Wie viele Köpfe braucht ein Team?

Von Dr. Lorenz Steinke
Lautet die Lösung sechs, acht oder doch zwölf? Kommt es auf die Umstände an oder gibt es eine feste Zahl, die überall und zu jeder Zeit gilt? Die Rede ist von Teamgrößen in der Arbeitswelt. Wie viele Köpfe benötigt eine Arbeitsgruppe mindestens, damit sie gut zusammenarbeitet? Wie viele Köche sind zu viel und verderben den Brei, den andere rühren? Expertinnen und Experten aus der Praxis suchen schon seit Langem nach der magischen Zahl und haben überraschende Antworten.
© Parradee Kietsirikul (iStock)

Ende des 19. Jahrhunderts untersuchte der französische Agraringenieur Maximilien Ringelmann das Gruppenverhalten von Menschen. Er ließ Testpersonen abwechselnd allein und in Teams schwere Lasten ziehen. Doch je mehr Personen gemeinsam zogen, desto mehr reduzierten sie ihre individuellen Anstrengungen. Brachte es ein Einzelkämpfer noch auf 63 Kilogramm am Seil, fiel er im Zweier-Team auf anteilige 59 Kilogramm zurück. Bei drei Personen sank der Pro-Kopf-Wert auf 53 Kilogramm. Je mehr Menschen zogen, desto weniger brachte sich der Einzelne ein.

Während sich Ringelmann diesen Zusammenhang noch mit Koordinierungsschwierigkeiten beim möglichst gleichmäßigen Seilziehen erklärte, fanden in den 1970er-Jahren zwei andere Wissenschaftler heraus: Der Effekt tritt sogar dann auf, wenn die Testpersonen mit verbundenen Augen allein an einem Seil ziehen und lediglich glauben, sie täten dies als Teil eines größeren Teams: Je mehr vermutete Mitstreiter, desto weniger Leistung brachte der Einzelne.

Die Experimente zeigten allerdings auch: Je weiter eine Gruppe anwuchs, desto mehr flachte sich der Ringelmann-Effekt ab: Zweier- und Fünfer-Teams unterschieden sich noch enorm. Aber ob sechs oder 15 Personen am Seil standen, machte für die individuelle Leistungsbereitschaft kaum noch einen Unterschied. Sind das gute Nachrichten für große Arbeitsgruppen? Nicht unbedingt. Denn sobald Teammitglieder auch noch miteinander kommunizieren müssen, kommt ein weiteres Problem hinzu.

Wachstum als Brandbeschleuniger

Anfang der 60er-Jahre setzte der US-Computerkonzern IBM alles auf eine Karte: Die neue Großrechnerserie System/360 sollte unbedingt ein Erfolg werden. Gewaltige fünf Milliarden US-Dollar investierte der Hersteller in sein wichtigstes Projekt. Verantwortlich für das Betriebssystem dieser neuen Computer-Baureihe zeichnete der talentierte Mathematiker Frederick P. Brooks, der damit zum Chef von anfangs 150 Programmiererinnen und Programmierern wurde.

Doch der Terminplan war viel zu eng gesteckt. Während die Hardware-Entwicklung, bei der sich die Ingenieure nur wenig abstimmen mussten, gut voranschritt, hakte es bei der Software. Brooks musste seine Teams ständig aufstocken, weil Zeitpläne aus dem Ruder liefen.

Doch mit jeder zusätzlichen Arbeitskraft wurden die einzelnen Gruppen schlechter und bauten mehr Fehler in ihren Code ein. „Es war, als ob man Feuer mit Benzin bekämpft“, stellte er frustriert fest. Nach 5.000 Mann-Jahren war das Betriebssystem, an dem in Spitzenzeiten über 1.000 Personen beteiligt waren, schließlich fertig – und Brooks um unzählige Erfahrungen reicher.

Seine Erkenntnisse fasste er später in dem viel beachteten Buch „Vom Mythos des Mann-Monats“ zusammen. Das darin genannte und nach ihm benannte Brooksche Gesetz lautet: Stockt man ein Software-Team auf, das nicht mehr im Zeitplan ist, bleibt es hinter dem Zeitplan – egal wie viel Arbeitskraft man hinzufügt. Der Aufwand für Einarbeitung, für die Definition von Schnittstellen und für zusätzliche Abstimmungsrunden frisst die Extra-Arbeitskraft komplett wieder auf.

Brooks Fazit: Je größer ein Team ist, desto schneller wächst auch die Anzahl der möglichen Kommunikationskanäle zwischen jeweils zwei Personen. In einer Arbeitsgruppe aus drei Personen gibt es nur drei mögliche Paarungen für direkte Dialoge (Person 1 mit Person 2, Person 1 mit Person 3, Person 2 mit Person 3). In einem 10er-Team sind schon über 50 möglich und bei 50 Teammitgliedern bereits weit über 1.000.

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„Stille Post“ am Arbeitsplatz

Das hat fatale Folgen: Selbst Absprachen, die kurz zuvor in einer großen Teamrunde gemeinsam getroffen wurden, werden in der Regel kurz darauf in unzähligen kleineren Runden korrigiert oder mündlich falsch weitergegeben – wie beim bekannten Kinderspiel „Stille Post“. Weil bei einem 50-köpfigen Team in der Realität nie alle Beteiligten zusammenkommen, wabert jede Informa­tion durch eine riesige Echokammer aus Nach- und Nachnachgesprächen.

