Bestens vernetzt

Von Volker Paulun
Mehr als 170 Unternehmen, ein Ziel: der Aufbau eines einheitlichen Daten-Ökosystems für die Automobilbranche. Was hinter dem Catena-X genannten Branchenteamwork steckt, warum es nicht nur aus ökonomischer, sondern vor allem auch aus ökologischer Sicht überlebenswichtig ist und wie sich Schaeffler einbringt, all das lesen Sie hier.
© Natalya Burova/iStock

Als das babylonische Volk mit seinem Turmbau dem Gott im Himmel zu nahe kam, wandte dieser eine List an, um dem Treiben auf der Baustelle Einhalt zu gebieten: Ein vom Himmel gesandtes babylonisches Sprachgewirr verhinderte fortan eine geordnete Kommunikation, der Bau kam zum Erliegen. So steht es zumindest im Alten Testament ­geschrieben. 

Heute herrscht in den Datenwelten von Unternehmen allzu oft ein ähnlich babylonisches Kommunikationsgewirr. Unterschiedliche oder gar fehlende Standards und Semantiken im Datenaustausch führen zu Ineffizienz in Prozessen und bringen Wertschöpfungsketten aus dem Takt. Die disruptiven Ereignisse der letzten Jahre haben diese Schwächen besonders schmerzhaft aufgedeckt. Lieferketten rissen, Produktionen wurden auf Pause gestellt. Stillstände, die sich Hersteller angesichts des wachsenden Wettbewerbs- und Transformationsdrucks in der Automobilbranche nicht leisten können. Doch damit nicht genug: Neue regulatorische Vorgaben hinsichtlich verschiedener Nachhaltigkeitsaspekte wie das Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz oder der EU Green Deal zur Reduktion des CO₂-Fußabdrucks sind ohne einen reibungslosen und transparenten ­Datenaustausch kaum umsetzbar.

  • 50 %
    der direkt oder indirekt im Automotive-Sektor aktiven Unternehmen beschäftigen weniger als 100 Mitarbeiter und verfügen daher nur über limitierte spezifische IT-Kompetenzen. Sie benötigen einfach einzusetzende Konnektivitätslösungen, die ihren Mitwirkungsbedürfnissen entsprechen.
    Quelle: T-Systems Whitepaper Catena-X
  • 13,5 %
    der in Europa produzierten Kunststoffprodukte bestehen aus Rezyklat. Die Quote liegt jedoch in einigen Bereichen wie auch dem Automobilbau deutlich darunter, wie der Verband Plastics Europe berichtet. Das europäische Quotenziel bis 2030 liegt bei 25 Prozent in der Wertschöpfungskette. Catena-X und Cofinity-X wollen mit ihren Datenokösystemen dazu beitragen.

Genau hier setzt Catena-X als firmenübergreifendes Daten-Ökosystem an. Der als Verein organisierte Zusammenschluss von aktuell über 170 Unternehmen erstellt den ersten offenen und kollaborativen Datenraum für die Automobilindustrie. Mit dabei sind nicht nur Automobilhersteller und direkte Zulieferer, sondern auch IT-Entwickler, Unternehmensberater, Entsorgungsunternehmen, Verbände und wissenschaftliche Institutionen. Schaeffler gehört zu den Gründungspartnern von Catena-X. Ein Schulterschluss, der in dieser Breite und Tiefe wohl bisher einzigartig ist – auch das unterstreicht die Bedeutung des Projekts. 

Radikale Zusammenarbeit, modularer Baukasten

Kollaborativ: Das gilt nicht nur für die Nutzung, sondern auch für den Aufbau des Systems. Catena-X ist als Open-Source-Projekt angelegt und setzt – so der Eigensprech – auf „radikale Zusammenarbeit“. Das Fundament dieser Zusammen­arbeit bilden hochgradig festgelegte Standards, die auf der einen Seite ein hohes Maß an Interoperabilität gewährleisten, auf der anderen Seite aber auch höchstmögliche Datensouveränität. Denn bei aller Liebe zur Zusammenarbeit, in alle Karten will man sich als Unternehmen dann doch nicht schauen lassen.

Grüne Datenströme

Mit datenbasierten Anwendungen und Dienstleistungen in diesen drei Bereichen können Kunden des Joint Ventures Cofinity-X zukünftig nachhaltiger agieren:

Lösungsansätze zur Dekarbonisierung: Nur wer seinen CO₂-Fußabdruck kennt, kann ihn gezielt reduzieren. Umso wichtiger ist eine präzise Berechnung und Berichterstattung von CO₂-Werten entlang der Wertschöpfungskette. Kunden von Cofinity-X sollen ihren CO₂-Fußabdruck genauer analysieren können und entsprechende Maßnahmen ableiten, um gesetzte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen oder sogar zu erhöhen.

