Next Level City
Leben in der City: „Monokulturelle Aktivitäten sind der Feind einer jeden Stadt“
Was braucht der Mensch, um eine Stadt als lebenswert zu empfinden? Stadtplanerin Andrea Gebhardt, Präsidentin der deutschen Bundesarchitektenkammer, äußert Ideen: „Es muss diese Verbindung zwischen Einheitlichkeit und Unterschiedlichkeit geben. Ich denke, wenn es nur unterschiedlich ist, wird man verwirrt. Wenn es nur einheitlich ist, ist es monoton.“ Idealerweise sei eine Stadt kein Ort, an dem viele Menschen nebeneinanderher leben, es müssten neben monofunktionalen Flächen wie Spielplätzen immer öffentliche, vor allem auch grüne Begegnungsstätten geschaffen werden. Carlos Moreno, wissenschaftlicher Leiter an der Pariser Universität Sorbonne und einer der renommiertesten Smart-City-Vordenker weltweit, benennt den Feind einer jeden Stadt: „Das sind monokulturelle Aktivitäten oder monokulturelle Funktionen. Deshalb müssen wir uns auf multifunktionale Entwicklungen konzentrieren und ihnen Vorrang einräumen. Wenn man die Möglichkeit hat, ein neues oder bestehendes Stadtviertel mit einer Mehrzweckfunktion zu entwickeln, die wirtschaftliche Aktivitäten, kulturelle Aktivitäten, künstlerische Aktivitäten, Bildungseinrichtungen und auch medizinische Einrichtungen umfasst, also Funktionen, die eine bessere Nutzung der Infrastruktur ermöglichen, werden wir große Fortschritte machen. Wir können automatisch unseren CO2-Fußabdruck verkleinern, wir werden unsere Wirtschaftsleistung steigern, und alles in allem werden wir humanistischere und sozial integrativere Stadtviertel schaffen. Inklusivität ist so wichtig. Städte müssen mit örtlichen Vereinen, Verbänden und anderen Communitys zusammenarbeiten, um sozial und kulturell vielfältige Stadtteile zu schaffen.“ Moreno ist die treibende Kraft hinter dem inzwischen gut etablierten Konzept der 15-Minuten-Stadt, bei dem technologische Innovationen eine wichtige Rolle spielen. „Wir brauchen Technologien zur Verbesserung der Fahrradfreundlichkeit und zur Verbesserung der Sharing-Möglichkeiten. Darüber hinaus brauchen wir umfassende technologische Plattformen für die Verwaltung all dessen. Wir brauchen Plattformen für die Überwachung von allem, zum Beispiel könnten wir über Umweltverschmutzung sprechen, wir brauchen Möglichkeiten zur Überwachung von Feinstaub“, sagt Moreno. Aber wem gehört die Stadt denn eigentlich? Radfahrer, Fußgänger, Anwohner, Ladenbesitzer, jeder hat ein Interesse mitzureden bei der Stadtplanung, um nicht die Autofahrer zu vergessen. Andrea Gebhardt sagt dazu: „Natürlich gibt es das Interesse der Anwohner, ihr Auto vor der Tür zu parken. Natürlich gibt es das Interesse der Ladenbesitzer, dass der Kunde seine Einkäufe vor der Tür abholt. Aber jetzt geht es darum, kluge Konzepte zu entwickeln. Vielleicht ist es sinnvoll, flächendeckend Schließfächer einzurichten, um Einkäufe vorübergehend zu verwahren.“
700 km
neue Radwege wurden in den letzten Jahren in Paris und im Ballungsraum der französischen Metropole im Rahmen des Konzeptes 15-Minuten-Stadt geschaffen, außerdem knapp 200.000 neue Bäume gepflanzt und punktuell das öffentliche Verkehrsnetz ausgebaut sowie der Verkehr vom Seine-Ufer umgeleitet.
