reparierbar und recycelbar werden. „Unser Ziel ist natürlich auch mit diesem Projekt, unseren CO₂e-Fußabdruck zu verringern“, sagt Schaeffler-Projektmanagerin Olivia Belorgeot.

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Leistungselektronik wie ein DC/DC-Wandler sollen leichter reparierbar und recycelbar werden© Schaeffler

Das Ziel ist ambitioniert: 25 Prozent weniger Elektroschrott im Vergleich zur aktuellen Generation. Tests am Inverter zeigen, dass eine manuelle Demontage in 15 Minuten möglich ist – mit einer Rückgewinnungsrate von 96 Prozent. Um weniger Zeit für die Demontage zu benötigen, soll das Verkleben von Bauteilen vermieden werden.

Auch bei komplexeren Hochvolt-Boxen wird daran gearbeitet, Module austauschbar zu machen, Verbindungen zu ­optimieren und Dichtmittel leichter zu lösen. Das alles soll in neue Ökodesign-Richtlinien einfließen – für mehr Kreislaufwirtschaft in Fahrzeugen.

Umweltauswirkungen berücksichtigen

Sogenannte Lebenszyklusanalysen (LCA) dienen bei Schaeffler als zentrales Instrument zur Erfassung der Nachhaltigkeitsbilanz von Produkten und berücksichtigen dabei mittels des CO₂e -Fußabdrucks insbesondere die CO2₂e -Bilanz. Sie werden erstellt, um die Umweltauswirkungen der Produkte durch Material und Produktion zu berechnen. Die LCAs beinhalten eine Analyse der Lieferkette sowie der Prozesse und ermöglichen damit die Identifikation geeigneter Reduktionsmaßnahmen für den CO₂e-Fußabdruck von Schaeffler-Produkten.