Science vs. Fiction

Von Stefan Pajung
Schaefflers Automotive-Vorstand Matthias Zink ordnet zehn Thesen zur Mobilität von morgen ein.
These 1: 2025 können E-Autos in fünf Minuten vollgeladen werden und bis zu 1.000 Kilometer weit fahren.
Science vs. Fiction

Da muss ich leicht auf die Euphoriebremse treten: Ganz so schnell wird das leider nix werden. E-Fahrzeuge mit 1.000 Kilometer Reichweite, die in nur fünf Minuten vollgeladen werden können, werden auf jeden Fall kommen, aber nicht bis 2025. Hierfür ist eine gänzlich neue Generation Batterien – Stichwort Feststoffbatterien – erforderlich, und auch die entsprechenden Fahrzeugsysteme zur Ladung müssen angepasst werden, bevor eine solche – natürlich hochattraktive und ja auch bahnbrechende – Technologie in Serie gehen wird. Aber bevor jetzt die E-Auto-Skeptiker jubilieren: An diesen Zielen wird in Forschungszentren und Entwicklungsabteilungen schon intensiv gearbeitet, und ich kann verraten, dass man unter Laborbedingungen davon nicht weit entfernt ist. Ich halte 2030 für realistisch.

Prognose: „Daumen hoch“ in Arbeit

These 2: Wasserstoff wird im Pkw-Sektor nie in die Großserien­fertigung kommen.
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Immer langsam mit dem Wort nie – ich würde Wasserstoff im Pkw-Sektor so explizit zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen. Solch eine ­These kommt viel zu früh. Denn hauptsächlich ist das eine Verfügbarkeits­frage. Und zwar nach der Verfügbarkeit von ­grünem Wasserstoff und der entsprechenden Infrastruktur. Solange dies beides noch Mangelware ist, wird sich H₂ nur im Bereich Nutzfahrzeuge oder bei stationären Anwendungen durchsetzen. Für Pkw ist das Thema Großserienfertigung von Brennstoffzellensystemen somit noch zu früh, ich würde es aber absolut nicht ausschließen. Es ist eben keine Technologiefrage, sondern eine Frage der Verfügbarkeit.

Prognose: Wenn … dann

Zur Person: Matthias Zink
Science vs. Fiction© Schaeffler

Matthias Zink (geb. 1969) studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Kraftfahrzeugtechnik an der Universität Karlsruhe und schloss 1994 erfolgreich mit einem Diplom ab. 1994 begann er als Versuchsingenieur bei LuK. In den Folgejahren hatte Matthias Zink verschiedene Führungspositionen inne, bevor er 2006 den Geschäftsbereich Kupplungssys­teme verantwortete. Nach sieben Jahren erfolgreicher Leitung des Geschäftsbereichs übernahm er 2012 die Leitung von ­Schaeffler Automotive Asien/Pazifik in China. 2014 kehrte­ ­Matthias Zink zurück und führte zunächst den Geschäftsbereich Getriebe-Technologien. Im Juli 2014 wurde er zum Geschäftsführer des Unternehmensbereichs Getriebesysteme ernannt.

Matthias Zink verantwortet seit Januar 2017 als CEO Automotive den Unternehmensbereich Getriebesysteme und den Bereich Forschung und Entwicklung der Sparte Automotive Technologies sowie den im Januar 2018 etablierten Unternehmensbereich E-Mobilität. Seit Januar 2019 ist er alleiniger CEO der Auto-­Sparte und übernahm zusätzlich die Verantwortung für die Unternehmensbereiche Motor- und Fahrwerksysteme und das Global Key Account Management. Hauptsitz der Sparte Automotive Technologies ist der Schaeffler-Standort Bühl.

These 3: Auch bei Lkw werden batterie-elektrische Antriebe das Rennen machen.
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Für die Mehrheit der Nutzfahr­zeuge: ein eindeutiges und kräftiges Ja! Die Entwicklung und Einführung der Antriebstechnik für E-Lkw macht große Fortschritte. Nun muss man aber differenzieren: Bei Langstreckentransporten – also bei schweren Lkw – werden sich künftig auch Brennstoffzellen durchsetzen oder Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, die mit Wasserstoff betrieben werden.

Prognose: Ja … teils, teils

These 4: 2030 rauschen in Großstädten die ersten Flugtaxen durch den Luftraum.
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Bis 2030 sehe ich das flächendeckend für den Personentransport noch nicht. Ich glaube aber an die Technologie vom elektrischen Fliegen. Was man auch daran sieht, dass wir uns in diesem spannenden Zukunftssektor mit unserem Know-how und auch ganz konkret mit Komponenten von uns engagieren. Zwei Beispiele dafür: Unsere Tochterfirma Compact Dynamics arbeitet an Elektroantrieben für E-Flugzeuge, und bei der Entwicklung des Flugtaxis von FlyNow steuern wir ein Steer-by-wire-System bei.