„Industriebrachen und leere Kaufhäuser in lebendige Quartiere transformieren“
Statt Schornsteine rauchen in der urbanen Produktion mittlerweile Köpfe. Die Folge sind Quartiere, ehemalige Industriezonen, die sich in eine Mischnutzung gewandelt haben. Viele kennen stillgelegte Gütertrassen wie die High Line im ehemaligen Meatpacking District von New York oder finden die Vermischung von Wohnen und Start-ups in Shoreditch im Osten Londons aufregend. „Städte an diesen Stellen neu zu beleben und Arbeit wieder mehr in die Citys reinzuziehen, ist eine sinnvolle städtebauliche Komponente, die in Zukunft weiter voranschreitet. Ich denke dabei vor allem an leerstehende Kaufhauskomplexe, die in lebendige Quartiere umgewandelt werden könnten“, sagt Prof. Dr. Bernhard Friedrich von der TU Braunschweig. Denn der Handel findet zusehends weniger auf großen Flächen wie Elektromärkten oder Kaufhäusern statt, weil es das Internet im Zweifel besser kann. Letztlich findet keiner Innenstädte gut, die nach Feierabend gespenstisch menschenleer werden. Ein Paradebeispiel für die gelungene Transformation einer Gewerbebrache zu einem quirligen Stadtviertel ist das Werksviertel in München (Foto).
Die ehemals größte Knödelküche Europas („Pfanni“) hat sich zuerst in die größte Clubmeile Europas und schließlich in ein preisgekröntes Viertel verwandelt. Mit allem, was dazu gehört: kleine Ateliers neben riesigen Büroflächen, Hoch- und Subkultur, Hightech und Low-Tech, Gastronomie und eine kleine Schafherde auf dem Dach (siehe Fakt unten) – sie alle können produktiv nebeneinander existieren. Das Geheimrezept des Werksviertels: Statt auf Abriss und kurzfristige Gewinne zu setzen, haben die Eigentümer auf Erhalt, Nachverdichtung und eine vielfältige Nutzungsmischung gesetzt. Sie haben die vorhandenen Bauten weitergedacht, eine Knödelfabrik in ein Büro-, Geschäfts- und Ateliergebäude oder einen Kartoffelmehlsilo in eine hybride Skulptur umgebaut, welche heute Hostel, Hotel und Kletterzentrum beherbergt. Digitalisierung und technologische Innovationen transformieren Arbeitsplätze und Arbeitsprozesse grundlegend. Dank Highspeed-Internet, leistungsfähigen Cloud-Diensten und Kommunikationstools können Mitarbeitende von nahezu überall aus arbeiten. Co-Working-Spaces bieten Freiberuflern, Start-ups und selbst großen Unternehmen flexible Büroflächen, oft mitten in urbanen Gebieten. Für Städte bedeutet das, dass traditionelle Büroflächen umgedacht werden müssen. Friedrich: „Unternehmen werden ihre festen Büroflächen reduzieren und stattdessen auf hybride Modelle setzen. So entstehen in den Innenstädten multifunktionale Räume, die Arbeiten, Netzwerken und Freizeitaktivitäten miteinander verbinden.“
2.500 Quadratmeter
groß ist die Stadtalm des WERK3 im Münchener Werksviertel. Hier grast eine kleine Herde Walliser Schwarznasenschafe. Außerdem gibt es Blumen und Wildkräuter, Hochbeete, Vogelnistkästen, aber auch einen Bienenstock und ein Insektenhotel. Um all das kümmert sich ein Schäfer. Sein Job befindet sich mitten in der Stadt. Auf dem Dach eines Hochhauses. Ein Vorzeigeprojekt urbaner Klimaanpassung.
