Hallo Kollege Robo

Von Björn Carstens
Flexibel – humanoide Roboter werden mehr und mehr Aufgaben im Arbeitsleben übernehmen. Sie agieren mit hoch entwickelter KI und feinfühliger Sensorik. Schaeffler-Experten erzählen, wohin die Robotik-Reise geht.
© Schaeffler

Digit ist 1,75 Meter groß und wiegt knapp 65 Kilogramm. Ein schlanker, athletischer Typ. Gut so, denn Digit hat einen anstrengenden Job: Seit Anfang 2025 be- und entlädt Digit eine Waschmaschine im US-amerikanischen Schaeffler-Werk in Cheraw (South Carolina). Eine stupide Aufgabe, die Digit ohne Murren erledigt. Solange, bis sein Akku leer ist. Denn Digit ist ein Roboter – einer mit zwei Armen und zwei Beinen, ein sogenannter humanoider Roboter.

Digit erinnert mit seinem Körperbau und seinen menschenähnlichen Bewegungen weniger an einen kalten Roboter, vielmehr an einen Partner in der Fertigung, der sich auf Knopfdruck bereit erklärt, unliebsame, anstrengende oder gar gefährliche Aufgaben zu übernehmen, um menschliche Mitarbeitende zu entlasten und dem zunehmenden Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. Ausgestattet mit Mikrofonen und diversen Sensoren, darunter Kameras und LIDAR (Light Detection and Ranging), kann er sich durch komplexe Umgebungen autonom navigieren, er erkennt automatisch Hindernisse und bleibt auf variierenden Oberflächen stabil stehen. Ideal für den Einsatz in oft betriebsamen Arbeitsbereichen, beispielsweise in Logistikzentren.

Digit bei seiner Arbeit im Logistikzentrum

Digit ist vermutlich einer der ersten humanoiden Roboter weltweit, der fest und auf kommerzieller Basis in einer Werkshalle arbeiten darf. Entwickelt und produziert wurde er vom US-amerikanischen Robotik-Unternehmen Agility Robotics – einem der Big Player im Robo-Business. Neben dem Pilotprojekt mit der Motion Technology Company Schaeffler kommt Digit auch bei den Logistikdienstleistern Amazon und GXO Logistics als Robots-as-a-Service (RaaS) zum Einsatz – also auf Mietbasis mit Support vom Hersteller. 

Der Markt für Humanoide steht vor einer großen Expansion

Schaeffler ist aber nicht nur Kunde von Agility Robotics, sondern hat auch eine Minderheitsbeteiligung an dem Robo-Start-up im US-Bundesstaat Oregon erworben. In Zuge dessen haben beide Seiten eine Übereinkunft getroffen, humanoide Roboter an globalen Schaeffler-Produktionsstandorten einzusetzen. „Humanoide können bei der Automatisierung von vorhandenen Produktionsanlagen entscheidend zum Erfolg beitragen“, sagt Sebastian Jonas, Leiter Advanced Production Technology bei Schaeffler.

Hallo Kollege Robo
Sebastian Jonas, Leiter Advanced Production Technology bei Schaeffler
© Schaeffler

„Bis zum Jahr 2030 wollen wir bei Schaeffler eine nicht unerhebliche Anzahl von Humanoiden in unserem globalen Netzwerk von 100 Werken einsetzen.“

Das Thema „Humanoide“ steht bei Schaeffler grundsätzlich auf drei Säulen. Einerseits möchte Schaeffler Humanoide in seinen Fabriken arbeiten lassen. Zudem verkauft Schaeffler als Zulieferer Komponenten und Systeme an Produzenten von Humanoiden. Darüber hinaus steht Schaeffler als Partner für die Produktionsskalierung bereit, sprich die 100-prozentige Schaeffler-Tochter Special Machinery baut Produktionslinien zur Herstellung von Komponenten für Roboter, unter anderem Humanoide, und agiert als Integrator von Humanoiden in die Produktion – intern wie extern. Mit diesem Dreiklang aus Nutzer, Integrator und Lieferant verfügt Schaeffler über ein umfangreiches Technologieverständnis in diesen Bereichen und über ein Alleinstellungsmerkmal in der Branche.

Schaeffler bietet Schlüsselkomponenten für humanoide Roboter

Schaeffler bietet auf Basis seiner acht Produktfamilien ein breites Portfolio an, um Herstellern von humanoiden Robotern einen technologischen Vorteil zu verschaffen. Lesen Sie dazu mehr hier.

