Auferstanden aus Mondlandschaften
Hinter dem gewaltigen canyonartigen Graben, in den man von der Aussichtsplattform Lakoma blickt, erstreckt sich eine nicht enden wollende Sandfläche.
Braun- und Ockertöne, so weit das Auge reicht, erst weit hinten am Horizont sind unzählige Windräder zu erkennen. Bis eben dorthin soll die Wasserfläche reichen.
Noch braucht man allerdings eine gehörige Portion Fantasie, um sich den See vorzustellen, der hier in der Mondlandschaft des ehemaligen Tagebaus Cottbus-Nord gerade entsteht. Im April dieses Jahres wurde mit der Flutung begonnen. Bis 2025 soll die riesige Grube mit ungefähr 280 Millionen Kubikmetern Wasser vollgelaufen sein. 20 Prozent sind aufsteigendes Grundwasser, rund 80 Prozent stammen aus der Spree. Allerdings wird der Fluss nur angezapft, wenn er genug Wasser führt, was bereits mehrfach nicht der Fall war. Mit einer Fläche von 19 Quadratkilometern wäre das 300 Millionen Euro schwere Mammutprojekt Cottbuser Ostsee dann der größte künstliche See Deutschlands. An den Rändern, wie hier am Einlaufbauwerk, kann das Wasser durch die Gräben bis zu 30 Meter tief sein, gibt das Energie- und Bergbauunternehmen Leag, Betreiber des Sees, an.
Statt Kohle bringt Tourismus die „Kohle“
Die Bauarbeiten einer Kaimauer im geplanten Hafenquartier laufen ebenfalls bereits. Der Cottbusser Oberbürgermeister Holger Kelch will das neue Viertel CO2-neutral gestalten: „Vorstellbar sind dort Hochhäuser in Holzblockbauweise, Radwege auf Fotovoltaikplatten, Verbindungen des Nahverkehrs mit autonomen Fahrzeugen, Fernwärme aus Seewasserpumpen und manches mehr“, sagte er bei der Präsentation seiner Ideen für den neuen Stadtteil. Wohnungen sollen entstehen, Gewerbe, Tourismus und Wassersport angesiedelt werden. Wie hier in Cottbus ruhen weltweit auf den Hinterlassenschaften des Kohlebergbaus und der Rohstoffgewinnung Hoffnungen auf eine blühende Zukunft. Neue Erholungsgebiete und mit ihnen der Tourismus versprechen die Wirtschaft wieder anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Die sich entwickelnden Biotope sollen geschützten Tier- und Pflanzenarten Rückzugsgebiete bieten. Und nicht zuletzt tun sich mit der Energiewende auch vielfältige neue Nutzungsmöglichkeiten für Tagebaugruben, Haldenflächen und Industriebrachen auf.
Keine Träumerei
Dass solche Projekte bei Weitem keine Träumerei sind, sondern eine gute Perspektive haben, zeigt das Beispiel Leipziger Neuseenland: Bis 1990 war der Süden Leipzigs auf 200 Quadratkilometern noch durch die klaffenden Wunden des Tagebaus geprägt. Heute tummeln sich dort an den acht angelegten Seen Wassersportler, Wanderer und Radfahrer. 2017 zählte der Tourismusverband Leipziger Neuseenland rund 700.000 Übernachtungen in den Mitgliedsgemeinden. Nicht nur Cottbus oder die rheinischen Tagebaugruben zwischen Aachen und Köln wollen daher den Leipziger Erfolg kopieren, auch Kohlegruben in Australien und Kanada planen solche Projekte.
Vorstellbar ist auch, solche künstlichen Gewässer als Speicherseen für nachhaltige Energien zu nutzen. Insbesondere wenn sie eine Größe wie der Cottbusser Ostsee hätten, sagt der Umweltverband „Grüne Liga“ und bemängelt, dass dies dort nicht umgesetzt worden ist.
Bergwerke werden zu Energiespeichern
Detlef Schulz, Leiter des Fachgebiets Elektrische Energiesysteme an der Bundeswehr-Universität Hamburg, hat für die stillgelegten Braunkohletagebaue vor einigen Jahren eine ganz andere Idee auf den Weg gebracht: Da die Sohle solcher Restlöcher zwischen 100 und 400 Metern unter der Umgebungsoberfläche liegt, bieten sie genug Höhendifferenz, um Pumpspeicherwerke zu errichten.
Ihr Prinzip ist simpel: Wenn mehr Strom produziert als gebraucht wird, betreibt man damit Pumpen, die Wasser aus einem niedriger gelegenen Becken in ein höheres befördern. Benötigt man wieder Strom, lässt man das Wasser über eine Turbine wieder zurückfließen. Pumpspeicherwerke sind damit ideal geeignet, um die schwankende Stromerzeugung von Windkraft- und Fotovoltaikanlagen auszugleichen. Dass die Technik in Tagebauen bisher nicht umgesetzt wurde, liege daran, dass der Anteil fluktuierender erneuerbarer Energien anfangs noch gering und ein Ende der Kohleförderung lange Zeit nicht absehbar war, sagt die Firma ETC Energietechnik, die seit 1998 das Patent auf die Idee hält. Nun, nach dem Kohleausstieg und voranschreitendem Ausbau der Erneuerbaren könnte der Ansatz aber eine neue Chance bekommen: Forscher vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie haben berechnet, dass ein Pumpspeicherwerk in den heutigen rheinischen Tagebauen Hambach, Garzweiler und Inden mit bis zu 400 Gigawattstunden ein signifikantes technisches Speicherpotenzial hätte.
