Wellenreiter
© Regent
Oktober 2021

Wellenreiter

Von Volker Paulun
Halb Flugzeug, halb Fähre: Wassergleiter surfen effizient auf einem Luftpolster und schicken sich an, eine wichtige Rolle in der interurbanen Mobilität zu spielen. Neu ist das Prinzip allerdings nicht.

Der Westen ist geschockt. Mitten im Kalten Krieg, im September 1966, fotografieren US-Satelliten ein, ja, ein was? Liegt da ein Flugzeug im Hafenbecken eines sowjetischen Marinestützpunktes? Oder eine neue Bootsklasse? Es ist ein Hybrid aus beiden, ein Wassergleiter. Und ein solch gigantischer, dass ihn US-Geheimdienstler ehrfurchtsvoll „kaspisches Seemonster“ nennen. 100 Meter ist der Gigant lang, die größte Boeing 747 bringt es auf 78 Meter. Die Startmasse liegt mit 550 Tonnen um 100 Tonnen höher als beim Jumbo. Was westliche Militärs aber besonders beunruhigt: Als Wassergleiter fliegt er in maximal 14 Meter Höhe buchstäblich unter dem Radar. Und das mit bis zu 500 km/h.

Surfen auf der Luftrolle

Heute wissen wir, dass die Angst unbegründet war. Das Seemonster blieb ein Einzelstück und ging schließlich 1980 nach einem Pilotenfehler unter. Seine Handvoll Nachfolger sind heute nur noch Museumsstücke. Auch in anderen Ländern griffen Ingenieure die Idee auf, ein großer kommerzieller Erfolg stellte sich aber bislang nicht ein. Dabei sind solche Wassergleiter dank des von ihnen genutzten Bodeneffekts („Ground effect“) echte Effizienzkönige. Durch diesen aerodynamischen Effekt bildet sich unter den Tragflächen und dem Rumpf eine Luftrolle oder auch -walze, auf der die Gleiter energiesparend surfen können. Zweiter Effizienzvorteil: Im Gegensatz zum normalen Flugzeug wird ein Wassergleiter nicht durch sogenannte Wirbelschleppen eingebremst. Insgesamt soll das bodennahe Gleiten bis zu 40 Prozent effizienter sein als das in luftigen Höhen.

Da stellt sich unweigerlich die Frage, warum sich das Prinzip bislang nicht durchgesetzt hat? Ein entscheidender Grund: Der Bodeneffekt ist umso größer, je tiefer die Maschine fliegt. Flughöhen deutlich unter einem Meter sind aus Effizienz­gesichtspunkten ideal. Solch niedrige Flughöhen schließen den Einsatz über dem mit Hindernissen aller Art gespickten Erdboden fast gänzlich aus. Daher der Name Wassergleiter. Aber auch Gewässer sind nicht immer spiegelglatt. Wellen, Bojen, Schiffe, Offshore-Windanlagen oder Brücken – vieles kann sich Wassergleitern in den Weg stellen. Die vor den Gleitern hinwegrollende Walze kann überdies schwere Sturmschäden verursachen. Außerdem hatte das extrem bodennahe Fliegen nicht zu unterschätzende ­Tücken.

Auftrieb durch neue Rahmenbedingungen und Techniken

Alles in allem viele Nachteile, die den Effizienzvorteil gegenüber Flugzeugen wegschmelzen ließen, zumal Flugbenzin billig zu haben war. Der Klimawandel und damit einhergehende strenger werdende Emissionsvorgaben und steigende Energiekosten scheinen der Idee des Wassergleiters nun wieder Auftrieb zu geben.

Großer Vorteil der Wassergleiter: Dank ihres Effizienzvorteils sind sie deutlich besser für den Umstieg auf batterieelektrische Antriebe geeignet als Flugzeuge. Außerdem sind die wichtigen selbstregulierenden Stabilisierungsprogramme durch den technischen Fortschritt immer besser und kostengünstiger geworden.