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Hallo Kollege Robo© Schaeffler

Für das Geschäftsfeld als Zulieferer zeichnet David Kehr verantwortlich, Leiter des Humanoid-Bereichs innerhalb des Schaeffler-Konzerns. „Wir wollen durch Entwicklung und Herstellung von mechanischen bis zu elektronischen Produkten und Systemen für den globalen Humanoid-Markt Werte für Schaeffler generieren“, sagt David Kehr. Das Wachstumspotenzial sei enorm.

Der Markt für humanoide Roboter steht nach Ansicht unzähliger Experten vor einer gewaltigen Expansion. Jensen Huang, CEO von NVIDIA, dem weltweit führenden Anbieter von KI-Computing, sieht sogar das Potenzial, dass humanoide Roboter so allgegenwärtig werden wie Autos.

Nvidia-CEO Jensen Huang visioniert auf der CES und stellt ein neues Mini-KI-Modell für die humanoide Robotersteuerung vor
  • Bei bis zu drei Billionen US-Dollar
    sieht das australische Wertpapierhandelsunternehmen Macquarie Group das Marktpotenzial von humanoiden Robotern.
  • 63 Millionen
    humanoide Roboter werden laut den Wachstumsprognosen der Investmentbanker von Morgan Stanley bis 2050 allein in den USA im Einsatz sein.

KI-Verstand für Humanoide

© Agility

Machine Learning und Deep Learning sollen es den Robotern künftig ermöglichen, aus ihren Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Kollegen Mensch zu lernen und ihre Fähigkeiten kontinuierlich zu verbessern, um immer komplexere Aufgaben zu übernehmen. Wichtig, weil Fertigungsprozesse in vielen Bereichen variabel sind und eine hohe Flexibilität erfordern.

„Systeme der künstlichen Intelligenz sind der Schlüssel zur Entfaltung des vollen Potenzials von Humanoiden.“

Sebastian Jonas, Leiter Advanced Production Technology bei Schaeffler

Maschinen werden künftig zunehmend in der Lage sein, durch die Wahrnehmung ihrer Umgebung auch selbstständige Entscheidungen treffen. Das große Potenzial der Robo-Helfer führt aber nicht dazu, dass Maschinen Menschen ersetzen.

Sebastian Jonas kümmert sich bei Schaeffler im Bereich „Advanced Production Technology“ um den geplanten Einsatz von Humanoiden in den Werken rund um den Erdball. Er sagt: „Im Bereich der Produktivität hilft KI dabei, unvorhergesehene Situationen zu erkennen, zu analysieren und entsprechend zu reagieren. Das ist ein Wendepunkt, da dies mit traditioneller Automatisierung wie Industrierobotern nicht möglich war. Darüber hinaus reduziert KI den Implementierungsaufwand, da die Humanoiden auf Basis von KI-Algorithmen trainiert und nicht auf der Grundlage bestimmter Parameter programmiert werden.“

Hallo Kollege Robo
Andreas Schick, Vorstand Produktion, Supply Chain Management und Einkauf der Schaeffler AG
© Schaeffler

„Schaeffler ist als Technologiepartner entlang aller Bereiche der Bewegung bestens positioniert, um mit seinen Innovationen für Humanoide die Industrie zu revolutionieren.“

Herausforderungen sind mannigfaltig

Bei aller Euphorie um die rosige Zukunft von Humanoiden, es gibt auch Hürden. David Kehr skizziert das wachsende Aufgabenportfolio: „Obwohl bei der Bewegungstechnologie für Humanoide erhebliche Fortschritte erzielt wurden, gibt es noch Herausforderungen. Eine der größten wird sein, die Produktionskapazität für die gesamte Humanoid-spezifische Hardware zu erhöhen.“ Andernfalls wäre auch die Morgan Stanley-Prognose mit 63 Millionen humanoiden Robotern bis 2050 allein in den USA eher unrealistisch.

