Zurück zur Schiene
Für den 10. Juli 1875 hatte sich die brasilianische Stadt Sorocaba besonders herausgeputzt: Palmen säumten die Hauptstraße, Flaggen wurden aufgestellt und die Häuser hatten einen neuen Anstrich. Hunderte Menschen feierten im Stadtzentrum in extra aufgestellten Zelten zu Klängen von Musikbands. Sie warteten auf die Ankunft des Zuges, der die Sorocabana-Eisenbahn offiziell in Betrieb nahm – und der damit die wirtschaftliche Entwicklung der Region in Schwung bringen sollte.
1,62 Mio. Kilometer
lang ist das Instandhaltungsintervall, das ein Schaeffler- Kunde für die FAG-Kegelrollenlagereinheiten TAROL in seinen Hochgeschwindigkeitszügen festgelegt hat. Das entspricht 40 Erdumrundungen.
Das tat er auch: Auf der ersten Verbindung der neuen Linie konnte nun Baumwolle im großen Stil von Sorocaba nach São Paulo und von dort aus weiter zum nahe gelegenen Hafen von Santos transportiert werden. Allein der Bau der Strecke, der Brücken und Bahnhöfe mobilisierte in der damaligen 13.000-Einwohner-Stadt rund 1.500 Arbeiter – mehr als zehn Prozent der Bevölkerung. Nur ein Jahr später wurde die Strecke zur Ipanema Iron Factory verlängert, dem ersten Stahlwerk in Brasilien.
Letzte Station Geisterbahnhof
In den folgenden Jahrzehnten wurde das Netz der Sorocabana-Eisenbahn schrittweise ausgedehnt. Es reichte bis in die Bundesstaaten Paraná und Mato Grosso do Sul. Diese Jahre waren goldene Zeiten für die Sorocabana-Eisenbahn: Sie brachte Jobs, vereinfachte den Handel und beschleunigte so das wirtschaftliche Wachstum der Region. Genau 96 Jahre nach der Eröffnung, im Jahr 1971, ließ die Regierung von São Paulo die Sorocabana-Eisenbahn in der Vereinigung FEPASA aufgehen – einem Zusammenschluss verschiedener Bahngesellschaften. Die Investitionen in die Schieneninfrastruktur gingen stark zurück. Zwischen 1996 und 1999 wurden die Strecken in Brasilien privatisiert. In dieser Zeit wurde auch der Bahnhof von Sorocaba geschlossen. Heute ist er nur noch Durchfahrt für Güterzüge. Die fahren allerdings in ganz Brasilien auch nicht mehr so häufig, wie es die Wirtschaft eigentlich erfordern würde.
Alte Lok, neuer Glanz
Um die Geschichte der brasilianischen Bahn lebendig zu halten, restauriert die Vereinigung zum Erhalt der Eisenbahn „MPF-Sorocabana“ alte Lokomotiven und Waggons. Zuletzt setzten die ehrenamtlichen Ingenieure und Mechaniker mit finanzieller Unterstützung von Schaeffler Brasilien den alten Triebkopf Whitcomb 3036 wieder instand. Die letzte verbliebene dieselmechanische Lok der Sorocabana-Eisenbahn wurde von der US-amerikanischen Whitcomb-Lokomotiven-Fabrik in Illinois bereits 1942 gebaut und kam erst 1956 nach Brasilien. Zeitlebens wurde sie in Brasilien zum Rangieren von Zügen und Waggons eingesetzt, zuerst von der Iperó Schienenschweißwerkstatt, später von der Eisenbahnvereinigung FEPASA in Sorocaba. Ziel ihrer Anstrengungen sei die Eröffnung eines „Memory Centers“ im alten Bahnhof von Sorocaba und der Betrieb eines Touristenzuges, sagt Eric Mantuan, Betriebsleiter von MPF-Sorocabana. „Dafür wollen wir insgesamt fünf Lokomotiven und acht Personenwagen restaurieren.“ Mit der Whitcomb 3036 sind nun zwei Loks wieder in Schuss.
Immerhin rund 37.000 Kilometer Bahnlinie wurden seit den 1950er-Jahren gebaut, ein Drittel davon aber bis heute wieder stillgelegt – gerade einmal ein Drittel arbeitet noch unter Auslastung. Stattdessen ist das mit rund 8,5 Millionen Quadratkilometern fünftgrößte Land der Welt stark vom Straßentransport abhängig, der 63 Prozent der gesamten Fracht in Brasilien bewegt. Die Folge: ein hohes Verkehrsaufkommen und steigende Frachtkosten, die sich am Ende negativ auf die Versorgung der Bevölkerung auswirken könnten.
Die verkehrsplanerische Entwicklung bremst das Wachstum in Brasilien ein und erschwert es dem Land, sein ökonomisches Potenzial zu entfalten. Natürlich hat auch die Regierung in der Hauptstadt Brasília das Problem längst erkannt und die Herausforderung angenommen. Großprojekte wie die Transnordestina – 1.728 Kilometer neue Breitspurbahnstrecken von den Häfen Suape (bei Recife) und Pecém (bei Fortaleza) nach Eliseu Martins im Bundesstaat Piauí – und die 4.500 Kilometer lange Nord-Süd-Bahn, die Minen und Farmen im Landesinnern Brasiliens mit den Häfen am Amazonas und dem Ballungsgebiet um São Paulo verbinden soll, warten allerdings noch immer auf ihre Fertigstellung.
