CO2 einfangen, speichern und verwerten – was ist möglich?

Von Björn Carstens
In Island ist der weltgrößte CO2-Sauger in Betrieb gegangen, im Hafen von Rotterdam hat der Bau von Europas größter CO2-Abscheidungs- und Speicheranlage begonnen und in Australien haben Forschende herausgefunden, wie sich aus der Luft eingefangenes CO2 in Strom umwandeln lässt. „tomorrow“ hat einen Experten gefragt: Funktionieren solche Technologien wirklich und wie effizient sind sie, um Kohlendioxid einzufangen und der Klimakrise Herr zu werden?
© Dmitry Kovalchuk/iStock

Erklären Sie kurz, was Carbon Capture and Storage bedeutet.
Tobias Pröll: Carbon Capture and Storage, oder kurz CCS, heißt auf Deutsch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung. Gemeint ist, dass bei industriellen Prozessen und bei der Energieerzeugung anfallendes CO2 direkt am Schornstein abgefangen wird, um es danach endzulagern. In der Regel wird das CO2 nach der Abscheidung an der Quelle – zum Beispiel bei thermischen Kraftwerken, Zementfabriken oder in der chemischen Industrie – über Pipelines oder Schiffe zu Endlagerstätten transportiert. Dort soll es in tiefen geologischen Formationen, wie früheren Ölfeldern oder tiefen salzwasserführenden Sandsteinschichten, dauerhaft gespeichert werden.

Der Experte
CO<sub>2</sub> einfangen, speichern und verwerten – was ist möglich?
Silke Bernhardt, silberfoto.at
© Silke Bernhardt, silberfoto.at

Tobias Pröll, Professor für Verfahrens- und Energietechnik an der Universität für Bodenkultur in Wien, beschäftigt sich tagtäglich mit Energie. Eines seiner Schwerpunktthemen ist neben der Vermeidung von CO2-Emissionen die Entwicklung effizienter Abscheideverfahren für CO2. Die aus seiner Sicht entscheidenden Fragen sind: Wie kommen wir endlich in die breite Umsetzung der Energiewende? Und: Wie erreichen wir demokratische Mehrheiten dafür?

Was sind aus Ihrer Sicht sinnvolle Einsatzgebiete von CCS? Stichwort Norwegen, das angekündigt hat, Kohlendioxid aus Industrieanlagen in großen Mengen im Meeresboden in tiefen geologischen Formationen zu verpressen.
CCS setzt immer dort an, wo Kohlendioxid bereits konzentriert vorliegt, also überall dort, wo wir klassischerweise die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas verwenden. Das passiert zu mehr als 90 Prozent zur Energiebereitstellung, auch in der Industrie. Dort entsteht CO2 im Abgas, wo die Konzentration um einen Faktor 100 bis 500 höher ist als in der Umgebungsluft. Technisch ist es so: Je geringer die Konzentration in der Quelle ist, desto energieaufwendiger ist es, das CO2 herauszuholen.

Wie weit verbreitet ist die CCS-Methode bereits?
In dieser Form gibt es CCS noch nicht. Es gibt verschiedene Demonstrationsprojekte, die größten davon in Kanada und den USA. Dort wird zwar CO2 aus Abgas abgetrennt, das Kohlendioxid wird dann aber wieder zur Ölförderung verwendet. Es wird in Ölfelder eingebracht, um so mehr Öl zu fördern. In Europa könnten wir sofort damit anfangen, das bei der Bioethanol-Produktion anfallende, relativ konzentrierte CO2 abzuscheiden und zu verpressen. Das passiert gegenwärtig noch nicht. Es wird in die Atmosphäre geblasen, dabei wären genau das die „low hanging Fruits“. Hier könnte man zuerst ansetzen.

