Schöne Aussichten?!
Peter Kariuki war 11 Jahre alt, als er sich selbst das Programmieren beibrachte. In seinem Dorf in Kenia war das Internet damals unbekannt, die meisten Bewohner hatten noch nicht einmal Strom. Durch Zufall hatte der Sohn von Kleinbauern jedoch in einem Copyshop einen Informatikstudenten getroffen, der ihm erstmals von Computern erzählte. „Die Begeisterung war sofort entfacht“, erzählt Kariuki.
Der kleine Junge druckte 400 Seiten eines Leitfadens zum Programmieren von C++ auf dem knarzenden Drucker seines Onkels aus und legte los. Heute ist der Kenianer 25 Jahre alt und Mitgründer von SafeMotos, einer Art Uber für Motorradtaxis in Ruanda. Das Start-up-Unternehmen ist so erfolgreich, dass es auch international für Aufsehen sorgt. Mehr als 600.000 Fahrten hat es bisher koordiniert – und es wächst und wächst.
Kariuki ist ein Musterbeispiel der jungen Unternehmergeneration, die in Afrika vielerorts gerade voranprescht. Die Nachwuchs-Entrepreneure sind gebildet, voller Tatendrang, wagemutig, mit einem ansteckenden Optimismus. „Unsere Generation will sich nicht mehr mit dem Bild Afrikas als rückständiger Kontinent abfinden. Die Zukunft liegt in Afrika“, sagt er.
54 Länder
gibt es in Afrika. Deutlich höher ist die Zahl der Sprachen und Volksgruppen, die jeweils bei über 2.000 liegt – von den Berbern im Norden bis zu den Khoisan im Süden. Während und nach der Kolonialzeit wurde bei Grenzziehungen wenig Rücksicht auf zwischengesellschaftliche Ver- und Unverträglichkeiten genommen – was bis heute zu vielen Konflikten auf dem heterogenen Kontinent führt.
Die Kraft der Jugend
Die Prognosen über die globale Bevölkerungsentwicklung geben ihm recht. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden bis 2100 vier von zehn Menschen auf der Welt in Afrika leben. Schon jetzt hat der Kontinent die jüngste Bevölkerung auf der Welt. 2015 waren 226 Millionen Einwohner zwischen 15 und 24 Jahre alt. Bis 2055 dürfte sich diese Zahl verdoppeln.
Die Zukunft liegt in Afrika
Peter Kariuki,
Mobilitätsjungunternehmer
Mit der wachsenden Bevölkerung vollzieht sich eine immer stärkere Migration vom Land in die Städte. Neue Megametropolen entstehen. Das bedeutet enorme sozioökonomische Herausforderungen auf dem Kontinent, aber auch Geschäftspotenzial. Für die Zukunft Afrikas spielt der technologische Fortschritt eine Schlüsselrolle. Die früheren industriellen Revolutionen sind an den Afrikanern weitgehend vorbeigegangen. Südlich der Sahara hat sich nur in Südafrika eine nennenswerte Industrie entwickelt.
Heute bieten erneuerbare Energien, das Internet und der Mobilfunk auch im restlichen Afrika Möglichkeiten, wie sie noch vor 20 Jahren unvorstellbar gewesen wären. „Vor allem die junge Bevölkerung in Afrika drängt es nach moderner Technik, nach Innovationen“, sagt Dianna Games, Direktorin der Beratungsgesellschaft Africa@Work in Johannesburg.
Entwicklungssprünge statt -schritte
„Leapfrogging“ („Bockspringen“) ist das große Schlagwort. Das Überspringen von Entwicklungsstufen: von chaotischen Sammeltaxis zu einem appgesteuerten öffentlichen Nahverkehr, von rußenden Kerosinlampen zu Haushalten, die mit Solarenergie versorgt werden, von traditionellen Wochenmärkten zu Onlinehändlern nach dem Vorbild von Amazon.
Teils preschen die Afrikaner sogar anderen voraus. Bestes Beispiel ist das 2007 in Kenia eingeführte Geldtransfersystem M-Pesa, das Banküberweisungen über das Handy ermöglicht. Millionen Menschen nutzen M-Pesa, nicht nur in Kenia, sondern auch in anderen afrikanischen Ländern. Faktisch wird 49 Prozent der kenianischen Wirtschaftsleistung darüber abgewickelt. Ein hoher Anteil der Afrikaner hat keinen Zugang zu klassischen Bankdienstleistungen. Ein Handy aber hat so gut wie jeder. „Ironischerweise liefert gerade die Rückständigkeit Afrikas in manchen Bereichen den großen Schub“, so Dianna Games. Nach Angaben der Vereinten Nationen nutzen zwölf Prozent der Erwachsenen in Afrika ein Mobile-Banking-Konto. Auf der ganzen Welt sind es durchschnittlich zwei Prozent.
