Mega – watt?
Das Leistungsspektrum von Elektromotoren richtet sich nach dem Einsatzgebiet und reicht von ein paar Milliwatt für kleinere Steuerungsmotoren bis zu einigen Hundert Kilowatt in E-Autos. Doch darüber? Lassen sich E-Antriebe so einfach skalieren? Das Stichwort heißt Megawatt-Antriebe. Und die sollen unter anderem Flugzeuge, Schiffe, Eisenbahnen und großen Baumaschinen klimafreundlicher und effizienter machen.
Mega – watt? Unter dem Begriff Megawatt-Antrieb verstehen Experten ein Antriebssystem, das elektrische Energie im Bereich von einem Megawatt und darüber in einen Antrieb umwandeln kann. Ein Megawatt (MW) ist eine Maßeinheit, die einer Million Watt oder tausend Kilowatt entspricht. Antriebsleistungen, wie sie auch in industriellen Anwendungen wie etwa in Fördersystemen, Mühlen und Baumaschinen wie Tunnelbohrern benötigt werden.
„Die größten Megawatt-Maschinen werden heute oft gar nicht als Motor eingesetzt, sondern als Generator. Dort wird also nicht wie beim E-Motor elektrische in mechanische Energie umgewandelt, sondern umgekehrt. So wird beim Windrad beispielsweise die Drehbewegung des Rotors in Strom umgewandelt“, erklärt Johannes Klötzl, Managing Director der auf E-Antriebe spezialisierten Schaeffler-Tochter Compact Dynamics.
20 MW
Leistung liefern die aktuell stärksten Windkraftanlagen. Noch opulenter fallen Kraftwerkgeneratoren aus. Sie erreichen Durchmesser von über zehn Metern und vierstellige Megawatt-Leistungszahlen.
Aber auch E-Motoren im Megawatt-Leistungsbereich sind bereits vielerorts im Einsatz. Sie punkten mit einem hohen Wirkungsgrad, sattem Drehmoment und verhältnismäßig simpler Technik. Am häufigsten finden sie im Bahn-Sektor Verwendung – und das seit Jahrzehnten. Die 1965 in Vor- und zwischen 1970 und 1974 in Hauptserie gefertigte E-Lok BR 103 gilt bis heute als weltweit stärkste einteilige Lokomotive und als leistungsstärkstes Fahrzeug, das je im deutschen Linienbetrieb im Einsatz war. Die sechs Megawatt-Motoren liefern eine Gesamtleistung von 7.440 kW. Noch deutlich höhere Leistungszahlen sind in der Schifffahrt zu finden.
4
mannshohe E-Motoren treiben das Kreuzfahrtschiff Queen Mary 2 an, die jeweils in 260 Tonnen schwere Propellergondeln unter dem Schiff montiert sind. Leistung: je 21,5 Megawatt. Zum Vergleich: Würde man diese Motoren unter Volllast als Generatoren laufen lassen, könnte man mit der Energie 200.000 bis 300.000 Einwohner einer Stadt mit Strom versorgen.
Gleich, nur anders
Auch wenn sich kleine und große E-Maschinen, egal ob Motor oder Generator, vom grundsätzlichen, seit fast 200 Jahren etablierten Bauprinzip mit Stator und Rotor und der auf Anziehungs- und Abstoßungskräften resultierenden Drehbewegung gleichen, so ergeben sich bauart- und nutzungsbedingte Unterschiede.
Ein entscheidender Unterschied liegt in der kalkulierten Lebensdauer. „Im Automobilbereich rechnet man bei 300.000 Kilometern Laufleistung mit rund 8.000 Betriebsstunden. Bei einer optimal positionierten Windkraftanlage kann dies schon nach einem Jahr erreicht sein“, rechnet Klötzl vor. „Für den Betrieb in diesen Anwendungen müssen für einen rentablen Einsatz signifikant höhere Laufzeiten erreicht werden."