„Nahverkehr ist das Rückgrat unserer Mobilität“
Autos drängen sich Stoßstange an Stoßstange, auf Rad- und Gehwegen herrscht wuseliges Gedränge. Es scheint so, als hätten viele Städte kein Platz mehr, um moderne Verkehrstechnologie in bestehende City-Infrastruktur zu integrieren. Wie die Eingliederung eines innovativen Massentransportmittels ins Stadtbild funktionieren kann, beweist ein Paradebeispiel aus der Historie. Die deutsche Großstadt München ging in den 1960er-/70er-Jahren nach dem Vorbild europäischer Metropolen wie London, Paris und Berlin „einfach“ in den Untergrund. „Für mich ist München immer noch die perfekte Integration einer zukunftsorientierten Verkehrsinfrastruktur“, sagt Prof. Dr. Bernhard Friedrich, renommierter Verkehrsplaner an der TU Braunschweig und Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Die Münchener U-Bahn sei nahtlos vernetzt mit S-Bahn, Bus und Straßenbahn, sodass Fahrgäste problemlos zwischen den Verkehrsmitteln wechseln können, ohne lange Wartezeiten oder komplizierte Übergänge. Bernhard Friedrich macht deutlich: „Der öffentliche Verkehr ist das Rückgrat unserer Mobilität. Und das bleibt er auch. Weil er funktioniert. Aber: In Zukunft muss sich öffentlicher Verkehr deutlich individualisieren.“ Stichwort On-Demand. Neben „Uber“, der international wohl bekanntesten Vermittlungsapp für individuelle Fahrten, haben zigtausend Kommunen und Unternehmen weltweit den Trend erkannt. So bietet „Via“ mit Hauptsitz in New York Software und Betrieb für einen flexiblen öffentlichen Nahverkehr an. In der US-amerikanischen Großstadt Sioux Falls optimiert „Via“ seit 2024 den gesamten öffentlichen Bus- und On-Demand Verkehr sowie den städtischen Sonderfahrdienst. So konnte ein vollständig integriertes Verkehrssystem geschaffen werden, das das jeweils passende Verkehrsangebot – Linie oder On-Demand – genau zu den Zeiten und in den Räumen verfügbar macht, wo es am sinnvollsten ist. Auch in der deutschen Großstadt Hannover ersetzt der „Via“-Dienst „sprinti“, Europas größtes, vollständig in den ÖPNV integriertes Angebot, ineffiziente Buslinien. Das Ergebnis: 100.000 Buchungen pro Monat, was eine Verdreifachung innerhalb von neun Monaten bedeutet. Noch wichtiger: 40 Prozent der Fahrgäste hätten ohne „sprinti“ das Auto genommen. Friedrich: „Ich kann mir in naher Zukunft für On-Demand-Dienste auch automatisierte Konzepte vorstellen mit Freiheitsgraden für privilegierte Fahrten. Also ähnlich wie auf den Fahrgemeinschaftsspuren in den USA. Wo es Konflikte mit Fußgängern und Radfahrern oder der Aufenthaltsqualität geben könnte, müssen diese Fahrzeuge im Pulk eben langsamer fahren. Das führt dann auch zu mehr Akzeptanz für autonome Mobilität in der Bevölkerung.“
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verschiedene Lufttaxi-Modelle sollen in Zukunft die Lüfte von Nusantara erobern, der neuen Hauptstadt Indonesiens. Größere Taxis, die bis zu vier Passagiere und ihr Gepäck befördern können, sowie kleinere Cargo-Flieger für bis zu 100 Kilo Frachtgüter. Prof. Dr. Bernhard Friedrich ist skeptisch: „Lufttaxis sind eine sinnvolle Ergänzung, werden aber kaum den Massenverkehr in Städten organisieren können.“
Hochautomatisiertes Fahren: Schaeffler begleitet Wandel der Transportbranche
Immer mehr Menschen und Waren wollen bewegt werden, aber es gibt immer weniger Fahrpersonal. Schon heute können weltweit fast 250.000 Stellen nicht besetzt werden. Die International Road Transport Union (IRU) geht davon aus, dass sich diese Zahl bis 2028 verdreifachen könnte. Mit autonom fahrenden Bussen, Taxen und Transportern ließen sich die Auswirkungen dieses Fachkräftemangels abfedern. Außerdem können fahrerlose Systeme helfen, bislang wirtschaftlich wenig attraktive Mobilitätsangebote lukrativ für Anbieter zu machen, weil die Lohnkosten der Fahrer einen großen Teil der Gesamtbetriebskosten ausmachen – in Europa rund ein Drittel. Alles Gründe, die erklären, warum der Bedarf an Technologien fürs autonome Fahren groß ist. Mit innovativen Fahrwerkstechnologien, die ein hochautomatisiertes Fahren ermöglichen, begleitet Schaeffler den erforderlichen Wandel der Transportbranche. Zu diesen Produkten gehören etwa das elektrohydraulische Lenksystem (EHPS) und das Advanced Sensor Cleaning System (ASCS). Das redundant arbeitende EHPS-System liefert Schaeffler bereits seit 2023 in die Serienproduktion eines chinesischen Nutzfahrzeugherstellers. Das Advanced Sensor Cleaning System wurde von Vitesco Technologies entwickelt, um die Kameras und Sensoren von autonomen Fahrzeugen zu reinigen und dadurch eine fehlerfreie Funktion sicherzustellen.