Zweite Chance – im Güterverkehr
Eine Herausforderung für das Eisenbahnsystem in Brasilien damals und heute: In erster Linie ist es auf den Export von Rohstoffen und damit den Güterverkehr ausgerichtet. Für den Personenverkehr mit der Bahn gibt es kaum noch Perspektiven: Zu viele Bahnhöfe, Bahnen und Gleise wurden stillgelegt, zu wenige Menschen würden neu gebaute Strecken in bevölkerungsarmen Regionen nutzen. Die meisten Menschen in Brasilien leben in den Metropolen. Dort wiederum geht nichts am Personentransport per Schiene vorbei: Allein die São Paulo Metro befördert durchschnittlich 4,7 Millionen Menschen am Tag.
Schiene International
Japan
Japan hat eines der engmaschigsten Schienennetze der Welt (27.311 km Strecke). Im Güterfernverkehr spielt die Bahn aber mittlerweile eine untergeordnete Rolle. Von 1965 bis heute sank der Anteil der Tonnenkilometer von 31 auf 5 % (Küstenschifffahrt aktuell 44 %, Straße 50 %). Im Personenverkehr – wie der Güterverkehr privatwirtschaftlich organisiert – ist die Schiene hingegen das Rückgrat, sowohl urban als auch interurban. 1964 wurde zwischen Tokio und Osaka die erste reine Hochgeschwindigkeitsstrecke der Welt eröffnet. Experten halten die japanische Bahn für die beste der Welt. Die Toleranz bei der Abfahrtszeit des Schnellzugs Shinkansen liegt bei fünf Sekunden (!), die Halteposition am Bahnsteig soll auf einen Zentimeter genau angefahren werden.
Indien
In Indien ist die Eisenbahn traditionell eines der wichtigsten Transportmittel. 1832 fuhr dort der erste Zug. 1950 war das Streckennetz auf gewaltige 54.000 km angewachsen, heute misst es rund 67.000 km – weltweit Platz vier hinter den USA, China und Russland. Während das Streckennetz in den vergangenen sechs Jahrzehnten nur um 23 % gewachsen ist, stieg die Zahl der Passagierkilometer (dank höherer Einkommen und einer wachsenden Verstädterung) massiv, um 1.624 %. Die Frachttonnen verzehntfachten sich durch eine zunehmende Industrialisierung. Deshalb überschreitet der Schienenverkehr oft die Belastungsgrenze, insbesondere im dicht besiedelten Norden. Die Regierung und der Staatskonzern Indian Railway – mit 1,3 Millionen Angestellten der größte Arbeitgeber des Landes und der achtgrößte der Welt – haben das Problem erkannt und steuern mit einer Umgestaltung des Sektors und einem milliardenschweren Investitionsprogramm gegen.
China
Parallel zur ökonomischen Öffnung und Modernisierung des Landes ab Ende der 1970er-Jahre setzte auch der Schienenverkehr in China zu einem Höhenflug an. Erst stieg der Verkehr auf den Gleisen an, ab der Jahrtausendwende wurde auch das Netz massiv ausgebaut – von 50.000 auf heute 150.000 km. Für den Güterverkehr ist das noch zu wenig, viele Strecken sind so stark ausgelastet, dass in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Fracht von der Schiene auf die Straße abgewandert ist. Von 1963 bis heute schrumpfte der Anteil der Bahn am Güterfernverkehr von 75 auf 20 %. Dass China dem Gütertransport auf der Schiene trotz aller Herausforderungen eine große Bedeutung beimisst, zeigt sich auch am Mega-Infrastrukturprojekt „Neue Seidenstraße“ mit Gleisverbindungen bis nach Europa. Ein weiteres Großprojekt: der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsschienennetzes. Das ist mit über 11.000 km schon heute länger als das gesamte der restlichen Welt. Bis 2025 soll es auf 38.000 km anwachsen. Schaeffler profitiert ebenfalls vom Wachstum auf der Schiene in China: Der Technologiekonzern brachte dort bereits in den 80er-Jahren erste Radsatzlager zum Einsatz. Heute ist Schaeffler ein wichtiger Entwicklungspartner für Hochgeschwindigkeits-, Nahverkehrs- und Güteranwendungen in China mit lokalem Entwicklungs-, Produktions- und Service-Know-how.
USA
1930 waren durch die USA unglaubliche 690.000 km Gleise verlegt. Heute sind es 200.000 km, womit die USA aber immer noch Weltspitze sind. Noch mehr als in anderen Ländern verlor die Bahn nach dem Zweiten Weltkrieg Marktanteile an die Straße und die Luft – vor allem im Personenverkehr. 1910 lag der Bahn-Marktanteil hier bei 95 %. Heute sind es circa 1 %. Im Güterverkehr macht die Schiene seit einigen Jahren aber wieder Boden gut. Sie liegt bei einem beachtlichen Marktanteil von 40 %, doppelt so hoch wie in der EU. Vorteil der USA: Durch die geringe Nutzung der Gleise durch Personenzüge können Güterzüge endlos lang sein. Ein US-Zug transportiert im Schnitt 3.000 Tonnen, zehnmal mehr als in der EU. Ein Tonnenkilometer kostet mit der US-Bahn entsprechend wenig: 1 Cent. Auf der Straße sind es 20 Cent (EU 11/14 Cent).