Rund 100.000 Vier-Personen-Haushalte ließen sich mit der Energiemenge ein Jahr lang mit Strom versorgen. Wegen der enormen Speicherkapazität „lohnt hier eine detailliertere Prüfung der technischen, ökologischen und rechtlichen Machbarkeit sowie der Akzeptanz in der Öffentlichkeit“, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Veröffentlichung vom Anfang des Jahres.
Eine andere Gelegenheit, eine angehende Kohlebrache in einen innovativen Großspeicher für Wind- und Sonnenstrom zu verwandeln, wurde mit der Schließung der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop Ende 2018 gerade verpasst. Sie war das letzte aktive Steinkohlebergwerk im Ruhrgebiet und sollte nach den Vorstellungen von Hermann-Josef Wagner, Inhaber des Lehrstuhls Energiesysteme und Energiewirtschaft der Ruhr-Universität Bochum, und André Niemann, Professor am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der Universität Duisburg-Essen, in das erste unterirdische Pumpspeicherwerk der Welt verwandelt werden. Dabei wird ein großer künstlicher See über Tage angelegt. Anstelle eines weiteren Sees liegt der untere Wasserspeicher dann tief unter der Erde. Das vorhandene System aus Stollen und Schächten plus Fördergerätschaften prädestiniert ausgemusterte Bergwerke für eine solche Umwandlung. Da die Schächte in Prosper-Haniel nach dem Einstellen des Betriebs nun allerdings nach und nach verfüllt werden, ist die Nutzung als gigantischer Speicher nicht mehr möglich. Das Interesse an dem Projekt reißt damit aber nicht ab, schließlich gibt es weltweit noch viele weitere geeignete Bergwerke. Insbesondere Wales und China zeigen reichlich Interesse an dem Konzept, so Wagner.
Vitale Sinnbilder des Strukturwandels
Ungenutzt sind die ehemaligen Bergbaustätten im Ruhgebiet damit aber keinesfalls. Die aus dem Abraum der Kohlestollen aufgetürmten Halden haben sich im Ruhgebiet längst als Freizeitoasen etabliert. Wanderer und Mountainbiker sind hier genauso anzutreffen wie Gleitschirmflieger. Kunstinstallationen und Aussichtstürme stehen neben Naturschutzgebieten und Windrädern. „Durch die Transformation der Abraum-Hügel zu Naherholungsgebieten und Landmarken stehen die Halden sinnbildlich für den vollzogenen Strukturwandel und seine beispiellose Umnutzung und Umfunktionierung ehemaliger Industriebrachen“, sagt Jan Pass von der Ruhr Tourismus GmbH. Das möchte man am Cottbusser Ostsee auch erreichen. Dort sind unter anderem die Uferarbeiten noch nicht abgeschlossen. Und auch die umliegenden Kommunen planen und bauen emsig, damit Häfen, Wasserskianlagen, Straßen und Radwege rechtzeitig fertig werden.
Das Ostufer mit seinen beiden Inseln bleibt aber frei von Bebauung und für Fauna und Flora reserviert: Dort sollen unter anderem Wasservögel wie Saat- und Blässgänse, Graureiher und Haubentaucher ein neues Zuhause finden. Aber auch das Gefiedertier muss sich noch in Geduld üben: Aktuell sind erst acht Prozent der gesamten Wassermenge im See. Dennoch: Der Kreislauf schließt sich. Was einst Naturidyll war, wird es im Idealfall in naher Zukunft wieder. Oder spendet auf nachhaltigere Art Energie.
Weinbau nach Bergbau
Wein aus Tagebau-Regionen? Klingt komisch, funktioniert aber tatsächlich.
Am Wolkenberg im rekultivierten Teil des Tagebaus Welzow-Süd bei Cottbus werden sieben Rebsorten angebaut, fünf weiße und zwei rote. 26.000 winterfeste Rebstöcke auf sechs Hektar Fläche sind es insgesamt, gepflanzt 2010. Der künstlich aufgeschüttete 30 Meter hohe Berg hat alles, was Reben lieben: elf Prozent Hangneigung, südsüdwestliche Ausrichtung, eine knapp einen halben Meter dicke Schicht Geschiebemergel und einen leicht angehobenen pH-Wert im Boden. Nur bei der Bewässerung muss nachgeholfen werden. Letzteres gilt auch für die beiden etwas kleineren Weinberge in den ehemaligen Kohlerevieren Geiseltal und Meuro. Ab Anfang/Mitte September soll die Lese beginnen. Für 2019 rechnen die Tagebau-Winzer mit einem sehr guten Jahrgang.