Ob in Ruanda, Uganda, Kenia oder Nigeria – überall auf dem Kontinent tauchen Tech-Zentren auf. Sie heißen Silicon Savannah oder, im Falle Südafrikas, Silicon Cape. Tausende junge Programmierer tüfteln dort, wie sie auch die entferntesten Ecken des Kontinents in das 21. Jahrhundert befördern. Der Innovationsdrang lockt Venture-Capital-Gesellschaften, internationale Konzerne und Nichtregierungsorganisationen. „Es ist kein einfach zu erschließender Markt, aber für Unternehmen wie unseres bieten sich in Afrika unglaubliche Chancen“, sagt auch der zuständige Regionalvorstand bei Schaeffler, Prof. Rainer Lindner (Link zum Interview siehe unten).
Afrikanische Kontraste: ein junger Geschäftsmann in der Township von Kapstadt und das Geschäftszentrum von Ruandas Hauptstadt Kigali, das über einem Armenviertel thront
Segen und Fluch: die Industrie 4.0
Ob die Silicon Savannahs und Mobil-App-Entwickler aber den großen Aufschwung herbeiführen? Wie in Europa rollt auch in Afrika die Digitalisierung voran. Die vierte industrielle Revolution ist etwa in Südafrikas Autoindustrie im vollen Gange, aber auch in den klassischen Wirtschaftszweigen wie dem Bergbau und der Landwirtschaft wird damit experimentiert. „Die meisten afrikanischen Länder sind nicht auf Industrie 4.0 vorbereitet“, sagt Dianna Games. Daher könnten auch die vielen durch chinesische Infrastrukturprojekte versprochenen Arbeitsplätze am Ende der Automatisierung zum Opfer fallen.
Eine der großen Hürden ist das Bildungswesen. „Millionen Kinder in Afrika haben keine richtigen Klassenzimmer, keinen Zugang zu Strom, keine Computer“, sagt Games. Sie bekämen von den Lehrern Faktenwissen verabreicht, aber lernten nicht, selbst Ideen zu entwickeln. Die Regierungen in den meisten Ländern fingen erst jetzt an, sich mit den Herausforderungen einer digitalen Welt zu befassen. „Doch außerhalb von Konferenzräumen passiert viel zu wenig. Es reicht nicht, wenn jeder Mensch in Afrika als potenzieller Start-up-Unternehmer betrachtet wird. Wir brauchen Innovationen und wirtschaftliche Aktivitäten in einem viel größeren Ausmaß, um Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür muss der Staat die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.“
Zahlen und Fakten
Vorbild Ruanda
Erste „Champions“ aber gibt es auch auf staatlicher Seite: Ruanda, noch vor 25 Jahren Schauplatz eines grausamen Völkermordes, sorgt heute regelmäßig mit neuen Initiativen für Schlagzeilen, von einem eigenen Telekommunikationssatelliten, dem flächendeckenden Einsatz von Drohnen, dem Ausbau der Internetnetze bis hin zu einem Innovationszentrum in der Hauptstadt Kigali, das zu einem panafrikanischen Technologiehub werden soll. Der ruandische Präsident Paul Kagame ist Chairman der Smart-Africa-Initiative, die Afrikas digitale Wirtschaft vorantreiben will.
Mobilitätsjungunternehmer Peter Kariuki hofft, dass auch andere Länder dem Beispiel folgen. Mitgründer Barrett Nash und er hatten sich 2015 bewusst für Ruanda als Start- und Lernbasis entschieden. Das große Potenzial aber wittern sie woanders. Demnächst sollen die Motorräder von SafeMotos auch in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, unterwegs sein. „Es ist eine Stadt mit 15 Millionen Einwohnern, der Verkehr ist ein absoluter Albtraum, dort können wir eine Menge erreichen.“ Nur eine Baustelle von vielen auf dem Kontinent. Aber auch wenn es dort eine Unmenge von Problemen gibt, so ließen sich doch viele lösen, ist Kariuki überzeugt. „Man muss nur aus dem Fenster schauen und beschließen, etwas dagegen zu unternehmen.“
„Wir wollen dabei sein und unseren Beitrag leisten“
Interview mit Prof. Rainer Lindner, CEO der Subregion Central & Eastern Europe/Middle East & Africa der Schaeffler Gruppe, über Afrikas Zukunft.
Welche Pläne hat Schaeffler in Afrika?
Wir möchten unser Engagement auf dem Kontinent ausbauen und stärken. Grund dafür: Unsere bisherigen Aktivitäten entsprechen nicht den Chancen, die sich in Afrika bieten. Bis Ende des Jahrhunderts werden etwa vier Milliarden Menschen auf dem Kontinent leben. Es wird zahlreiche Megacitys geben wie Lagos oder Kairo. Das bedeutet unzählige Herausforderungen mit Blick auf Ernährung, Mobilität, Infrastruktur, Energieversorgung. Da wollen wir dabei sein und unseren Beitrag leisten.
