Natürlich effizient

Von Lars Krone
Im Tierreich haben sich im Laufe der Evolution die unterschiedlichsten Strategien für eine energiesparende Lebensweise entwickelt. „tomorrow“ stellt die Effizienzkönige der Fauna vor.
© Fotolia

Segelweltmeister

© Getty

Er ist der Meister des Langstreckenfluges – der Wanderalbatros. Und dies trotz eines großen Handicaps. Denn per Flügelschlag kann er sich kaum in der Luft halten. Seine Muskelkraft reicht für den bis zu zwölf Kilogramm schweren Körper einfach nicht aus. Die Lösung: der perfektionierte Gleitflug, mit dem der Albatros bis zu 1.000 Kilometer an einem Tag zurücklegt. Und dies mit möglichst wenig Energieaufwand. Schon 1937 nannte ihn der Schweizer Geologe Arnold Heim den „bei Weitem besten Segelflieger der Welt“. Der Albatros baut dabei auf seine Anatomie und seine ausgefeilte Flugtechnik. Mithilfe eines speziellen Mechanismus im Ellenbogen- und Schultergelenk kann er seine Flügel in ausgestreckter Position – die Spannweite kann dabei bis zu 3,70 Meter betragen – arretieren, ohne dass die Muskulatur arbeiten muss.

2012 untersuchten Forscher der TU München die Extremflieger. Sie statteten 20 Wanderalbatrosse mit GPS-Sendern aus und verfolgten deren Flugrouten. Dabei fanden sie heraus, dass die Vögel knapp über der Wasseroberfläche mit aufgespannten Flügeln in den Wind drehen und dann durch den entstehenden Auftrieb nach oben steigen. In einer Höhe von 10 bis 15 Metern – wo ein starker Wind weht – holen sie sich in einer steilen Flugkurve neue Energie und segeln mit dem Wind wieder Richtung Meeresoberfläche. Wie wenig anstrengend diese Flugweise für den Albatros ist, zeigt sich auch daran, dass der Pulsschlag in der Luft nahezu seinem Ruhepuls entspricht. Bei einer weiteren Energiesparmaßnahme profitiert der Weitflieger von seiner Anpassungsfähigkeit: Er hat gelernt, die aufwärts gerichteten Warmluftströmungen großer Schiffe zu nutzen.

Mit Saugkraft

© Getty

Sie bestehen zu fast 99 Prozent aus Wasser – dennoch steckt in Quallen weit mehr, als man auf den ersten Blick sieht. US-amerikanische Forscher fanden heraus, dass die glibberigen Meeresbewohner im Laufe der Evolution einen der effizientesten Antriebe der Tierwelt entwickelt haben. Lange ging man davon aus, dass die Quallen bei der Fortbewegung vor allem auf das Rückstoßprinzip setzen. Doch aktuelle Forschungen der Universität Stanford brachten neue Erkenntnisse. „Unsere Versuche zeigen, dass sich Quallen tatsächlich vorwärtssaugen, anstatt nur zu schieben“, schreibt der Biophysiker John Dabiri.

Sie erzeugen durch ihre charakteristischen Bewegungen an bestimmten Stellen ihres Körpers Unterdruckzonen. In diese wird Wasser gesaugt und so Vortrieb generiert. Um 45 Prozent kommen sie dadurch weiter als per reinem Rückstoß. Wie effizient diese Antriebsweise ist, zeigt sich auch daran, dass bei Quallen die Muskelmasse nur rund ein Prozent des Körpergewichtes ausmacht. Bei Fischen ist es rund die Hälfte. Die Forscher zogen bei ihrer Untersuchung noch einen weiteren interessanten Schluss: Die bei der Fortbewegung eingesparte Energie wird in das Wachstum gesteckt. So können die Medusen einen Durchmesser von mehr als zwei Meter erreichen – was ihnen die Jagd deutlich erleichtert.