Niederlande: CO2 in leeren Nordsee-Gasfeldern
CO<sub>2</sub> einfangen, speichern und verwerten – was ist möglich?© Porthos

In Rotterdam hat in diesem Jahr der Bau der Infrastrukturanlagen für den CO2-Transport und das CO2-Speicherprojekt Porthos begonnen. Über eine Verdichterstation transportiert Porthos das aufgefangene CO2 durch den Rotterdamer Hafen bis zu einer Offshore-Plattform in 20 Kilometer Entfernung vom Festland. Von dieser Plattform aus wird das CO2 drei bis vier Kilometer unter dem Nordseeboden in leeren Gasfeldern dauerhaft gespeichert. Porthos soll im Jahr 2026 in Betrieb genommen werden, 15 Jahre lang etwa 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr speichern, insgesamt also etwa 37 Mio. Tonnen. Dank Porthos soll die Rotterdamer Hafenindustrie etwa 10 Prozent weniger CO2 ausstoßen.

Das sagt Professor Tobias Pröll: „Unter dem Nordseeboden gibt es poröse Sandsteinformationen, die entweder früher mit Kohlenwasserstoffen gefüllt waren oder aber immer noch mit Salzwasser gefüllt sind. Wenn die Deckschichten darüber ausreichend diffusionsdicht sind, kann man dort CO2 gut speichern. Das kommt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht wieder nach oben. Da sind sich die Experten einig. Das Erdgas war dort ja auch Millionen Jahre sicher gelagert. Wenn das CO2 auch nur mehrere Zehntausend Jahre da unten bleibt, wirkt das effektiv gegen die Erderhitzung. Wichtig ist aber, dass die CO2 Speicherung nur ein kleiner Teil der gesamten Lösung sein kann. Vorrangig sollten wir so rasch wie möglich von der Verbrennung fossiler Energieträger auf erneuerbare Energien umsteigen – samt aller Begleitmaßnahmen. Für den wirtschaftlich unvermeidbaren Rest sowie für CO2 aus biogenen Quellen, ist Carbon Capture and Storage notwendig.“

Gibt es ökologische Risiken im Zusammenhang mit der CCS-Technologie?
Sicherlich, es gibt bei keiner technischen Maßnahme ein Null-Risiko. Man muss aber das Risiko von CCS und dessen Wahrscheinlichkeit gut kommunizieren. Dieter Helm, ein englischer Volkswirt, hat gesagt: Es ist besser, man liegt ungefähr richtig als sicher falsch. Sicher falsch wäre im Fall der Klimakrise Business as usual. Da gibt es das größte Risiko, dass wir mit voller Geschwindigkeit gegen die Wand fahren. Wir können nicht wegen möglicher Restrisiken mögliche Lösungen, die nur einen Beitrag leisten sollen, außer Acht lassen. Klar ist aber auch: Allein CO2 einzufangen löst keine Klimakrise. CO2 einzufangen ist nur ein Instrument im Orchester. Für solche CO2-Ströme, die wir auch in der klimaneutralen Zukunft ab 2040/2050 realistisch zu erwarten haben, ist CCS sinnvoll. Beispiel Müllverbrennung oder Zementproduktion: Selbst wenn ich Zement mit Wasserstoff brennen wollte, lässt sich CO2 nicht vermeiden, da es aus dem Kalkstein kommt. Für dieses CO2 brauchen wir Lösungen in Form von CCS.

Es gibt unterschiedliche Technologien, CO2 einzufangen. Beim Direct Air Capture (DAC) wird Kohlendioxid aus der Umgebungsluft abgeschieden. Was halten Sie von diesem Verfahren?
Es ist ein großer Unterschied, ob man stark konzentriertes Kohlendioxid aus einem Industrieprozess oder Kraftwerk abscheidet oder eben aus der Umgebungsluft. DAC ist eine derzeit stark gehypte Technik, bei der man CO2 direkt aus der Luft abscheidet. Technisch ist das möglich, aber eben energieaufwendig. Beim DAC benötigt man mindestens dreimal so viel Energie wie bei der Abscheidung aus dem Schornstein. In der Praxis ist es wahrscheinlich sogar das zehnfache. DAC zahlt sich nur dort aus, wo erneuerbare Energie praktisch im Überschuss zur Verfügung steht und man nicht mehr weiß, wohin damit. Zum Beispiel auf Island (Anm. d. Red.: siehe Infokasten „CO2-Sauger auf Island“). Viele Länder wie zum Beispiel Deutschland haben aber ein energielimitiertes Setting und in einem derartigen Setting ist DAC derzeit noch schlecht platziert.

