Schiff ahoi, Crew Goodbye!

Von Lars Krone
Autonom sich fortbewegende Fahrzeuge sollen zukünftig auch auf dem Wasser eine wichtige Rolle spielen. Im Interview erklärt Dr. Christian Masilge, Managing Director der Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam, welche Vorteile diese Technologie bietet und warum er sich den Einsatz autonomer Boote in wasserreichen Metropolen vorstellen kann.
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Was sind die Pluspunkte autonomer Boote und Schiffe?
„Aktuell befindet sich das ganze Verkehrswesen im Umbruch. Die Schifffahrt kann dabei einen wichtigen Beitrag zur Lösung unserer heutigen Transportprobleme leisten. Denn die Wasserstraßen und vor allem die Binnenwasserstraßen sind die einzigen Verkehrsträger, die derzeit noch freie Kapazitäten haben. Das bietet sehr viel Potenzial, das Verkehrsaufkommen vor allem auf der Straße zu reduzieren. Derzeit werden die Wasserstraßen nur wenig genutzt, weil der Verkehrsträger Binnenschiff beim Waren- und Gütertransport zumindest in weiten Bereichen unattraktiv ist.“

Schiff ahoi, Crew Goodbye!
Dr. Christian Masilge
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Wie können Technologien des autonomen Fahrens für mehr Attraktivität sorgen?
„Da gibt es gleich mehrere Bereiche. Zum einen hat die Binnenschifffahrt in Deutschland und Europa ein riesiges Nachwuchsproblem und das aktuelle Personal hat einen sehr hohen Altersdurchschnitt. Zudem erfordern die Vorschriften, dass immer mindestens zwei Personen an Bord sein müssen. Bei großen Schiffen sogar noch mehr. Wenn man also Gewässer bedienen will, auf denen nur kleine Einheiten mit einer Länge von 40 Metern oder darunter eingesetzt werden können, geht das heute einfach nicht mehr, da es kostenmäßig nicht zu tragen ist. Eine Lösung wäre der Einsatz autonomer Boote (siehe Beispiele unten). Damit könnte man auf Personal verzichten, zudem wären sie 24/7 einsetzbar. Ein weiterer Vorteil bei einem 24/7-Einsatz der Schiffe wäre, dass man sie so auch möglichst energieeffizient einsetzen kann. So ist ein Schiff, das langsam fährt, energieeffizienter als ein schnelleres Schiff. Durch eine digitale Überwachung könnte man die Schiffe dann so steuern, dass sie zum Beispiel vor Schleusen oder Hebewerken nicht warten müssen.“

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Ihr Forschungsprojekt A-SWARM zielt genau in diese Richtung …
„Genau. Das Binnenschiff ist heute als Massenguttransporter auf großen Strömen wie dem Rhein im Einsatz. Aber aus den ganzen angrenzenden Gebieten hat sich das Schiff immer weiter zurückgezogen. Wir – aber auch andere Unternehmen – entwickeln daher kleine autonome Boote, die vor allem in Städten eingesetzt werden sollen und vielfältig genutzt werden können. Man könnte zum Beispiel mit ihnen Pakete in der Nacht an Verteilhubs bringen, von wo aus dann Lastenräder oder Elektrotransporter die letzte Meile übernehmen würden. Dadurch könnten zahlreiche Transporte auf der Straße vermieden werden. Die autonomen Boote könnten auch zur Müllentsorgung oder für Lebensmitteltransporte eingesetzt werden. Da gibt es eigentlich keine Grenzen und das eröffnet der Binnenschifffahrt neue Felder, die aktuell nicht bedient werden können.“

Was sind die größten Herausforderungen beim Entwickeln der autonomen Boote?
„Autonome Schiffe für die Binnenschifffahrt zu entwickeln ist von vornherein eine größere Herausforderung als für die Seeschifffahrt. Dort fahren heute schon teilautomatisierte Schiffe über die Weltmeere. Autopiloten oder Kollisionswarnsysteme übernehmen dabei wichtige Rollen. Es gibt zwar eine Besatzung, die das Geschehen überwacht, aber rein theoretisch könnte das Schiff nach dem Verlassen des Hafens bis zum nächsten Hafen weitgehend allein fahren. Weitergehende Dinge sind dagegen noch in der Entwicklung, sprich: Was passiert bei einer Begegnung mit einem anderen Schiff oder bei einer Havarie. In der Binnenschifffahrt gibt es noch zusätzliche Herausforderungen. Da ist das relativ enge Fahrwasser, es gibt Brücken und Schleusen und vor allem auch eine wesentlich höhere Verkehrsdichte. Das stellt ganz besondere Anforderungen an automatische Systeme.“

