Kleine und große Helfer
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Juni 2022

Kleine und große Helfer

Von Lars Krone und Volker Paulun
Die Evolution der Roboter nimmt rasant Fahrt auf. Die Maschinenhelfer lernen immer schneller: sich zu bewegen, besser zu sehen, feinfühliger zu tasten und zu riechen. Auch beim Lernen selbst werden sie immer eigenständiger. Gleichzeitig werden die Malocher unter ihnen immer leistungs- und widerstandsfähiger und befreien menschliche Kollegen von schwerer und gefährlicher Arbeit. Ein Lagebericht aus der Maschinenwelt.

Die altehrwürdige Universität in Cambridge hat mehr Nobelpreisträger hervorgebracht als jede andere Lehranstalt der Welt. Ob es in absehbarer Zukunft auch ein Robotor made in Cambridge so weit bringt, bleibt abzuwarten. Aber schon jetzt wird Robotern dort einiges beigebracht. Jüngst sorgten Wissenschaftler aus Cambridge mit einem Kochroboter für Schlagzeilen, der das Schmecken gelernt hat. Parallel zu den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Industrie wird die Evolution der Robotik in vielen Universitäten rund um den Globus vorangetrieben. An der ETH Zürich wird an einer künstliche Haut gearbeitet, die Robotern zu einem menschenähnlichen Tastsinn verhelfen soll. Allein die Beispiele aus Cambridge und Zürich machen deutlich, wie schnell sich die Robotik in Bereiche vorgearbeitet hat, die noch vor wenigen Jahren allerfeinste Science-Fiction-Utopie waren. Gerade einmal sechs Jahrzehnte hat es vom ersten hydraulischen Roboter in der Industrie bis zum Status quo gebraucht.

Roboter seit 60 Jahren im Einsatz

Den ersten lernfähigen Roboter lässt sich George Devol 1954 patentieren und legte so den Grundstein der modernen Robotik. Zwei Jahre später gründet Devol mit Joseph Engelberger (später „Vater des Industrieroboters“ genannt) das erste Roboterunternehmen. Die Unimation genannte Zukunftsschmiede ist es auch, die 1961 den ersten hydraulischen Industrieroboter an den Kunden General Motors verkaufte. Wie schon beim Fließband ist die Autoindustrie damit Trendsetter. Der Premieren-Roboter verarbeitet Spritzgussteile – und das so schnell und präzise, dass General Motors bereits 1964 nicht weniger als 66 weitere solche Maschinen bei Unimation bestellt. Auch andere Unternehmen ziehen nach. Sowohl hersteller- als auch nutzerseitig.

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Leichthändig und präzise jongliert dieser 2,5 Meter hohe und 3 Tonnen wiegende Industrieroboter im Seat-Werk mit schweren Karosserie-Seitenwänden© Schaeffler

1973 ist der KUKA Famulus ein nächster Meilenstein, der erste Sechs-Achsen-Roboter der Welt. Mit ihm beginnt im Karosseriebau eine neue Ära. In den folgenden Jahren entwickeln sich die Industrieroboter immer weiter. Elektromotoren ersetzen die hydraulische Steuerung, Sensoren ermöglichen sensitivere Arbeiten oder autonomes Fortbewegen in der Fabrik.

Heute sind Roboter aus der Produktion nicht mehr wegzudenken. Im Jahr 2021 waren nach Angaben der International Federation of Robotics (IFR) weltweit mehr als drei Millionen Industrieroboter im Einsatz, jährlich kommen rund 400.000 neue hinzu. 2010 lag die Zahl noch bei 120.000 Stück. Der Markt boomt.

„Der Einsatz von Robotern nimmt sowohl in traditionellen als auch ganz neuen Branchen zügig an Fahrt auf“, beobachtet auch Milton Guerry, Präsident der IFR. „Immer mehr Unternehmen erkennen die zahlreichen Vorteile, die Robotik und Automation für ihr Geschäft bieten.“ Auch Ralf Moseberg, Leiter Geschäftsbereich Industrial Automation bei Schaeffler, betont: „Der Aufholbedarf im Bereich Robotik und Automatisierung ist weltweit enorm. Die große Nachfrage trifft dabei auf ein Angebot, das immer besser wird. Die technische Entwicklung ermöglicht auch uns als Zulieferer heute Lösungen, die vor wenigen Jahren gar nicht oder nur zu deutlich höheren Kosten umsetzbar gewesen sind. Die Roboter werden immer flexibler, schneller, präziser, effizienter und damit auch für kleinere bis mittlere Betriebe finanzierbarer.“