Island: Weltgrößter CO2-Sauger
CO<sub>2</sub> einfangen, speichern und verwerten – was ist möglich?© Climeworks

Mammoth, die weltweit größte Anlage, die CO2 aus der Umgebungsluft abscheidet, ist in diesem Jahr in Island in Betrieb gegangen. Das Schweizer Unternehmen Climeworks betreibt auf Island bereits eine ähnliche Anlage namens Orca, die ehemals größte Luftfilteranlage der Welt. Mammoth ist allerdings zehnmal größer und kann somit auch entsprechend mehr Kohlendioxid aus der Luft ziehen. Die Anlage ist darauf ausgelegt, im Vollbetrieb 36.000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft zu filtern. Das gesammelte CO2 wird dann in Wasser gelöst und in Gesteinsschichten injiziert, wo das CO2 quasi versteinert. Damit wird das Treibhausgas dauerhaft gebunden.

Das sagt Professor Tobias Pröll: „Der Prozess benötigt enorme Mengen Energie, die in Island allerdings in Form von reichlich vorhandener Geothermie verfügbar ist. Deswegen ist so ein Projekt auch nur dort sinnvoll, wo erneuerbare Energie ganzjährig im Überschuss vorhanden ist.“

Was meinen Sie mit energielimitiertem Setting?
Energie muss man immer mitdenken. Es ist nicht egal, ob ein Prozess sehr viel erneuerbare Energie, zum Beispiel Überschussstrom oder grünen Wasserstoff verbraucht oder eben nicht. Aktuell leben wir in einer fossilen Realität, in der wir unseren Primärenergiebedarf global zu rund 80 Prozent durch Kohle, Öl und Erdgas decken. In dieser Realität muss man anders argumentieren als in einer Realität, in der wir vielleicht in 30 Jahren sein werden, wenn man dann tatsächlich technisch verfügbare Überschüsse an erneuerbarer Energie zur Verfügung haben wird. Wenn wir das geschafft haben, können wir sehr viele Sachen anders denken, die heute nicht sinnvoll darstellbar sind. Also auch DAC. Jetzt Verfahren vorzuschlagen, die zusätzliche Energie verbrauchen, ist am Thema vorbei. Wir haben die Klimakrise ja, weil wir uns fossil mit Energie versorgen.

Wenn ich Sie frage, wofür kann man eingefangenes CO2 nutzen, was würden Sie sagen?
Einlagern und wegsperren. In der Menge, wie wir es produzieren, ist es auf keinen Fall nachgefragt. Es gibt zwar einen Markt für reines CO2, aber der ist global gesehen winzig klein. Zum Beispiel wird CO2 in der Getränkeindustrie für die Kohlensäure benötigt. Da können Sie aber mit dem CO2-Ausstoß eines Zementwerks ganz Europa versorgen. Beim zweiten Zementwerk haben Sie dann schon ein Problem. Das heißt, wir haben einfach viel zu viel von dem CO2, als dass es in irgendeiner Weise sinnvoll in Produkten untergebracht werden kann.

Wie meinen Sie das?
Sie müssen immer Energie zuführen, wenn Sie CO2 rückveredeln, wenn Sie daraus zum Beispiel synthetische Flugtreibstoffe herstellen wollen. Hierbei kann man CO2 und Wasserstoff chemisch miteinander verbinden, in mehreren Prozessschritten entsteht Kerosin. Die Energie stammt dabei aber zur Gänze aus dem Wasserstoff. Wir benötigen am Beginn mehr Energie in Form von Wasserstoff, als wir nachher im Kerosin zur Verfügung haben. Aus dem CO2 kommt keine Energie. Das mag vielleicht ein Hilfsstoff sein, der dazu beiträgt, dass man Wasserstoff als flüssigen Energieträger besser transportieren oder einsetzen kann. Aber grundsätzlich muss die Energie immer aus dem grünen Wasserstoff kommen, von dem alle sprechen, der aber praktisch nicht verfügbar ist. Und schon gar nicht zu Preisen, die mit den derzeitigen Preisen der fossilen Energieträger in irgendeiner Weise konkurrenzfähig sein könnten. Das wird sehr schwierig werden, dass man das CO2 zur Gänze in solche Treibstoffe packt. Da wird man irrsinnige Mengen Wasserstoff brauchen.