Schonzeit

© Fotolia

Vollgas am Tag, halbtot in der Nacht – das Leben der Kolibris schwankt zwischen zwei Extremen. Die nur zwei bis 20 Gramm leichten Winz­linge sind extrem manövrierfähig – selbst auf der Stelle und rückwärts fliegen ist kein Problem – und erzielen Geschwindigkeiten von mehr als 100 km/h. Das Geheimnis ist ihr Schwirrflug, bei dem sie mit ihren Flügelspitzen eine liegende Acht beschreiben und bis zu 90 Mal in der Sekunde mit den Flügeln schlagen – absoluter Rekord in der Vogelwelt.

Bei manchen Kolibriarten schlägt dabei das Herz bis 1.200 Mal pro Minute. Für diese Leistungen brauchen die Vögel extrem viel Energie. Pro Stunde rund 250 Kalorien – so viel wie ein 70 Kilo schwerer Mann. Ein- bis zweitausend Blüten muss ein Kolibri daher am Tag leeren, um seinen Energiebedarf zu decken. Die aufgenommene Menge an Nektar entspricht mehr als der Hälfte des Körpergewichtes. In der zwölfstündigen Ruhepause während der Nacht fahren sie ihre Körperfunktionen um 90 Prozent herunter und verfallen in einen Starrezustand. Dabei senken beispielsweise die auf Kuba lebenden Hummelkolibris ihre Körpertemperatur von 40 Grad auf 18 Grad ab.

Leben in Zeitlupe

© Getty

Faultiere führen ein Leben im Energiesparmodus“, sagt Prof. Dr. Martin S. ­Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie an der Universität Jena. Die ungewöhnlichen Tiere stellen Forscher aufgrund ihrer gemächlichen, sich fast ausschließlich auf Bäumen abspielenden Lebensweise immer noch vor viele Rätsel. Sie schlafen rund 16 Stunden am Tag und bewegen sich nur wenig. Und selbst beim Klettern spielt Effizienz eine wichtige Rolle, wie Fischers Kollege  an der Universität Jena, Dr. John Nyakatura, in einer Studie erklärt: „Bei den Faultieren ist es zu einer Verschiebung der Ansatzstellen bestimmter Muskeln gekommen, was es ihnen ermöglicht, das eigene Körpergewicht mit möglichst geringem Energieaufwand zu halten.“

Dass ein solch geringer Energieverbrauch für sie überlebensnotwendig ist, begründet sich in ihrer Nahrung: Sie haben sich auf energiearme Blätter spezialisiert. Um möglichst alle Nährstoffe aus den Blättern herauszuholen, haben sie die langsamste Verdauung aller Säugetiere: Es kann bis zu einem Monat dauern, bis eine Mahlzeit vollständig verdaut ist. Damit sie ohne großen Aufwand weitere Nährstoffe zu sich nehmen können, gehen Faultiere eine ungewöhnliche Symbiose ein: In ihrem dichten Fell leben Algen und Motten. Die Algen dienen mit ihrem grünen Schimmer nicht nur der besseren Tarnung, sondern auch als Nahrungsergänzungsmittel. Um die Nährstoffe der Algen aufzunehmen, lecken die Faultiere ihr Fell ab. Teilweise werden sie sogar direkt von der Haut absorbiert. Die Motten versorgen durch ihren Kot die Algen mit Nährstoffen und legen selbst wiederum ihre Eier im Kot der Faultiere ab.

Schwungvoll

© Getty

Sie sind die Riesen der Baumkronen. Mit einer Größe von bis zu 1,50 Metern sind Orang-Utans die größten Astbewohner der Welt. Ihre Nahrung ist karg: Hauptsächlich stehen kalorienarme Früchte auf dem Speisezettel. Energiesparen ist daher angesagt. Den größten Teil des Tages verbringen sie mit stundenlangem Dösen. Im Verhältnis zu ihrer Körpergröße verbrauchen die Menschenaffen mit 1.200 bis 2.000 Kalorien pro Tag dadurch weniger Energie als die meisten Säugetiere. Doch die anstrengende Kletterei bei der Nahrungssuche bringt die Primaten immer wieder ans Energielimit. Wie sie damit haushalten, untersuchte der britische Wissenschaftler Lewis Halsey an der Universität Roehampton. Er erforschte, wie die Orang-Utans von Baum zu Baum gelangen. Hier haben die Affen drei Optionen. Erstens: herunterklettern, zum nächsten Baum laufen und dort wieder hinaufklettern. Zweitens: von Baum zu Baum springen. Und drittens und am effizientesten: an einem Ast so lange schaukeln, bis man den Ast eines anderen Baums erreichen kann.

