Wirtschaften im Kreis
Zuerst waren es nur wenige Aktive, aber ihre Zahl wuchs kontinuierlich: Ab dem Sommer 1970 trafen sich auf einem Innenhof im kalifornischen Berkeley Mitglieder der Ecology-Action-Bewegung, trugen leere Flaschen zusammen, stapelweise ausgelesene Tageszeitungen, Getränkedosen. Diese regelmäßigen Recycling-Happenings Öko-Bewegter gelten als Keimzelle des US-amerikanischen Recyclings. Denn die Idee griff um sich: Fast im ganzen Land stehen heute an den Abholtagen blaue Boxen mit Altglas, Altpapier, Altmetall bereit. Verschwendung Einhalt zu gebieten lag damals in der Luft: Auch in den Niederlanden waren es engagierte Bürger, die Altglas zu sammeln begannen und die Kommunen zum Handeln zwangen. Und in Österreich, später in England und in Skandinavien. In Deutschland werden heute knapp 300.000 Sammelbehälter regelmäßig gefüllt. Millionen Konsumenten beteiligen sich.
Blendende Erfolge
Das Recycling von Altglas und Altpapier kann in vielen Ländern als Erfolgsmodell gelten. Doch es verstellt den Blick für größere Dimensionen – nämlich wenn es um die weltweite Wirtschaftsproduktion geht. Armin Reller zeichnet ein globales Bild, das die Verbreitung von Abfall über den gesamten Planeten bewusst macht: „So, wie wir nutzbare Stoffe um den ganzen Erdball herumschicken, bewegen sich auch die Abfallströme um den ganzen Erdball“, sagt der langjährige Lehrstuhlinhaber für Ressourcenstrategie an der Universität Augsburg. Da sich diese Ströme aus Elektroschrott und Bauschutt, ausgedienten Fahrzeugen, Hausabfällen und vielem mehr in unzählige kleinere Ströme aufsplitten, ist ein Zurückholen nutzlos gewordener Produkte und Materialien ohne ein hierfür speziell geschaffenes System irgendwann extrem schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Viel zu viele Rohstoffe gehen unrettbar verloren.
Johanna Pütz übersetzt das in konkrete Zahlen: Weltweit werden nur 25 bis 35 Prozent der kritischen Wertströme recycelt – doch es müssten mindestens 80 bis 90 Prozent sein, um mit dem Planeten in Einklang zu leben. Die Expertin für Nachhaltigkeit und Wertstoffkreisläufe bei Boston Consulting macht klar, was das bedeutet: „Wir verbrauchen heute 1,8-mal so viele Ressourcen, wie der Planet dauerhaft zur Verfügung stellen könnte – und bei weiter ungebremstem Raubbau würde es 2040 das 2,3-Fache sein. Um das zu verhindern, ist ein kluges Rohstoffmanagement unabdingbar.“
Rohstoffe unter Druck
Steigende Preise, schwindende Vorräte und geostrategische Veränderungen machen aktuell die Bedeutung von Rohstoffen für die Wirtschaftsproduktion mehr als deutlich. Was zu Zeiten billigen Nachschubs leicht übersehen wurde: Alle Produkte sind verarbeitete Rohstoffe – und bleiben dabei zugleich Rohstoffe! Doch anstatt sie rückzugewinnen und bestmöglich wiederzuverwenden, schieben wir sie in eine Sackgasse. Ausgediente Produkte – vom Fernsehgerät über das Smartphone, vom Möbel bis zur Verpackung – werden am Ende ihrer direkten Nutzungsphase plötzlich als wertlos angesehen und landen weltweit in gigantischen Mengen auf Deponien, in der Natur oder im Ofen von Verbrennungsanlagen. Und schlimmstenfalls gelten sie als Sondermüll.
Müll: Dieser Gedanke reizt Michael Braungart zu energischem Widerspruch: „Sobald man überhaupt Abfall als Tatsache akzeptiert, hat man schon verloren“, postuliert der Hamburger Chemiker und Begründer des Cradle-to-Cradle-Prinzips: „Die Natur kennt keinen Abfall, wir sind die einzigen Wesen, die Abfall machen. Die Natur kennt nur Nährstoffe.“ Und mit diesem Gedanken propagiert er eine Systematik, in der alle Rohstoffe zum Ende ihrer Nutzungsphase wieder als Rohstoff an den Start eines neuen Produktlebens gehen können. Cradle to Cradle, von der Wiege zur Wiege – und nicht wie heute: zur Bahre.