Sonderfall Luftfahrt
Im Gegensatz zu Schiffen, Lokomotiven oder stationären Anlagen wie einem Windrad sind die Belastungszyklen bei einem Flugzeug wieder ganz andere. „Man hat massive Startbelastungen und beim Landen den Umkehrschub. Außerdem ändern sich bei einem Flugzeug mehrmals am Tag die Umgebungstemperaturen deutlich. Bei Flughöhen ab 10.000 Metern herrschen am Rande der Stratosphäre minus 55 Grad Celsius. All das sollen diese Megawattantriebe aushalten – über Jahre“, zeigt Klötzl auf.
2035
möchte Flugzeugbauer Airbus im Rahmen seines ZEROe-Projekts Wasserstoff-elektrische Großflugzeuge einsetzen. Das Antriebssystem namens „Iron Pod“ vereint ein 1,2 Megawatt starkes Wasserstoff-Brennstoffzellensystem, zwei Elektromotoren sowie die Komponenten zur Steuerung und Kühlung.
Kleinere E-Propellermaschinen für die Kurzstrecke mit bis zu 10 Personen sind bereits auf dem Markt oder auf gutem Weg dorthin. „Hier reichen parallellaufende E-Motoren im Leistungsspektrum eines Pkw-Motors aus“, sagt Klötzl. Bei Compact Dynamics rücken aber auch Megawatt-Antriebe für die Mittelstrecke in den Fokus.
Johannes Klötzl und seine 90 Kollegen bei dem Schaeffler-E-Motor-Spezialisten Compact Dynamics wissen: Je größer die Maschinen und die Motoren, desto größer die Herausforderungen. „Gewicht und Bauraum sind in der Luftfahrt ein viel größeres Thema als beispielsweise bei Schiffen oder auch Windrädern. Je weniger die Technik davon für sich in Anspruch nimmt, desto mehr Passagiere oder Nutzlast kann ein Flugzeug befördern, desto weiter kann es fliegen. In einer auf maximale Effizienz getrimmten Branche sind dies entscheidende Faktoren“, weiß Klötzl aus vielen Gesprächen mit Flugzeugbauern. Und weiter: „Der Trick ist, bei Megawattantrieben für die Luftfahrt trotz der hohen Leistung nicht das Gewicht und die Baugröße explodieren zu lassen.“
Ein Schlüssel zum Erfolg: Drehzahl. „Denn Leistung ist Drehzahl mal Drehmoment. Drehmoment kostet aber Gewicht und Bauraum“, sagt der studierte Ingenieur Kötzl. Ein Megawatt-Antrieb im Luftverkehr muss Drehzahlen im fünfstelligen Bereich abrufen, um diese Leistung bei kompakten Maßen und Gewicht liefern zu können. Doch so einfach ist das mit der Erhöhung der Drehzahl nicht. Irgendwann setzt die Fliehkraft den verwendeten Materialien ein Limit. „Die Teile müssten immer leichter und kleiner werden, damit sie Ihnen nicht um die Ohren fliegen. Dann wird es aber mit der Lagerung von Antriebswellen und Ähnlichem schwierig.“ Übersetzungsgetriebe können helfen, aber zulasten von Bauraum und Gewicht.
„Leistung ist Drehzahl mal Drehmoment. Drehmoment kostet aber Gewicht und Bauraum.“
Mehr Leistung bedeutet außerdem mehr Stromfluss und damit auch mehr Wärme. Womit wir bei einem weiteren Eckpunkt im Entwicklungslastenheft sind: dem Thermomanagement. Zusätzliche Komponenten zur Kühlung beanspruchen Bauraum und bringen Gewicht mit. Immerhin: Ob der Strom aus einer Batterie oder einer Brennstoffzelle fließt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Grenzen des Wachstums
Angesichts des komplexen Gleichklangs zwischen Leistung auf der einen Seite und Faktoren wie Gewicht, Größe und Standfestigkeit auf der anderen Seite sagt Klötzl gerade in Bezug auf elektrische Flugmotoren im mehrstelligen Megawatt-Bereich: „Wir erzielen auch bei Compact Dynamics durch neue Herstellungstechniken, verbesserte Materialien, effizienteres Thermomanagement und bessere Steuerungselektronik eine immer höhere Leistungsdichte bei unseren E-Motoren, aber endlos lässt sich der Output mit dem heutigen Stand der Technik nicht nach oben skalieren. Dann macht es einfach mehr Sinn, statt immer größer zu werden, die benötigte Leistung mit mehreren kleinen Aggregaten bereitzustellen oder auf andere Technologien zu setzen, wie nachhaltige Kraftstoffe für Verbrennungsaggregate.“