„Dabei sahen wir, dass das Klettern mit einem sehr hohen Energieaufwand einhergeht“, so Halsey. „Hin- und herschwingen ist am günstigsten.“ Nur junge Tiere springen, da ihnen die Kraft fehlt, steife Äste zu biegen. Die Fortbewegung der Orang-Utans wird also immer effizienter, je größer und schwerer sie sind. Die Affen passen instinktiv ihre Fortbewegung an, um nicht in ein Energieminus zu gelangen. Halsey: „Eine Sache ist noch anstrengender, als einen Baum hochzuklettern, nämlich sich an einer Liane hochzuziehen, wie Tarzan es im Kino immer gemacht hat.“

Perfekte Form

Welch Torheit der Natur: Pinguine sind Vögel, können aber nicht fliegen. An Land sind sie außerordentlich tollpatschig, doch im Wasser sind sie in ihrem Element. Mit der Perfektion ihrer Schwimmkünste stellen sie sogar die allermeisten Fische in den Schatten – ihr Hauptnahrungsmittel. Unter Wasser erreichen Pinguine Geschwindigkeiten von über 40 km/h, und das mit minimalem Aufwand. Mit der Energie eines Liters Benzin könnte ein Pinguin 1.500 Kilometer weit schwimmen. Das liegt zum einen an ihrer besonders strömungsgünstigen Körperform.

„Auffällig ist der wellenförmige Vorderkörper mit dem konkav-konvexen Übergang zwischen Schnabel, Kopf und Rumpf“, erklärt Bionik-Experte Stefan Löffler in seiner Dissertation. Zudem haben „alle Rümpfe eine annähernd kreisrunde Stirnfläche, und die vorzufindenden Längen-Dicke-Verhältnisse (4:1) ihrer Körper liegen im Bereich der Idealmaße volumenoptimierter Laminarspindel.“ Die Körperform der Pinguine wird nahezu ideal, also verlustlos umströmt, es gibt keine größeren Ablösungen und Turbulenzen. Und Pinguine verwenden einen weiteren Trick: Die im Gefieder gespeicherte Luft entweicht beim Tauchen in kleinen Luftblasen. Dieser Mikroblaseneffekt verringert den Widerstand zusätzlich.

„Die Natur ist ein hervorragender Ideengeber“
Natürlich effizient© Schaeffler

In der Bionik nehmen Wissenschaftler die Natur als Vorbild für neue Technologien. Im Interview spricht Prof. Dr.-Ing. Tim Hosenfeldt, Leiter Zentrale Innovation, über deren Bedeutung für Schaeffler.

Was fasziniert Sie als Techniker an der Natur?
Es ist sehr spannend zu beobachten, wie sich die Natur optimal an die Gegebenheiten und Anforderungen ihrer Umwelt anpasst. Dabei setzt sie sehr ressourceneffizient die zur Verfügung stehende Energie ein. Bei vielen Aufgaben oder Problemstellungen, mit denen wir heute konfrontiert werden, lohnt sich der Blick in die Natur. Oft hat diese schon etwas entwickelt, was sich evolutionär durchgesetzt hat und was wir adaptieren können.