Neue Wege der Rohstoffgewinnung
Während weltweit unablässig neue Rohstoffvorkommen gesucht und unter immer schwierigeren Bedingungen und oft massiven Eingriffen in die Natur erschlossen werden, während Bergbaukonzerne im Rahmen eines „Second Mining“ ihre Abraumhalden nach Erzresten durchwühlen und sie in verbesserten Extraktionsverfahren rückgewinnen, klettern die Preise an den Rohstoffbörsen unaufhaltsam. Dabei liegt eine Problemlösung nah: „Urban Mining“, also die Sekundärrohstoff-Gewinnung aus Reststoffen unserer konsumorientierten Welt, kann Materialien zurück in Produktionskreisläufe bringen – sofern es gelingt, ihrer habhaft zu werden.
Aktuell steht das „Urban Mining“ jedoch vor einer Reihe von Hürden. Konzepte wie Duales System, Sero, Upcycling, Zero Waste oder Cradle to Cradle sind zwar alle dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft verpflichtet, doch keines kann die Praxisprobleme lösen. Denn:
- Es werden zu wenige Produkte in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt.
- Das Produktdesign erschwert die Rückgewinnung der sekundären Rohstoffe massiv oder macht sie oft unwirtschaftlich.
- Es stehen noch zu wenige Recycling-Technologien für die Weiterverwertung komplexer Produkte zur Verfügung.
- Neue, also primäre Rohstoffe sind noch immer zu billig – nicht zuletzt, weil die ökologischen und gesellschaftlichen Gesamtkosten unbeachtet bleiben.
Und tatsächlich: Wir operieren mit einem System, das weder schlüssig noch funktional ist. Solange Wachstum als erstrebenswerte Maxime des Wirtschaftssystems gilt, ist derjenige auch ökonomisch erfolgreich, der Produkte mit immer kürzerer Nutzungsdauer und immer höherer Austauschrate auf den Markt wirft. Was interessiert mich das Smartphone von gestern, wenn es schon morgen eines mit mehr Funktionen und Gimmicks gibt? Oder noch größere Fernsehgeräte oder Gadgets aller Art?
Anteil nehmen an der Geschichte
Den Konsumenten aber zum naiven, kaufberauschten Ressourcenfresser zu stempeln, lässt Heike Weber nicht zu: Die Professorin für Technikgeschichte an der TU Berlin versteht die Etablierung eines Roh- und damit Wertstoffkreislaufsystems als gesamtgesellschaftliches Vorhaben. Und die Verbraucher fungierten darin zusehends stärker als wichtige Player, ja als Motoren des Fortschritts. Denn die Menschen interessierten sich immer mehr für die gesamte Geschichte eines Produktes, sagt Weber. Sie nähmen auch die früher ignorierte Vor- und Nachnutzungsphase zur Kenntnis. Und aus dem Wissen, unter welchen Bedingungen, mit welchem Material- und welchem Energieeinsatz ein Produkt entsteht und was am Ende der Nutzung damit geschieht, vertiefe sich die Beziehung zum Produkt. Was auch ein Gefühl der Verantwortung erzeuge – sonst würden sich die Menschen nicht um einen sinnvollen Verbleib ihrer ausgedienten Gegenstände sorgen. Und auch nachhaltiger konzipierte, aber teurere Produkte fänden keinen Absatz.
Aus Wissen entsteht Verantwortungsbewusstsein und daraus eine aktive Beteiligung an der Materialrückführung – und klüger hergestellte Produkte bekommen dadurch bessere Marktchancen.
„Um den Raubbau an unserem Planeten zu verhindern, ist ein kluges Rohstoffmanagement unabdingbar.“
Genau hier bezieht auch Michael Braungart engagiert Position im Rohstoff-Diskurs: Neben den bewussten Konsumenten braucht es auch aufgeklärte Produzenten, die ein neues Produktdesign realisieren. Derzeit, moniert er, stünde bei nahezu allen Produkten nur die eigentliche Nutzungsphase im Blickpunkt, und sie seien überwiegend auf das Wegwerfen konzipiert. Dabei sei es einfach, die nötigen Materialien so zu verbauen, dass sie sich später problemlos rückgewinnen lassen – weniger unterschiedliche Materialien, leichter lösbare Verbindungen, Verzicht auf unnötige Zusätze. Weitgehend sortenrein rückgewinnbare Recyclate ließen sich problemlos im Markt weiterverkaufen.