Australien: CO2 als Treibstoff

Ein Team von Forschenden der „University of Queensland“ im australischen Brisbane hat herausgefunden, wie sich CO2 aus der Luft direkt in Strom umwandeln lässt. Kernstück sind mehrere Schalen mit einem geleeartigen Hydrogel. Darin befindet sich ein Gemisch aus Polyaminen (organischen Verbindungen) und ultradünnen, nur wenige Atome dicken kleinen Plättchen (Nanosheets) aus Bornitrat. Die Polyamine absorbieren CO2 aus der Luft. Das Gas reagiert mit dem Bornitrat und es bilden sich Ionen. Die negativ geladenen Moleküle können sich frei bewegen, während die positiven in einem Hydrogel gefangen sind. Dadurch entsteht elektrische Spannung.

Das sagt Professor Tobias Pröll: „Gezeigt werden konnte, dass während eines Vorgangs, bei dem CO2 von einer Substanz aufgenommen wird, auf elektrochemischem Weg elektrische Energie abgegeben wird. Normalerweise wird bei derartigen Vorgängen Wärme frei, das ist altbekannt. Direkt zu Strom zu gehen ist neu. Es kann aber aus CO2 netto so keine Energie gewonnen werden, da Sie ja das Material, das das CO2 aufgenommen hat, regenerieren müssen. Dafür brauchen Sie genau die gleiche Gesamtenergie wieder, die vorher frei wurde – plus Verluste. Ein CO2-negatives Kraftwerk ist das also nicht. CO2 enthält leider keine praktisch nutzbare Energie.“

Es gibt doch genau solche Ideen?
Klar, große internationale Konzerne haben da Ambitionen, zum Beispiel in Patagonien, mit Windenergie Wasserstoff zu produzieren und aus diesem Wasserstoff dann flüssige Kraftstoffe herzustellen, die dann von Südamerika nach Europa gebracht werden könnten. Alles läuft darauf hinaus, zu welchem Preis wir grünen Wasserstoff bereitstellen können.

Aber wie beherrschen wir dann unsere CO2-Emissionen?
Ich glaube, dass wir ein CO2-Management brauchen. Das heißt, es wird CO2-Pipelines geben, wir werden wie vorhin beschrieben CO2 in geologischen Formationen einlagern. Wir werden CO2 von Industrieanlagen abscheiden müssen, weil Zementwerke oder Müllverbrennungsanlagen keine Alternative haben,ihre Prozesse auf anderen Wegen zu dekarbonisieren. Ich zweifle, ob wir CO2 in großem Stil mittels DAC aus der Luft abscheiden werden.

Gibt es auch in Europa Länder, die bereits Projekte im Bereich Carbon Capture angeschoben haben?
Viele Nordsee-Anrainerstaaten haben Programme und machen Geschäfte mit dem CO2-Einlagern. In Dänemark gibt es das Projekt „Greensand“, bei dem bis 2030 in der dänischen Nordsee bis zu 13 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingelagert werden sollen. Auch Norwegen hat Deutschland schon Kohlendioxid-Einlagerungen angeboten.

Wie leistungsstark müsste eine Carbon-Capture-Anlage mit der heute verfügbaren Technik sein, um sämtliche CO2-Überschüsse aus der Atmosphäre zu entziehen?
Das kann ich nicht sagen. Was ich sagen kann: Um die weltweiten Emissionen auszugleichen, müssten Sie 50 Milliarden Tonnen pro Jahr aus der Luft filtern. Das ist das, was wir derzeit verursachen. Zum Vergleich: Das isländische Projekt mit dem CO2-Sauger schafft im Vollbetrieb 36.000 Tonnen CO2 pro Jahr.