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Haushalten in Europa nutzt bereits einen Roboter. Den Anfang machten Mähroboter. Der Hersteller Husqvarna präsentierte 1998 das erste Modell, das nicht nur autonom mähte, sondern auch selbstständig zurück zur Ladestation fuhr. Saugrobotern gelang 2001 dank des iRobot Roomba der Durchbruch. Wisch- und Fensterputzroboter folgten. 2021 wurden weltweit 6,7 Mrd. US-Dollar für 31,2 Millionen Haushaltsroboter ausgegeben. 2023 sollen es schon 10 Mrd. sein. Errechnete Zeitersparnis in der Haushaltsführung: bis zu 14 Std. pro Woche.

Quelle: International Federation of Robotics

Zahlen der IFR untermauern die Einschätzungen des Schaeffler-Experten, dass es global einen großen Aufholbedarf gibt. Im Vor-Corona-Jahr 2019 kamen in Südkoreas Autoindustrie auf 10.000 Mitarbeitende 2.743 Industrieroboter. Ein weltweiter Spitzenwert, denn der globale Branchenschnitt lag bei gerade einmal 722 Stück. Branchenübergreifend sinkt der Wert auf überschaubare 113. Bei den kompakten kollaborativen Robotern, kurz Cobots, waren es sogar nur vier Stück pro 10.000 menschlichen Kollegen.

Vereinfachtes Anlernen

Ein wichtiger Punkt hilft bei der Aufholjagd, sagt Moseberg: „Sowohl Industrieroboter als auch die kompakteren Cobots sind immer einfacher zu programmieren und implementieren.“ Gerade bei großen Industrierobotern, die abgeschirmt vom Menschen arbeiten, um einen sicheren Betrieb zu gewährleisten, erwiesen sich die Implementierungskosten als echte Verbreitungsbremse. Kein Wunder also, dass vor allem kleine und mittelständische Unternehmen damit hadern, noch einmal das Zwei- bis Dreifache des Roboterpreises an Einrichtungskosten aufzubringen.

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Ein Zukunftstrend: Cobots, die auf autonom fahrenden Plattformen installiert sind und so selbstständig den Arbeitsplatz wechseln können© Neura Robotics

Einen interessanten Ansatz, die Hürde zu senken, verfolgt auch Schaeffler: „Wir setzen auf eine vereinfachte Installation und Inbetriebnahme“, erklärt Automatisierungsexperte Moseberg. „Mit der sogenannten Teach-in-Funktion erlernen Cobots Bewegung, indem man Abläufe durch Führung mit der Hand einstudiert. Die in unseren Getrieben implementierte Sensorik unterstützt bei der nötigen Datenerfassung. Eine Programmierung wird dadurch deutlich vereinfacht.“

Intuitive Benutzeroberflächen, die mit Symbolen arbeiten, folgen ebenso dem Trend zur vereinfachten Implementierung wie der Aufbau kompletter Hard- und Software-Ökosysteme wie man sie aus dem Smarthone kennt. Aus einem App-Store sollen sich Kunden vorkonfigurierte Applikationen für einfache und häufig nachgefragte Anwendungen herunterladen, mit denen sich Greifer, Sensoren und Steuerungen leicht einbinden lassen.

Kleine und große Helfer© Schaeffler

„Cobots haben eine deutlich höhere Bewegungsfreiheit als klassische Industrieroboter, was ganz neue Anwendungsfelder erschließt.“

Ralf Moseberg, Leiter Geschäftsbereich Industrial Automation bei Schaeffler
Neue Arbeitsfelder für Roboter

Neben der vereinfachten Implementierung und Bedienung führen weitere Faktoren zu einer immer schnelleren Verbreitung der behänden Maschinen. Ein wichtiger Beweggrund, auf Roboter zu setzen, ist der Arbeitskräftemangel. Auch Branchen, bei denen Roboter bislang keinen Arm in die Tür bekommen haben, setzen sich dadurch notgedrungen mit dem Thema Automatisierung auseinander. Dazu gehören vor allem Unternehmen, die aufgrund von kleinen Stückzahlen oder komplexen Arbeitsvorgängen bislang auf Handarbeit angewiesen waren. Ebenso setzen sich Gastronomie, Einzelhandel sowie Logistik und Landwirtschaft erstmals mit der Robotik auseinander.