Innovative Verfahrensweisen gesucht
Überhaupt: die Technologie. Die ist derzeit eine der zentralen Herausforderungen bei der Etablierung eines umfassenden Wertstoffkreislaufsystems. Einfache Fraktionen wie Glas oder Papier zu recyceln sei ein Kinderspiel im Vergleich zur Verwertung komplex konstruierter Produkte. Doch Braungart ist zuversichtlich, dass die benötigten Verfahren – wie aktuell das Zersetzen von PET-Kunststoffen mittels Enzymen – entstehen werden. Innovative Firmen und die Verbraucher wollen Teil der Lösung sein und nicht länger Teil des Problems.
Die wichtigsten Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft
Ist also tatsächlich denkbar, dass Hersteller und Konsumenten das Problem der Kreislaufwirtschaft allein bewältigen können? So ganz ohne gesetzliche Vorgaben oder ordnungspolitische Lenkung? Heike Weber, Armin Reller und Michael Braungart halten unisono nur sehr wenig davon, eine sekundäre Rohstoffgewinnung per Gesetz und Verordnung herbeiführen zu wollen. Die Erkenntnis ist einfach: Niemand lässt sich gern Vorgaben machen oder gar zu etwas zwingen, und je höher der Druck, desto größer der Widerstand.
Im Hinblick auf die Wirtschaft zeigt Johanna Pütz eine andere Einflusssphäre auf: Vorgaben und Auflagen könnten in der Vor- und der Nachnutzungsphase konstruktiv sein, etwa indem material- und energieexzessive Herstellungsverfahren sowie schädliche Stoffe keine Zulassung mehr bekommen. Gutes Beispiel: Der schnelle internationale Ausstieg aus der FCKW-Produktion im Rahmen des Montreal-Protokolls hat den Abbau der Ozonschicht weitgehend zum Stillstand bringen können. Auch die Verpflichtung des Handels, ausgediente Objekte kostenlos zurückzunehmen, sei laut Pütz eine hilfreiche politische Lenkung. Wenn die Politik – möglichst international – Rahmenbedingungen und Entwicklungsziele vorgebe, könne das den Transfer vom linearen Denken, Produzieren und Konsumieren hin zum System des Kreislaufs beschleunigen. Doch die eigentliche Nutzungsphase sollte frei von Zwängen sein – was vernünftig ist, würden aufgeklärte Konsumenten ohnehin tun, und es sei Aufgabe von Wirtschaft und eben der Verwaltung, die Beteiligung aller an der Kreislaufwirtschaft möglichst niedrigschwellig zu ermöglichen.
Jährliches globales Abfallaufkommen heute und 2040
Killerkonzept Müllverbrennung
In einem Punkt sehen Reller, Braungart und Pütz den derzeitigen Umgang mit „Abfall“ jedoch auf dem völlig falschen Weg: Müllverbrennung sei der größte Fehler, den man machen könne, denn dadurch würden die Sekundärrohstoffe nahezu vollständig zerstört oder unbrauchbar gemacht. Auch der Aspekt der Energieerzeugung – irreführend als „thermisches Recycling“ bezeichnet – sei ein Irrweg, betont Braungart, denn bei fast allen Stoffen werde in der Herstellung mehr Energie benötigt als bei der Verbrennung gewonnen. Eine längere Nutzung der Rohstoffe sei also auch unter energetischem Aspekt eindeutig geboten.
„Welche Rohstoffe und Ressourcen für die Zukunft, für die nächste Generation von Technologien wichtig sein werden“, gibt Reller zu bedenken, „ist heute noch gar nicht absehbar. „Im Abfall sind viele dafür wichtige Stoffe und vor allem Metalle enthalten, die jetzt vielleicht noch unbedeutend sind, aber später unheimlich wichtig werden können. Wir können sie vielleicht technologisch noch nicht rückgewinnen, aber künftig wird es dafür neue Technologien geben, um selektiv solche Wertstoffe wiederzugewinnen. Es kommt eine Welle neuer Methoden auf uns zu, die sehr spannend sind.“
Deponieren statt verbrennen? Die Zukunft erfordert andere Denkmodelle – und nur der Kreis macht neue Anfänge möglich.