Können Sie Beispiele nennen?
Ein sehr interessanter Aspekt ist zum Beispiel die Strukturmechanik und der Leichtbau – sowohl in der Pflanzen- als auch der Tierwelt. So wachsen die Fasern von Bäumen an Stellen mit hoher Belastung in eine spezielle Richtung, um mehr Stabilität zu erzielen. Bei Vögeln ist dagegen Leichtbau angesagt, damit sie energieeffizient fliegen können. Besonders faszinierend sind außerdem die Selbstheilungskräfte der Natur. Diese wollen wir für Werkstoffe natürlich auch gern entwickeln. Aber auch der Bereich der Oberflächengestaltung kann hier genannt werden. Mit dem Lotus-Effekt können diese einfach sauber gehalten werden. Und mit der sogenannten Haifischhaut kann zum Beispiel bei Schiffen die Reibung und damit der Energieverbrauch verringert werden.

Welche Rolle spielt Bionik bei Schaeffler?
Bei unserer Strategie „Mobilität für morgen“ ist beispielsweise auch der Leichtbau wichtig. Die Natur hat hier bei Pflanzen viele Vorbilder geschaffen, wie ressourceneffizienter Leichtbau funktionieren kann. Dies führte zu neuen Möglichkeiten in der Konstruktion und Fertigung. Der Leichtbau findet bei uns zum Beispiel bei umgeformten Wälzlagern Anwendung. Ein weiteres positives Beispiel ist die Entwicklung eines stufenlosen CVT-Getriebes. Dort haben wir uns  bereits vor mehr als 15 Jahren bei der Festigkeitsoptimierung von Kettenlaschen die Gesetzmäßigkeiten der Natur zunutze gemacht.

Welche Abteilungen beschäftigen sich bei Schaeffler mit Bionik?
Wir tauschen uns im ganzen Unternehmen über die wichtigen Themen der Zukunft aus. Hierzu gehört natürlich auch die Bionik. Wichtige Plattformen sind unser Forum of Inspiration zum Ideenaustausch über zukünftige Projekte und Entwicklungen und der Technologie-Dialog, wo wir den Grundstein für die wichtigsten Entwicklungen der nächsten fünf bis zehn Jahre legen. Dabei tauschen wir uns auch mit externen Partnern aus der Forschung, der Industrie oder auch mit Start-ups aus.

Wird Bionik in Zukunft eine noch größere Rolle spielen? Stichwort Energieeffizienz.
Auf jeden Fall. So  steigt die Nachfrage nach Elektroautos stetig. Wegen der schweren Batterien ist gerade hier Leichtbau ein sehr wichtiger Faktor hinsichtlich der Energieeffizienz. Generell gilt ja: Je leichter Fahrzeuge werden, desto geringer ist ihr Energieverbrauch. Die Natur ist ein hervorragender Ideengeber für innovativen Leichtbau. Wir wollen der Klimaerwärmung entgegenwirken, indem der CO2-Ausstoß verringert und weniger auf fossile Energieträger gesetzt wird. Hier arbeiten wir mit an der Gewinnung erneuerbarer Energien, aber auch an der Möglichkeit, diese wie in der Natur chemisch zu speichern – also in gasförmiger oder flüssiger Form als Methan oder synthetischer Kraftstoff. Künstliche ­Intelligenz und selbstlernende Systeme werden bei der zunehmend automatisierten Mobilität eine größere Rolle spielen. Diese Systeme lernen anhand von Daten und generieren aus diesen Wissen – und das im Sinne unserer Vision für eine Welt, die sauberer, sicherer und intelligenter sein wird.

Natürlich effizient© Schaeffler
Bionisches Beispiel

Durch das hybride Kunststoff-Metall-Design wurde das Gewicht eines Radlagers in der Vorentwicklung gegenüber dem konventionellen Design (links) um 440 Gramm reduziert. Der Einsatz bionischer Strukturen bei einer Topologieoptimierung der Kunststoffkomponente verringert die Belastung des Werkstoffs um 20 bis 30  Prozent.

Lars Krone
Autor Lars Krone
Aufgewachsen ist er mit Hunden, Katzen und Hühnern auf dem Land in Westfalen. Mittlerweile wohnt Lars Krone (39) in Hamburg – ganz ohne Tiere. Sein Faible für die Natur lebt er heute vor allem mit Urlauben am Meer aus.