Die IFR stellte in ihrem aktuellen Trendreport zudem fest, dass sich durch das wandelnde Konsumverhalten hin zu personalisierten Produkten und Lieferungen sowie den durch die Pandemie nochmals beflügelten Onlinehandel im Konsumsektor geradezu ein Nachfrageboom nach Robotern entwickelt hat. Weltweit, so heißt es in dem Papier, seien heute in diesem Segment Tausende von Robotern im Einsatz, an die vor fünf Jahren noch nicht zu denken war. „Auch wir bei Schaeffler stellen eine massiv gestiegene Nachfrage nach Robotern, aber gerade auch Cobots in nicht industriellen Bereichen wie dem Gesundheitswesen, dem Lebensmittelsektor und der Logistik fest“, bestätigt Ralf Moseberg.

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Auch wegen des Fachkräftemangels kommen in der Medizin immer mehr Roboter zum Einsatz. Hygiene, Sensorik und Ausfallsicherheit stehen hier bei der Entwicklung besonders im Fokus© Robert

Klassische Anbieter großer Industrieroboter wie Fanuc, ABB, KUKA, Yaskawa oder auch Siasun wollen vom noch jungen, aber unübersehbaren Trend hin zum Cobot ebenfalls profitieren und drängen in diesen Wachstumsmarkt. KUKA-Chef Peter Mohnen formulierte es augenzwinkernd so: „Wir kommen nicht als Erste zur Cobot-Party – die Party hat aber auch noch nicht richtig begonnen.“

Auch Schaeffler-Experte Moseberg ist ein Cobot-Fan. „Die Cobots interagieren direkt mit den Menschen und man braucht keine Sicherheitskäfige mehr“, erklärt er. „Dadurch haben sie eine deutlich höhere Bewegungsfreiheit als die klassischen Industrieroboter, was ganz neue Anwendungsfelder erschließt. Diese neuen Felder stellen natürlich ganz andere Anforderungen als die Großserienfertigung.“

Dies bedarf innovativer technischer Lösungen. „Bei Medizinrobotern beispielsweise kommen medizinisches Personal, Patient und Roboter in sehr engen Kontakt und das Messen kleinster Kräfte zum Beispiel durch Berührungen ist essentiell“, fährt Moseberg fort. „Wir haben hierfür Drehmomentsensoren in Wellgetriebe integriert, die in der Lage sind, sehr genau und bei der Beibehaltung von hoher Genauigkeit der Steuerung solche Kräfte zu messen.“

Moseberg erwartet aber noch eine weitere Entwicklung: „Verschiedene technische Bereiche werden weiter zusammenwachsen. Ein Beispiel ist die Kombination von AGVs (Automated Guided Vehicles) und Cobots, also ein auf einer autonom fahrenden Plattform installierter, vielseitig einsetzbarer Roboter, der selbstständig dorthin fährt, wo er benötigt wird.“ Auch bei der digitalen Vernetzung entsteht durch Interdisziplinarität ein Mehrwert. So sammeln Cobots während ihres Einsatzes Daten, die in Echtzeit an die IT-Systeme weitergeleitet werden. Diese verarbeiten die Informationen sofort und spielen sie zurück an die Produktion, wodurch der Produktionsprozess kontinuierlich optimiert werden kann. Dieses „nachhaltige Engineering“ ist für Moseberg ein starker Hebel, um Energie und Rohstoffe einzusparen.

Zu den stetig steigenden Anforderungsprofilen an Roboter gehört auch die Standfestigkeit gegenüber extremen Bedingungen. „Schließlich sollen Cobots und Roboter Menschen gerade bei den Tätigkeiten ersetzen, die für Menschen eine besondere Belastung darstellen“, erklärt Moseberg. „Zum Beispiel bei sehr hohen oder niedrigen Temperaturen oder dem Handling schwerer Gewichte. Die Frage ist: Wo gibt es welche Arbeitsbedingungen und an welchen Stellen kann man eine Erleichterung erzielen? Diese Bereiche werden wir uns verstärkt anschauen. Eines unserer Angebote hier sind XZU-Lager, die es erlauben, Leichtbauroboter mit noch höheren Gewichten zu belasten, ohne einen höheren Verschleiß bei den Getrieben zu erleiden.“

Fitnessprogramm für klassische Industrieroboter

Parallel zum Vormarsch der Cobots entwickelt sich auch der klassische Industrieroboter weiter, der schon heute eine Tragkraft von mehreren Tonnen und eine Reichweite von bis zu fünf Metern hat. „Höhere Präzision, kleinerer Footprint, höhere Effizienz und längere Wartungsinvalle sind hier die Themen, mit denen wir uns natürlich auch beschäftigen“, fasst Schaeffler-Experte Moseberg zusammen.