Ein Humanoid werde exklusive der Hand etwa 28 Aktoren enthalten, so Kehr – also diejenigen Bewegungsapparate, die den Roboter sich menschengleich bewegen lassen. Mit den beiden Händen seien es zirka zehn bis 20 Aktoren pro Seite mehr. Kehr: „Während also die Anzahl der Humanoiden auf dem Markt langsam ansteigt, müssen wir die Stückzahlen mit 28 multiplizieren, um auf die benötigte Anzahl von Aktoren zu kommen. Heutige Präzisionsaktoren mit geringen Stückzahlen und hohen Preisen, wie sie z. B. in Industrierobotern verwendet werden, werden bei den für Humanoide vorhergesagten hohen Stückzahlen nicht wirtschaftlich sein“, rechnet Kehr vor. Schaeffler sei jedoch in einer guten Ausgangsposition, um Humanoid-Kunden mit der ausreichenden Stückzahl von Komponenten und Subsystemen zu versorgen, basierend auf der langjährigen Erfahrung im Automobil- und Industriesektor, betont Kehr. Schaeffler könne mit seiner tiefen vertikalen Integration und dem Wissen rund um Werkzeugtechnologie Kostenvorteile bei Skalierung erreichen. Beispiel: Der Wandel von der spanenden hin zur umformenden Bearbeitung von Komponenten. Kehr: „Zudem beschäftigen wir uns mit Mikroaktorik für die Hände. Hier reden wir von Komponenten-Außendurchmessern von zwei bis drei Millimeter. Das erfordert neue Fertigungs- und Werkzeugtechnologien, die Schaeffler bereits entwickelt.“

„Eine zweite enorme Herausforderung ist die Notwendigkeit einer gemeinsamen Entwicklung. Denn die genauen Anforderungen für Humanoid-Produkte sind nicht immer eindeutig, auch nicht bei den Humanoid-Herstellern. Daher müssen Zulieferer wie Schaeffler und die Humanoid-Kunden zusammenarbeiten, um die beste Lösung herauszufinden, die den Anwendungsanforderungen entspricht und die effizient in höheren Stückzahlen produziert werden kann“, erklärt Kehr.

Batterietechnologie und Sicherheit weit oben auf Agenda

Auch die Batterietechnologie und hierbei insbesondere das Ladetempo gehöre in den Fokus, ergänzt Schaeffler-Experte Sebastian Jonas: „Das Allerwichtigste an einem Akku für Humanoide ist seine Fähigkeit, schnell zu laden. Im Gegensatz zu einem Elektroauto, das die meiste Zeit steht und aufgeladen werden kann, sollte ein Humanoid im Idealfall 24/7 rund um die Uhr arbeiten. Solange der Humanoide auflädt, verdient er kein Geld. Das Verhältnis von Ladezeit zu Betriebszeit ist daher enorm wichtig. Es gibt auch Konzepte, das Thema Ladezeiten durch den Einsatz austauschbarer Batterien gänzlich zu entschärfen.“

„Das Allerwichtigste an einem Akku für Humanoide ist seine Fähigkeit, schnell zu laden.“

Sebastian Jonas, Leiter Advanced Production Technology bei Schaeffler

Zudem spiele der Aspekt Sicherheit eine entscheidende Rolle bei der Skalierung von Humanoiden, die ihr volles Potenzial nur entfalten könnten, wenn sie ohne physische Sicherheitsbarrieren frei in der Produktionsumgebung eingesetzt werden können. „Die sichere Zusammenarbeit mit dem Menschen ist eine äußerst komplexe Aufgabe, vergleichbar mit dem autonomen Fahren, auch wenn in der Produktion strukturierte Abläufe vorliegen. Sie erfordert Normen und Sicherheitsstandards, die noch nicht existieren. Darüber hinaus müssen die Humanoiden selbst über zertifizierte funktionale Sicherheitssysteme verfügen“, erklärt Sebastian Jonas.   

Preise für Humanoide differieren

Aktuell liegen die Anschaffungskosten für menschenähnliche Roboter noch höher als für andere Industrieroboter und Cobots. Die Managementberatung Horváth rechnet mit durchschnittlichen Kosten von ca. 80.000 Euro pro Stück. Hinzu kommen etwa 4.000 Euro Wartungs- und Instandhaltungskosten pro Jahr. Durch die Serienproduktion soll der durchschnittliche Beschaffungspreis bis 2030 auf ca. 48.000 Euro sinken.

