E-Mobilität im Reality Check

Von Volker Paulun
Neun provokante Thesen zur Elektromobilität – analysiert, eingeordnet und auf den Punkt gebracht von Thomas Stierle, E-Mobility-Vorstand der Schaeffler AG.
© Jae Young Ju/iStock
These 1: Ohne den Zündfunken des Verbrenners springt beim Fahren auch kein emotionaler Funke über.

Wer das glaubt, hat noch nie ein E-Auto mit Launch Control gefahren. Die Beschleunigung ist nicht nur beeindruckend – sie ist emotional. Und zwar ganz ohne Auspuffklang. Stattdessen: Stille, Fokus, Präzision. Das ist eine neue Form von Fahrspaß. Selbst Ferrari hat das erkannt und bringt ein E-Modell. Emotion entsteht nicht durch Lärm, sondern durch Erlebnis. Und das liefern E-Autos heute schon.
Auf den Punkt: Emotion? Ganz klar: Daumen hoch.

Zur Person: Thomas Stierle
E-Mobilität im Reality Check© Schaeffler AG

Thomas Stierle (geb. 1969) hat einen Abschluss in Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Design zellulärer neuronaler Netze an der Technischen Universität Dresden. Er begann seine Karriere 1995 bei Siemens in Regensburg in der Elektronikentwicklung für Seitenaufprallsensoren und arbeitete anschließend in einem Forschungsprojekt zur infrarotbasierten Insassenpositionserkennung. Von 1999 bis 2004 konzentrierte er sich auf die Hardwareentwicklung für Airbagsteuergeräte in Auburn Hills, USA.

Von Oktober 2004 bis September 2008 war Thomas Stierle zuerst als Global R&D Manager für Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) tätig und im Anschluss als Leiter für Sales and Projektmanagement (ADAS) bei Siemens VDO beschäftigt. Von 2008 bis 2018 hatte er mehrere allgemeine Führungspositionen im Produktbereich Motoraktuatoren inne, die an Komplexität und Größe zunahmen. Zuletzt war er Leiter der Produktlinie Aktuatoren innerhalb des Geschäftsbereichs Sensors & Actuators der Continental Automotive GmbH.

Ab November 2018 leitete Thomas Stierle den Geschäftsbereich Hybrid Electric Vehicle, der nach dem Spin-off von Continental im Oktober 2019 in Electrification Technology umbenannt wurde. Ab Mitte 2022 führte er zudem den Geschäftsbereich Electronic Controls im Unternehmen. Seit Oktober 2021 war er Mitglied des Vorstands und verantwortete ab Januar 2023 die neu aufgestellte Division Electrification Solutions bei Vitesco Technologies.

Seit Oktober 2024 ist Thomas Stierle Vorstand E-Mobility der Schaeffler AG.

These 2: Um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen, sind Anreize effektiver als Verbote.

Druck erzeugt Widerstand, Begeisterung erzeugt Bewegung. Förderungen, Steuererleichterungen und günstige Energie sind die echten Beschleuniger. Wer E-Mobilität attraktiv macht, gewinnt schneller als mit Verbotsschildern. Technik überzeugt, wenn sie Spaß macht und bezahlbar ist.
Auf den Punkt: Zuckerbrot schlägt Peitsche.

These 3: Schon bald werden Antriebsbatterien „unsterblich“.

Unsterblich? Nein. Aber langlebig, nachhaltig und recycelbar – ja! Second Life, Recycling, neue Zellchemien: Batterien werden immer besser. Die Idee einer „ewigen“ Batterie ist Science-Fiction, aber die Richtung stimmt. Garantien von zehn Jahren oder 250.000 Kilometern sprechen eine klare Sprache: Batterien sind heute deutlich standfester als ihr Ruf.
Auf den Punkt: langlebig statt unsterblich.

These 4: Vierrädrige E-Bikes mit Wetterschutz werden das Auto aus den Stadtkernen von morgen verdrängen.

Urban Mobility wird neu gedacht. Leichte, geschützte Fahrzeuge sind praktisch – und sie kommen. Aber das Auto komplett verdrängen? Unrealistisch. Es wird einen Mix geben: Bikes, Shuttles, Carsharing. Vielfalt statt Monokultur.
Auf den Punkt: Ergänzung, kein Ersatz.

These 5: No more Fortschritt: Der E-Motor ist so gut wie ausentwickelt.

Ganz sicher nicht. Effizienz, Materialeinsatz, Integration – da geht noch viel. Neue Architekturen wie 800-Volt-Systeme oder integrierte Achsantriebe machen den E-Motor nicht nur smarter, sondern auch kostengünstiger. Weniger Material, kompaktere Bauweise, optimierte Fertigung – das senkt die Preise und steigert die Reichweite. Ausentwickelt? Das ist ein Mythos.
Auf den Punkt: Fortschritt fährt elektrisch weiter – und wird dabei günstiger.

These 6: E-Autos werden zukünftig an Stau-Schwerpunkten Strom für mehrere Hundert Kilometer induktiv laden können.

Technisch denkbar – sowohl fahrzeug- als auch straßenseitig. Aber: Der Aufwand ist enorm. Infrastruktur, Wirkungsgrad, Kosten. Sinnvoll wäre es für Busse oder Taxis mit festen Routen. Für den Massenmarkt? Vielleicht irgendwann. Aber bis dahin bleibt das Kabel König.
Auf den Punkt: Visionär – aber noch weit entfernt.

These 7: 800 Volt wird zum neuen Standard im E-Auto-Bereich.

Ja! Schnellere Ladezeiten, weniger Wärmeverluste, höhere Leistungsdichte. Premium macht’s vor, Volumen folgt. 800 Volt ist nicht nur ein Buzzword, sondern ein echter Effizienz-Booster und 1.000V winkt schon.
Auf den Punkt: Hochspannung für die Zukunft.

These 8: Fortschritte in der Batterietechnik machen das E-Auto zum Schnäppchen.

Noch sind Batterien teuer, aber die Kosten sinken, dank Skalierung und neuer Zellchemien. Aber ein echtes Schnäppchen? Eher Gleichstand mit Verbrenner beim Kaufpreis. Doch die Gesamtbetriebskosten sprechen schon heute für Strom – und die Preise gehen weiter nach unten. Wer rechnet, fährt elektrisch.
Auf den Punkt: Preis runter, Akzeptanz rauf.

These 9: China macht es vor: Das Auto wird zum rollenden Infotainment-Raum.

Displays, Gaming, Streaming – ja, das Auto wird zum digitalen Wohnzimmer. China ist Vorreiter, Europa zieht nach. Aber: Sicherheit bleibt oberstes Gebot. Entertainment ja, Ablenkung nein.
Auf den Punkt: Mobilität trifft Smartphone.