Wie funktionieren diese Systeme?
„Wir haben beim Projekt A-SWARM die Navigation in zwei Bereiche geteilt. Da ist zum einen die sogenannte Fernfeldnavigation. Hier wird auf GPS gesetzt, das schon eine sehr genaue Navigation ermöglicht. Als zweiten Bereich gibt es die sogenannte Nahfeldnavigation. Hier kommen bei der Sensorik Radar- und Lidarsysteme zum Einsatz, mit denen die direkte Umgebung der Boote beobachtet wird. Das Ziel unserer Entwicklung ist es, dass die Nahfeldnavigation so ausgebaut wird, dass sie auch eine Positionierung ermöglicht. Damit wäre man dann nicht mehr auf das GPS angewiesen, da dieses auch äußeren Einflüssen wie „Spoofing“ und „Jamming“ ausgesetzt ist, also dass durch lokale Verzerrungen oder Störungen der genaue Standort nicht bestimmt werden kann. Es wird bei autonomen Systemen daher immer notwendig sein, Plausibilitätschecks zu machen, ob die empfangenen Daten auch wirklich stimmen. Die bei der Nahfeldnavigation durchgeführten Rechenoperationen der KI können übrigens sehr gut als Testfeld für den autonomen Straßenverkehr genutzt werden.“

Neben den technischen Herausforderungen müssen für den Einsatz autonomer Boote auch rechtliche Voraussetzungen erfüllt werden. Wie wird sich dieser Bereich weiterentwickeln?
„Wie beim autonomen Fahren beim Auto gibt es auch auf dem Wasser derzeit noch eine Menge Hindernisse und Hürden zu überwinden, nicht nur technischer Art, sondern auch verwaltungstechnischer und juristischer Art. Momentan ist es zum Beispiel gar nicht möglich, ein Wasserfahrzeug einzusetzen, das keinen Schiffsführer hat. Die Behörden in Deutschland und der EU arbeiten daran, aber es gibt eine Fülle von Punkten, die dabei tangiert werden. Grundsätzlich zum Beispiel: Wer trägt die Verantwortung und wer hat die Haftung? Aktuell sind die Behörden dabei, die oft mehrere Hundert Seiten und unzählige Paragraphen umfassenden Gesetze und Vorschriften zu durchkämmen, um Stellen zu finden, bei denen es gegebenenfalls Auswirkungen durch den autonomen Schiffsverkehr geben könnte. So ist zum Beispiel jeder Schiffsführer gesetzlich verpflichtet zu helfen, wenn ein anderes Schiff in Not ist oder jemand über Bord gegangen ist. Wie regelt man dies zukünftig bei einem autonomen Schiff? Die Verwaltungsseite wird aber die erforderlichen Dinge lösen, die technische Seite ist auf jeden Fall die größere Herausforderung.“

Schiff ahoi, Crew Goodbye!
Kapitäne könnten zukünftig in entfernten Steuerzentralen sitzen und dort Positionsdaten empfangen, um das Schiff sicher zu manövrieren© Rolls Royce

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen, wann könnten die autonomen Schiffe in Metropolen zum Waren- und Gütertransport tatsächlich im regulären Betrieb eingesetzt werden?
„Das ist schwierig zu sagen. Weltweit gibt es ja erste Testeinsätze im Fährbetrieb oder in der Seefahrt. Wie bereits gesagt: Die Binnenschifffahrt auf wechselnden und anspruchsvolleren Routen ist deutlich komplexer. Hier wird es sicher noch länger dauern. Wir sind im Moment bei unseren Entwicklungsträgern auf dem Autonomielevel 2. Sie sind mit einem Bahnführungsassistenten ausgerüstet, lenken, beschleunigen und bremsen also selbstständig. Im nächsten Schritt sollen sie das Umfeld erkennen, selbst Entscheidungen treffen und zum Beispiel Ausweichmanöver vornehmen. Bei diesem Level 3 muss weiterhin eine Eingriffsmöglichkeit von Hand vorhanden sein. Um eine Vollautonomie ohne Eingriffsmöglichkeiten zu erreichen, müsste man auch hinterfragen, ob diese wirklich gewünscht ist, oder es zum Beispiel ein Kontrollzentrum gibt, von dem die Schiffe gegebenenfalls ferngesteuert werden können. Rein technisch wird es noch einige Jahre dauern, bis Binnenschiffe selbstständig von A nach B fahren und vielleicht sogar die Route selbst festlegen. Ich denke, dass wir wohl noch mindestens zehn Jahre brauchen werden, bis sie eingesetzt werden können. Dazu gehören dann alle Faktoren, nicht nur die technische Reife, sondern auch die Vorschriftenentwicklung und die Infrastruktur.“