Neben den technischen Herausforderungen kämen noch regulatorische und brancheneigene, wie Experte Klötzl zu bedenken gibt: „In der Luftfahrt müssen Sie jede Schraube, jeden Steckkontakt, jedes Bauteil zertifizieren. Die Zulassungsaufwände sind sehr groß. Das sorgt für eine gewisse Konservativität in der Technologieentwicklung.“
Hoffnungsträger Supraleiter
Gerade bei E-Motoren in der Luftfahrt könnte das Forschungsfeld der Supraleiter die Schere zwischen Leistung und Gewicht schließen. Auch Klötzl ist sich sicher: „Supraleiter können eine echte Sprungtechnologie sein, die den E-Motor sowohl leistungs- als auch effizienzseitig massiv nach vorne bringen kann“. Bei diesen Materialien geht der elektrische Widerstand gegen null. Bei gleichen Leitungsquerschnitten kann damit deutlich mehr Strom transportiert werden als bei heute üblichen Kupferdrähten. Megawattantriebe könnten damit leicht und kompakt bleiben.
Die große Hürde: Für eine großflächige Anwendung ist die Technik noch viel zu teuer und aufwendig. Aktuell funktionieren Supraleiter nur bei extrem niedrigen Temperaturen und/oder unter hohen Drücken im Gigapascal-Bereich, also mehr als eine Million Mal mehr als der normale Luftdruck.
Bei Windkraftgeneratoren testet die Branche gerade sogenannte Supraleitungen, die mit Helium auf minus 269 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Der Vorteil bei dieser Konfiguration: Die Energie für die Kühlung kann direkt vor Ort generiert werden. Auch im Bereich Schifffahrt gibt es erste und überaus beeindruckende Vorstöße: Die US-Firma Northrop Grumman hat im Jahr 2022 den weltweit ersten 36,5-Megawatt-Schiffsantriebsmotor mit Hochtemperatur-Supraleiter erfolgreich getestet. Wobei die Klassifizierung „Hochtemperatur“ verwirren kann, denn in diesem Forschungsfeld gelten bereits frostige minus 243 Grad Celsius als „Hochtemperatur“. Der Vorteil: Thermische Belastungen, denen gerade leistungsstarke herkömmliche E-Motoren im Normalbetrieb ausgesetzt sind, fallen durch die „Tiefkühlung“ weg. Und leistungsstark ist der Northtrup-Grumann-Gigant ohne Frage. Neben den bereits genannten 36,5 MW (49.000 PS) liegen bei 120 U/min auch 2,9 Millionen Nm Drehmoment an.
Ziel der Forschung ist es, supraleitende Materialien zu finden, die preislich und technisch für den Serieneinsatz funktionieren. Johannes Klötzl: „Das würde die E-Motoren-Entwicklung auf ein neues Level heben. Aber auch durch Fortschritte mit konventioneller Technik haben Megawatt-Antriebe das Potenzial, eine tragende Säule der industriellen und ökologischen Transformation zu werden.“
Die E-Spezialisten
Die Schaeffler-Tochter Compact Dynamics GmbH mit Sitz in Starnberg ist ein Entwicklungsspezialist auf dem Gebiet innovativer elektrischer Antriebskonzepte. Ob Einzelanfertigung, Kleinserie bis 1.000 Stück oder Großserie in Zusammenarbeit mit Schaeffler; ob Rennsportteam, Automobilhersteller oder Zulieferer; ob Visionäre für herausragende Konzepte oder Partner für Forschungs- und Vorentwicklungsprojekte: Seit mehr als 25 Jahren vertrauen Kunden aus aller Welt in den Bereichen Motorsport, Luftfahrt, E-Mobility, Marine und Industrie auf die Kompetenz von Compact Dynamics. Unter anderem haben die 90 Mitarbeitenden Antriebssysteme und Generatoren/MGUs für die Formel 1, die Formel E, die Rallye-WM und für Langstreckenrennen wie die 24h von Le Mans entwickelt.