Prognose: Work in good progress

These 5: Auf der letzten Meile werden keine Lieferwagen mehr fahren, sondern Drohnen werden übernehmen.
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Ein klares Ja! Wir werden sehen, dass Amazon und Co. in den kommenden Jahren auch per Drohne ausliefern werden. Ich sehe sogar Last-Mile-Auslieferungen via E-Flugzeug.

Prognose: Kommt sicher!

These 6: Das Auto von morgen wird per Joystick gefahren.
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Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Autos der Zukunft kein Lenkrad haben müssen. Das muss auch kein Joystick sein, aber neue Bedien- und HMI-Konzepte [HMI: Human Machine Interface, übersetzt: Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine] werden in Serie gehen und kein Lenkrad mehr brauchen. Auch Flugzeuge fliegen ohne Lenkrad. Durch den Entfall der mechanischen Verbindung zwischen Lenkrad­aktuator und Zahnstangenaktuator entstehen viele neue Freiheiten zur Gestaltung des Fahrzeuginnenraumes sowie bislang nicht mögliche Funktionen und Features für mehr Sicherheit, Komfort und Agilität, die mit bisherigen, konventionellen Lenksystemen nicht möglich waren.

Prognose: Fakt

These 7: Das erste Auto aus 100 % recycelten Materialien ist bald serienreif.
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Leider nein, das dauert noch. Die Kreislaufwirtschaft im Automobilbau nimmt massiv zu und gewinnt an Momentum – und das ist richtig gut so. Aber heutige Fahrzeuge sind insbesondere in Sachen Festigkeit und Gewicht so entwickelt und ausgereift, dass sie sicher und dynamisch unterwegs sind. Hier entsprechende Materialien aus der Kreislaufwirtschaft zu entwickeln und in den automobilen Entwicklungsprozess einzubringen wird noch dauern. Man muss quasi das Auto in vielen Aspekten neu definieren, um mit den Eigenschaften der neuen – recycelten – Materialien anders zu designen. Aber noch mal: Die Wichtigkeit der Themen Kreislaufwirtschaft und Recycling-Materialien wird vor dem Hintergrund des Themas Nachhaltigkeit exponentiell zunehmen.

Prognose: Wird kommen

These 8: Schaeffler entwickelt ein eigenes, vollständiges E-Auto.
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Wir sind kein Automobilhersteller und wollen das auch nicht werden. Als Motion Technology Company ist Bewegung aller Art unser Geschäft. Egal ob in rotierenden Windkraftanlagen oder in Form elektrischer Antriebe, mechatronischer Fahrwerkselemente oder auch kompletter Chassisplattformen für neue Mobilitätskon­zepte: Schaeffler entwickelt immer mehr hochfunktionale und komplexe Systeme. Wir sind da wirklich zu allen Seiten offen, aber ­Schaeffler wird keine Autos bauen.

Prognose: Fehlanzeige

These 9: Das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring wird 2030 von einem E-Auto gewonnen.
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Nein, so weh es mir als Motorsport-Enthusiast tut. Aber noch stimmt der Leistungsdurchsatz bei elektrifizierten Fahrzeugen für ein 24-Stunden-­Rennen nicht. Fahren und Laden müssen bei einem ­solchen Rennen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Noch sind wir da aber nicht, weil die Ladezeiten zu lang sind. Aber – siehe These 1 – wenn es die Batterietechnik gibt, die in fünf Minuten 1.000 Kilometer Reichweite laden kann, dann sähe meine Antwort anders aus.

Prognose: (Noch) Science-Fiction

These 10: Der Verkehrssektor wird die vorgegebenen EU-Klimaziele erreichen.
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Leider nein, denn es bedarf einer weiteren gemeinsamen Kraftanstrengung, um diese Ziele zu erreichen. Die Automobilindustrie hat es sehr schnell geschafft, eine große Palette an E-Automodellen aller Arten zu entwickeln und sie den Kunden zum Kauf anzubieten. Aber wir brauchen auch Kaufbereitschaft, die Verfügbarkeit von grünem Strom, Lade­infrastruktur und gegebenenfalls weitere Incentivierungen, damit die Fahrzeuge noch besser angenommen und genutzt werden. Nur so erreichen wir die Klimaziele … es geht einfach wirklich nur gemeinsam.

Prognose: So wie bisher nicht