Beispiele autonom fahrender Schifffahrtsprojekte

Klimaforscher

© IBM/Promare

Mit der „Mayflower“ soll eine neue Ära der Ozeanforschung eingeleitet werden. Der 15 Meter langen Trimaran sammelt wichtige maritime Daten, um unter anderem den Klimawandel besser zu erforschen. Dank KI soll die „Mayflower“, benannt nach dem berühmten britischen Auswanderersegelschiff des 17. Jahrhunderts, vollkommen autonom und ohne Wissenschaftler an Bord unterwegs sein – was für eine deutlich gesteigerte Kosteneffizienz sorgt. „Die meisten Meeresdaten, die wir haben, werden auf kommerziellen Schiffsrouten gesammelt", sagt Brett Phaneuf, Direktor des Projekts Mayflower Autonomous Ship (MAS). „Um die restlichen Gebiete zu erforschen, können wir es uns als Gesellschaft nicht leisten, weiterhin riesige Forschungsschiffe für 50 bis 100 Millionen Dollar zu bauen. Selbst wenn wir das täten, hätten wir nie genug davon. Gleichzeitig können wir es uns aber auch nicht leisten, den wachsenden Bedarf an Meeresforschung zu ignorieren.“

Schiff ahoi, Crew Goodbye!© IBM/Promare

Tausendsassa

© MIT/AMS Institute

Amsterdam hat ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2030 soll der komplette Verkehrssektor der niederländischen Metropole emissionsfrei sein. Ein wichtiger Baustein dabei: autonome Boote, denn Amsterdam verfügt über mehr als 80 Kilometer befahrbare Wasserstraßen. Zentrales Projekt ist hier das „roboat“, das bereits auf den Grachten erprobt wird. Die geplanten Einsatzmöglichkeiten der elektrisch angetriebenen „roboats“ sind vielfältig: Je nach Variante haben sie eine Länge von 0,9 bis vier Metern und können als On-Demand-Wassertaxi oder Fähre mit fester Route, bei der Müllabfuhr oder beim Warentransport eingesetzt werden, aber auch als temporäre, modulare Brücken, um während der Rushhour den Straßenverkehr zu entlasten.

  •  Vielseitig einsetzbar als Wassertaxi, ...
    Vielseitig einsetzbar als Wassertaxi, ... © MIT/AMS Institute
  • … als Müllentsorgungsboot ...
    … als Müllentsorgungsboot ... © MIT/AMS Institute
  • … oder als mobile Brücke
    … oder als mobile Brücke © MIT/AMS Institute

Vorreiterin

© Knut Brevik Andersen/Wilhelmsen Ship Service

Im Herbst 2021 sorgt die „Yara Birkeland“ als weltweit erstes autonomes und emissionsfreies Containerschiff mit ihrer Jungfernfahrt für Aufsehen. In diesem Jahr beginnt sie mit dem Testbetrieb. Der Düngemittelhersteller Yara International, der das Schiff betreibt, will so 40.000 Lkw-Transporte pro Jahr einsparen. Die fast 80 Meter lange „Yara Birkeland“ hat eine Ladekapazität von 120 Standardcontainern oder 3.120 Tonnen. Ihre Batterie mit einer Speicherkapazität von 6,8 MWh wird durch grünen Strom gespeist, der mit Wasserkraft erzeugt wird.

Im Schwebezustand

© Muthesius Kunsthochschule Kiel

Spektakulär ist die autonome „Floating Platform“ des Projektes VAIARO. Die Studie wurde für die norddeutsche Hafenstadt Kiel konzipiert und soll eine neue Form der Mobilität auf dem Wasser darstellen. Sie wird vom Bundesverkehrsministerium gefördert. Die an ein Hydrofoil erinnernde, autonome und rein elektrische Fähre verfügt über eine über dem Wasser schwebende Kabine. Von dort haben die Passagiere einen spektakulären Blick über die Kieler Förde, in der die einzigartige „Floating Platform“ nicht nur ein fester Bestandteil des öffentlichen Nahverkehrs werden soll, sondern auch ein absolutes Highlight für Touristen.

Das Projekt wurde von Industriedesign-Studierenden und -Absolventen der Muthesius Kunsthochschule entworfen.

Hafen der Zukunft

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Der Hafen von Singapur ist mit mehr als 36 Millionen pro Jahr umgeschlagenen Containern der zweitgrößte der Welt. Um ihn fit für die Zukunft zu machen, gründete die Hafenbehörde des Stadtstaats 2019 das Maritime Innovation Lab (MIL). Ein Forschungsgebiet: neue Technologien. Ein wichtiger Eckpfeiler für die zukünftige Hafenentwicklung ist die autonome Schifffahrt. So entwickelt Singapur selbstfahrende Schlepper, Lotsenboote und Fähren, die teilweise bereits getestet werden. Andere Schiffe sollen zudem zukünftig per Fernsteuerung vom Ufer aus gelenkt werden. Zusammen mit einem digitalen Verkehrsmanagementsystem sollen eine gesteigerte Effizienz, mehr Sicherheit und geringere Kosten erzielt werden.

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Typisch für Singapur: Vor dem Hafen stauen sich Dutzende Containerriesen, autonom fahrende Schiffe könnten Abhilfe schaffen© Getty