„Für die Industrie sollten die Kosten bei etwa 40.000 bis 50.000 US-Dollar liegen, um einen wirtschaftlichen Einsatz in großem Maßstab zu ermöglichen. Der Preis kann in Regionen wie dem asiatisch-pazifischen Raum und China unterschiedlich sein. Generell ist es wichtig, dass die Kriterien für eine Kapitalrendite erfüllt werden“, weiß Schaeffler-Experte Sebastian Jonas.

Humanoid läuft Halbmarathon
Hallo Kollege Robo
Schon 2024 hat ein humanoider Roboter der chinesischen Firma Tiangong an einem Halbmarathon teilgenommen.

Im April 2025 wird in Peking ein Halbmarathon stattfinden, bei dem humanoide Roboter zusammen mit etwa 12.000 menschlichen Läufern die 21 Kilometer lange Strecke bewältigen sollen. Mehr als 20 Unternehmen werden ihre zweibeinigen Laufroboter ins Rennen schicken. Die Maschinen müssen zwischen 0,5 und 2 Meter groß sein und eine Beinlänge von mindestens 45 Zentimetern aufweisen. Sowohl ferngesteuerte als auch autonome Roboter sind zugelassen. Die Teilnahme stellt für die Roboter eine erhebliche technische Herausforderung dar, insbesondere hinsichtlich der Energieversorgung über die gesamte Distanz.

Wann schafft der Humanoid den Sprung von der Werkshalle in die Wohnzimmer?

Ein wesentlicher Treiber für die Nachfrage nach humanoiden Robotern könnte neben der Industrie die demografische Entwicklung in vielen Industrieländern sein. In den USA wird die sogenannte Abhängigkeitsquote – das Verhältnis von Personen über 70 Jahren zu Erwerbstätigen – bis 2030 auf 25 Prozent steigen, was bedeutet, dass 25 Senioren auf 100 Erwerbstätige kommen. In Japan wird diese Quote sogar bei 50 Prozent liegen, in Europa bei 35 Prozent und in China bis 2040 bei 40 Prozent. Der Bedarf an Unterstützung in der Altenpflege wird daher weltweit massiv zunehmen, wodurch humanoide Roboter zu einer essenziellen Lösung für den Pflegesektor werden.

„Durch die technologische Weiterentwicklung wird der Reifegrad humanoider Roboter bis 2030 sogar so weit fortgeschritten sein, dass sie in ihrer Bewegungsgeschwindigkeit, Flexibilität und Feinmotorik menschliche Fähigkeiten übertreffen.“

Tobias Bock, Senior Project Manager bei der Managementberatung Horváth

Umso wichtiger ist es, dass Roboter im Service und Pflegebereich ein menschliches Aussehen haben um die Akzeptanz zu erhöhen. Sicherlich werden Roboter, die in Krankenhäusern und Heimen, aber auch Schulen eingesetzt werden, einige freundliche und vertraute Merkmale haben, wie blinzelnde Augen, ein lächelndes Gesicht, sanfte Merkmale wie spitz zulaufende Finger und eine Körpergröße von weniger bedrohlichen 1,70 Metern.

Anders sieht es in einem industriellen Umfeld aus. „Hier ist eine möglichst menschenähnliche Darstellung einfach nicht notwendig und könnte kontraproduktiv sein. Sie wirkt entweder beängstigend oder schafft zu viel Vertrauen, was die Sicherheit beeinträchtigen kann“, unterstreicht Sebastian Jonas.

Fazit: Humanoide sind zukünftig integraler Bestandteil in der Fertigung

Humanoide Roboter haben das Potenzial, die Fertigungsindustrie grundlegend zu verändern. Dem kann Sebastian Jonas uneingeschränkt zustimmen: „Humanoide werden ein integraler Bestandteil der autonomen Produktion sein. Humanoide werden körperlich anspruchsvolle Aufgaben, komplexe Montageaufgaben, Qualitätskontrolle und Materialhandhabungsprozesse übernehmen. Mit der Fähigkeit, kontinuierlich im 24/7-Betrieb zu arbeiten, können humanoide Roboter die Produktion rund um die Uhr aufrechterhalten und den Output erhöhen, ohne dass ein Schichtwechsel erforderlich ist. Ich kann mir auch vorstellen, dass humanoide Roboter Daten aus Produktionsprozessen in Echtzeit sammeln und analysieren und so wertvolle Erkenntnisse für die Optimierung von Arbeitsabläufen und die Ressourcenzuweisung liefern.“