Der einzige Produktionsstandort von Schaeffler für die Autoindustrie ist bisher in Südafrika. Hat Schaeffler auch das übrige Afrika im Blick?
Auf jeden Fall. Bis 2030 dürfte die Zahl der verkauften Neuwagen in Afrika zehn Millionen erreichen, das ist das Doppelte von heute. Langfristig werden zudem mehrere Produktionshubs entstehen: im südlichen Afrika, in Ostafrika und in Nordafrika. Dort, wo unsere Kunden produzieren, müssen wir auch sein. Neben Direktlieferungen an Autoproduzenten ist der Automotive Aftermarket ein wichtiger Geschäftszweig. Wir sehen aber nicht nur Chancen auf dem Automarkt, sondern auch in allen anderen Infrastrukturbereichen: Bahntechnik, Landwirtschaft, Energieversorgung, Ölförderung bis hin zum Straßen-, Brücken- und Hafenbau.
Die Chinesen expandieren in vielen Bereichen in Afrika, manche Länder wie Sambia werden schon als chinesische Kolonien bezeichnet. Haben deutsche Unternehmen überhaupt noch eine Chance?
Wir sehen China nicht als direkten Wettbewerber, sondern als Projektträger. Für das Vorhaben einer „Neuen Seidenstraße“ hat China ein riesiges Investitionsprogramm in Afrika gestartet: in Häfen, Pipelines, Eisenbahnnetze, in die digitalen Netze. Kaum ein Bereich bleibt ausgespart. Darin sehen wir Geschäftschancen.
Ist Ihr größeres Afrika-Interesse also dem Vorpreschen Chinas geschuldet?
Nicht nur, in vielen Ländern treiben auch die Regierungen Infrastrukturinitiativen und die Industrialisierung voran. Vieles ist in Bewegung geraten. Auch das Thema „Industrie 4.0“ beschäftigt viele.
Wenn man als Unternehmen in Afrika erfolgreich sein will, muss man fokussiert vorgehen: Man muss sich auf bestimmte Märkte, Produkte, Kunden konzentrieren
Prof. Rainer Lindner
Afrika gilt seit Langem als der letzte große Wachstumsmarkt auf der Welt. Doch viele Volkswirtschaften sind weiterhin von Krisen gebeutelt. Selbst Südafrika kann die eigene Stromversorgung nicht mehr garantieren. Wann kommt der Aufschwung?
Man darf nicht vergessen, dass Afrika aus 54 Ländern besteht. Wenn man als Unternehmen in Afrika erfolgreich sein will, muss man fokussiert vorgehen: Man muss sich auf bestimmte Märkte, Produkte, Kunden konzentrieren. Zu unseren Fokusländern gehören Nigeria, Algerien, Marokko, Kenia, Ghana, Äthiopien. Trotz der aktuellen Stromkrise ist natürlich auch Südafrika als das Schwergewicht auf dem Kontinent dabei. Außerdem handelt es sich für die deutsche Autoindustrie um einen wichtigen Standort mit langer Tradition.
Sie waren früher Geschäftsführer des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft. Sehen Sie Parallelen zwischen Osteuropa früher und Afrika heute?
Wir stehen in Afrika vor einer ähnlichen Entwicklung wie in Osteuropa vor 20 oder 30 Jahren, als diese Märkte als Low-Cost-Produktionsstätten dienten. Ähnlich wie in Osteuropa damals spielen der Staat und staatliche Unternehmen in Afrika eine große Rolle, es gibt Probleme wie Korruption, eine rege Binnenmigration findet statt. Ähnlich wie in Osteuropa besteht auch ein großes Geschäftspotenzial. Um es zu realisieren, muss man allerdings den lokalen Kontext kennen und sich vor Ort engagieren.
Wie sieht Ihr Zukunftsszenario für Afrika aus?
Wir werden auf dem gesamten Kontinent ein starkes Bevölkerungswachstum sehen: 2030 werden 17 Städte mehr als fünf Millionen Einwohner haben, in einigen Megastädten werden es mehr als 20 Millionen Einwohner sein. Der Kontinent wird sich aber nicht gleichmäßig entwickeln. Es wird Inseln der Modernisierung und Verlierer geben. Die Diversität wird noch zunehmen.
Ist Afrika eine Herausforderung?
Es ist kein Markt, der sich einfach erschließen lässt. Aber für Unternehmen wie unseres bieten sich unglaubliche Chancen. Wir sind daher mit der Entwicklung und Umsetzung unserer Afrika-Strategie zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, um diese Chancen zu nutzen und mitzugestalten.