Durchgängige und zuverlässige Rückverfolgbarkeit: Unternehmen soll es ermöglicht werden, Teile und Komponenten über ihre Wertschöpfungskette hinweg zu verfolgen – von Rohstoffen bis zu recycelten Teilen. In Zeiten von Lieferengpässen bieten Anwendungen zur Rückverfolgbarkeit entscheidende Einblicke und helfen, die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten zu erhöhen.

Kreislaufwirtschaft für eine nachhaltige Wertschöpfungskette: Materialien wiederzuverwerten ist ein wichtiges Thema in der Automobilindustrie. Informationen über den Zustand von Teilen und Komponenten können bei Lieferanten und Kunden transparent dargestellt werden, um diese ordnungsgemäß wiederzuverwenden. Durch die Einführung der Kreislaufwirtschaft können Unternehmen das Verhältnis von recyclingfähigen Materialien in ihren Produkten verbessern und Abfälle reduzieren.

Aufbauend auf diesem Fundament soll ein modularer Anwendungsbaukasten entstehen in Bereichen wie Qualitätsmanagement, Kreislaufwirtschaft, Lieferprozesse, Bedarfs- und Kapazitätsmanagement oder auch digitale Zwillinge. Umgesetzt werden sollen entsprechende Anwendungen von Anbietern, die durch Catena-X zertifiziert sind.

„Wandel nur mit einem sicheren Datenaustausch“ 

Auch hier hat Schaeffler eine Führungsrolle eingenommen. Denn die Motion Technology Company gehört dem Joint Venture Cofinity-X an, das als erster Anbieter einen offenen Marktplatz für ­Catena-X-Anwendungen entwickeln will. Klaus Rosenfeld, Vorsitzender des Vorstands der Schaeff­ler AG, sagt: „Nachhaltigkeit und Digitalisierung treiben die Transformation der heutigen Automobilindustrie voran. Dieser Wandel kann nur mit einem vertrauenswürdigen und sicheren Datenaustausch entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfolgreich sein. Gefordert sind höchste Standards und damit eine Zusammenarbeit unter starken Partnern. Als eines der Gründungsmitglieder von Cofinity-X ist Schaeffler stolz darauf, seinen Beitrag zu diesem wichtigen Ziel zu leisten.“ Die weiteren Pioniere des Joint Ventures sind Mercedes-Benz, BASF, BMW, Henkel, SAP, Siemens, ­T-Systems, Volkswagen und ZF.

Kunden von Cofinity-X sollen zukünftig nicht nur von der intelligenten Verwaltung von sortierten, analysierten, bereinigten und angereicherten Geschäftspartnerdaten profitieren können. Im Fokus des Joint Ventures stehen vor allem Lösungen in der automobilen Wertschöpfungskette zur Dekarbonisierung, Rückverfolgbarkeit, Kreislaufwirtschaft (siehe Infokasten).

Grundlage für solche Lösungen sind durchgängige Datenketten. Diese können nur entstehen, wenn alle Beteiligten zur Zusammenarbeit bereit sind. Ein Großteil der Unternehmen in der Automobilindustrie sind kleine und mittelständische Unternehmen. Cofinity-X hat es sich daher zum Ziel gesetzt, für diese wichtigen Akteure einen einfachen und schnellen Einstieg in das Catena-X-­Datenökosystem zu schaffen. 

Bestens vernetzt
Alexander Schleicher, Cofinity-X-Gründungsgeschäftsführer
© privat

„Wir werden ein wichtiger Teil eines schnell skalierbaren Ökosystems sein, an dem alle Unternehmen der automobilen Wertschöpfungskette gleichermaßen partizipieren können.“

„Die zunehmenden Anforderungen zur Rückverfolgbarkeit aller Materialien über die gesamte Wertschöpfungskette sind einer der Schlüsselfaktoren für Cofinity-X. Wir werden ein wichtiger Teil eines schnell skalierbaren Ökosystems sein, an dem alle Unternehmen der automobilen Wertschöpfungskette gleichermaßen partizipieren können. Daher wird unser Produktangebot durchgängige Datenketten initiieren sowie Wert für alle Teilnehmer generieren“, sagte Alexander Schleicher, Gründungsgeschäftsführer von Cofinity-X.

Als Schleicher von einem schnell skalierbaren Ökosystem sprach, lief er offene Türen bei den ­Catena-X-Machern ein. Denn dort blicken Verantwortliche bereits über Branchen- und nationale Grenzen hinweg: In einem Whitepaper heißt es, dass perspektivisch auch Vertreter anderer Branchen das Ökosystem nutzen könnten, beispielsweise aus Maschinenbau und Chemie. Außerdem erlaube die offene Plattform die weltweite Nutzung. Schöne neue Datenwelt.