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Die Elektrifizierung der Luftfahrt ermöglicht neue sowie wiederbelebte Konzepte wie Wassergleiter. Dabei spielen Leistungsdichte und Zuverlässigkeit der elektrischen Antriebseinheiten eine große Rolle. Schaeffler wird diese Technologien und den noch sehr jungen Markt verfolgen und bewerten

Dr. Peter Glöckner,
Leiter Forschung & Entwicklung Schaeffler Aerospace
Projekte rund um die Welt

Die französische Fährreederei Brittany Ferries hat jüngst eine Absichtserklärung unterschrieben, 2028 mit Wassergleitern über den Ärmelkanal zu zischen. Topspeed: 290 km/h. An Bord sollen bis zu 150 Passagiere Platz haben. Regent, der in Boston beheimatete Hersteller des Flugbootes, will sogar schon 2025 mit einer kleineren Variante in den Regelbetrieb gehen. Die beiden beteiligten Unternehmen sagten aber auch: „Das Projekt wirft viele technologische, praktische und rechtliche Fragen auf.“ Jonathan Ridley, technischer Leiter der renommierten Seefahrerschule Warsash Maritime Academy, erklärte gegenüber der BBC, die Pläne seien trotz aller Hindernisse „wirklich sehr realistisch“.

Überzeugt von der Idee ist auch US-Milliardär Mark Cuban, der Eigentümer des Basketballteams Dallas Mavericks, der einer Gruppe von Unternehmen und Investoren angehört, die die jüngste Finanzierungsrunde von Regent angeführt hat. „Die Effizienz des Küstentransports wird mit Regent hundertmal größer sein. Die Vorstellung, zwischen zwei Küstenpunkten hin- und herfahren zu müssen, ist immer mit Stress verbunden. Regent ändert all das und macht es schnell und einfach.“ Gut möglich, dass Cuban Küstenpunkte wie Los Angeles, San Francisco, New York oder Miami ­anvisiert.

  • Der Seaglider des US-Herstellers Regent soll halb so viel kosten wie ein vergleichbares Flugzeug und sechsmal schneller als eine Fähre sein

  • Mit bis zu 290 km/h Spitze soll der Seaglider 290 Kilometer weit fliegen. Die Reichweite ist doppelt so hoch wie bei einem vergleichbaren E-Flugzeug

  • Eine Handbreit Luft unter dem Kiel: Je näher ein Wassergleiter über der Oberfläche fliegt, desto effizienter ist er unterwegs

Ein solcher Küstenpunkt könnte aber auch die estnische Hauptstadt Tallinn sein. Das dort ansässige Unternehmen Sea Wolf Express hatte 2019 angekündigt, eine Highspeed-Verbindung über die Ostsee nach Helsinki einzurichten. Der aus Russland kommende Gleiter soll mit 200 km/h über den finnischen Meerbusen flitzen. Auch hier steckt man noch in der Planungsphase und klopft mit den zuständigen Behörden Regularien ab. Zumindest auf finnischer Seite stehe man den Plänen aufgeschlossen gegenüber, so ein Behördensprecher, aber insbesondere in Sicherheitsfragen, wie beispielsweise das Fliegen über zugefrorenes Wasser, gebe es noch grundlegenden Klärungsbedarf.

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Der Airfish8 des singapurischen Herstellers Wigetworks flog bereits 2017 probeweise zum malaysischen Urlaubsparadies Langkawi© Wigetworks

In Singapur steht der Wassergleiter Airfish8 der Firma Wigetworks in den Startlöchern, hat bereits 2017 erste Probeflüge absolviert. Im gleichen Jahr hob auch das chinesische Pendant Xiangzhou 1 für erste Testgleitflüge ab. US-Hersteller Regent ist mit mehreren Transportunternehmen in Verhandlungen. Neben Brittany Ferries sind das ein Anbieter von den Bahamas, ein US-Charterflieger mit Stützpunkten in New York, den Hamptons, Miami und den Virgin Islands sowie das kroatische Fährunternehmen Split Express. Vieles deutet darauf hin, dass sich in naher Zuknft neue Fahrzeuge auf den Seewegen tummeln werden.