Und auch das ist ein Fokusfeld der Entwickler klassischer Industrieroboter: weg von der Beschränkung auf vordefinierte Aufgaben, hin zu mehr Flexibilität. Nur so können Unternehmen schneller auf Marktveränderungen reagieren. Neben der einfacheren Programmierung ist eine modulare Bauweise der Roboter ein wichtiger Faktor, der es ermöglicht, sie für verschiedene Anwendungsfälle nutzbar zu machen.

Für Roboterfachmann Moseberg steht auf jeden Fall fest: „Für mich ist eine ‚factory for tomorrow‘ ohne Roboter nicht denkbar und zwar in beide Richtungen – sowohl was das Thema Cobots als auch die größeren Industrieroboter angeht, weil moderne Produktionen für beiden Varianten Einsatzbereiche haben.“

Robotik-Innovationen von Schaeffler

Auf der Hannover Messe 2022 hat die Industriesparte von Schaeffler gleich mehrere Neuentwicklungen im Bereich Automation vorgestellt. Für Leichtbauroboter und Cobots sind dies neue Hauptlager, Motoren, Getriebe sowie eine vollinte­grierte Sensorik. „Mit unserem Lösungspaket können Cobots beispielsweise um bis zu 50 Prozent schneller sein oder entsprechend höhere Lasten transportieren. Für die Sensitivität bieten wir ein innovatives Konzept: unsere sensorisierten Präzisionswellgetriebe. Weitere Anwendungsfelder werden sich so erschließen lassen“, erklärt Ralf Moseberg, Leiter Geschäftsbereich Industrial Automation bei Schaeffler. Der Technologiekonzern verfügt über die notwendigen Produktionskapazitäten und über das Qualitätsmanagement für mittlere und große Serien und alles Weitere, was nötig ist, um den künftigen Bedarf an Systemkomponenten für Leichtbauroboter zu decken.

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Sensorisierte Präzisionswellgetriebe für Cobots sind von Schaeffler für anspruchsvolle, besonders dynamische Anwendungen mit einem hohen Drehmomentniveau entwickelt worden© Schaeffler

Für Industrieroboter hat Schaeffler ein Präzisionsplanetengetriebe-Portfolio der PSC-Baureihe vorgestellt. Dieses zeichnet sich im Vergleich zum Marktstandard durch ein um den Faktor zehn geringeres Verdrehspiel und eine um den Faktor drei verlängerte Gebrauchs­dauer aus. Darüber hinaus verfügen die Präzisionsplanetengetriebe über eine Verschleißkompensation, die das extrem kleine Verdrehspiel konstant hält. „Derartig große Entwicklungssprünge sind sehr selten und eine Chance für die Industrierobotik, bisherige Grenzen zu überwinden“, sagt Moseberg. Um sich in ­diesem Bereich strategisch zu verstärken, hatte Schaeffler Anfang des Jahres die Melior Motion GmbH (heute Schaeffler Ultra Precision Drives GmbH) übernommen. Der Hersteller von Präzisionsgetrieben für Industrieroboter gehört zu den Innovationstreibern in dem Bereich und ermöglicht mit seinen Produkten eine hochpräzise Positionierung und Wiederholgenauigkeit von Robotern bei besonders langer Lebensdauer. Für Schaeffler ist die Robotik insgesamt, also auch die großen Industrieroboter, ein Feld mit großem Wachstumspotenzial.

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Schaeffler bietet ab sofort Präzisionswellgetriebe und Präzisionsplanetengetriebe (Foto) für Knickarmaroboter für alle Achsen und Traglasten an – von wenigen Kilogramm bis über 100 kg© Schaeffler
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Weniger Bauraum, geringeres Gewicht, höhere Momentendichte und durchschnittlich 80 Prozent höhere Drehzahlen bieten die Motoren der Baureihe UPRS von Schaeffler im Vergleich zu marktgängigen Antrieben© Schaeffler