„Keine Städte aus dem Boden stampfen“
„Die Idee der Stadt ist uralt. Man hat sich in Städten organisiert, weil man viele Vorteile in der Organisation der Gesellschaft hat“, sagt Prof. Dr. Bernhard Friedrich von der TU Braunschweig. Die nun zu beobachtende wachsende Urbanisierung sei dementsprechend eine logische Entwicklung. Mehr Chancen, mehr Vielfalt, eine bessere Versorgung. „Es spricht viel dafür, dass die Leute in Städten wohnen wollen, und wenig dafür, dass sie auf Dauer wieder raus aufs Land gehen. Wir brauchen die Menschen auch nicht mehr in der Anzahl wie früher auf dem Land, weil die meisten landwirtschaftlichen Arbeiten heute von Maschinen erledigt werden“, sagt Friedrich, der eine klare Ansicht zu fortschrittlichen, städtischen Wohnkonzepten vertritt. „Es klingt vielleicht altmodisch, aber Block-Randbebauungen, bei denen sich die Wohnungen in einer geschlossenen Gebäudeform um einen Innenhof schließen, sind auch in Zukunft die attraktivste Form des städtischen Wohnens. Insbesondere auch aus sozialer und ökologischer Sicht“, erläutert Friedrich. Durch die klare Abgrenzung von öffentlichen Straßenräumen und privaten Innenhöfen entstünde eine klare Struktur sowie ruhige, geschützte Innenhöfe, die als private oder halböffentliche Grünflächen genutzt werden können. Blockrandbebauungen seien zudem oft nachhaltiger als freistehende Gebäude, da sie weniger Energie für Heizung und Kühlung benötigen. Aber reicht dieses Konzept aus, um der zunehmenden Wohnungsnot entgegenzuwirken? Von der Idee, komplett neue Städte wie gegenwärtig New Capital 50 Kilometer von Kairo entfernt in der Wüste aus dem Boden zu stampfen, hält Friedrich wenig: „Ich bin sehr skeptisch, ob sich solche Städtebauprojekte dauerhaft finanzieren und sich so attraktiv gestalten lassen, dass sie schnell bevölkert werden.“ Von Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit mal ganz abgesehen. Prof. Dr. Philipp Rode, Direktor des LSE Cities Forschungszentrums in London und international anerkannter Stadtplaner, äußert einen alternativen Ansatz von Stadtentwicklung: „Wir müssen uns hüten vor einer weiteren Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes. Vielmehr sollten wir die Chance zum kulturellen Wandel nutzen. Kinder brauchen wieder Räume zum Spielen und Erleben, wo Kindheit in der Stadt wieder etwas völlig Neues bedeutet. Wir brauchen auch deutlich mehr entsiegelte Flächen, mehr Bäume, die uns helfen, Hitze und Regen besser zu bewältigen.“
2008
lebten weltweit erstmals in der Menschheitsgeschichte mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen rechnet mit fünf Milliarden Städtern im Jahr 2030. 2050 sollen es rund 6,7 Milliarden Menschen sein. Eine Entwicklung, die zeigt: Das Ringen um den Klimaschutz wird in den Städten gewonnen.