Julia Meyer ist bei Schaeffler im Bereich Produktionssysteme verantwortlich für Workplace Performance. Sie sorgt für ergonomische und effiziente Arbeitsplätze in den Werken der Schaeffler Gruppe: „Mit Methoden wie dem Team Improvement Programm TIP liefern wir den Standorten ein Werkzeug zur Stärkung von Teams am Shopfloor.“

Trotz modernster Kommunikationstechnologien sieht sie dabei für die Produktion weiterhin eine Obergrenze von zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einem Team. Arbeitsgruppen in anderen Bereichen, bei denen beispielsweise viele Dienstreisen anfallen, sollten idealerweise kleiner sein, so Meyer. Ihr eigenes Team besteht aus sechs Mitgliedern.

Reibungsverluste explodieren

Überraschenderweise zeigt sich: Was bei Brooks im Lochkartenzeitalter mit seinen wenigen Kommunikationsmöglichkeiten galt, gilt auch heute noch im Zeitalter der Teamkonferenzen und der ständig vernetzten Arbeitsplätze. Meyer mahnt: „Wir haben so viele Kommunikationskanäle. Doch wenn ich ein großes Team habe, ist es schwierig, diese zu bündeln.“

Auch Mariana Krištofová achtet deshalb bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darauf, dass die Kommunikation untereinander und mit den Führungskräften reibungslos funktioniert, getreu den Schaeffler-Führungsprinzipien Transparenz, Vertrauen und Teamarbeit. Die studierte Maschinenbauerin ist bei Schaeffler Leiterin des Special Machinery Teams mit 170 Beschäftigten am Standort Kysuce: „Die wichtigste Voraussetzung, damit auch große Teams gut zusammenarbeiten, ist funktionierende Kommunikation, Teamarbeit und gegenseitige Unterstützung.“

Wie viele Köpfe braucht ein Team?© yogysic (iStock)
Die Unschlagbaren

Wie könnte ein perfektes Superhelden-Team aussehen? Die KI von Microsoft Bing empfahl diese achtköpfige Mischung vielfältiger Charaktere:

Der Anführer Charismatisch und inspirierend, mit einem starken moralischen Kompass.

Das Genie Hochintelligent, ein Meister der Technologie und Strategie.

Der Muskelmann Unglaubliche Stärke und Ausdauer, oft der Beschützer des Teams.

Der Schnelle Übermenschliche Geschwindigkeit, kann in Sekundenbruchteilen agieren und reagieren.

Der Gestaltwandler Kann das Aussehen ändern, ideal für Spionage und Täuschung.

Der Telepath Gedankenleser und -beeinflusser, nützlich für Kommunikation und Informationsgewinnung.

Der Elementare Kontrolle über Elemente wie Feuer, Wasser, Luft oder Erde

Der Heiler Kann Verletzungen heilen, unverzichtbar für die Regeneration des Teams.

Jedes Mitglied, schreibt die KI, bringe etwas Wertvolles ein. Die perfekte Kombination aus Kraft, Intelligenz, Schnelligkeit und Teamgeist macht dieses Team nahezu unbesiegbar.

Nur wenn dies gewährleistet sei, sind auch größere Teams grundsätzlich möglich, so Krištofová: „Aus meiner Erfahrung bei Schaeffler würde ich sagen, dass es keine ‚magische Zahl‘ gibt. Ich habe in größeren und kleineren Teams gearbeitet. Ich erinnere mich zum Beispiel sehr gerne an die Arbeit in einem 20-köpfigen Team, bei der die Kommunikation und Zusammenarbeit zu 100 Prozent funktionierte.“

Doch das ist in der Arbeitswelt leider nicht die Regel. Professor Florian Becker von der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft forscht seit vielen Jahren zu den Themen Führung, Motivation und Teamarbeit. Er weiß: „In zu großen Teams explodieren die Reibungsverluste förmlich. Je größer ein Team wird, desto mehr nehmen dysfunktionale Dynamiken zu wie Koordinationsaufwand, Konflikte, Unklarheit bei Rollen und Verantwortungen und soziales Trittbrettfahren.“

Sein Rat: „Mach deine Teams nur so groß wie nötig und so klein wie möglich. In den meisten Unternehmen wird die Zahl fünf eine gute Obergrenze sein für Menschen, die eng abgestimmt und selbstorganisiert zusammenarbeiten sollen.“

Hinzu kommt: Auch für Führungskräfte sind große Teams ein Problem. Bei mehr als zehn Teammitgliedern fehlt oft die Zeit, neue Kolleginnen und Kollegen einzuarbeiten oder persönliche Gespräche zu führen.

Doch auch kleine Teams haben ein Problem: Denn neben ihrer Größe ist die Zusammensetzung von Teams mindestens genauso wichtig. So identifizierte der britische Wissenschaftler und Unternehmensberater Meredith Belbin in den 1970er-Jahren neun verschiedene Rollen in erfolgreichen Arbeitsgruppen, darunter die „Macher“ und die „Umsetzer“, ferner „Koordinatoren“, „Neuerer“ und „Spezialisten“, außerdem „Beobachter“ und „Teamworker“. Theoretisch können einzelne Personen auch mehrere Rollen übernehmen. Doch ein guter „Weichensteller“ ist nicht notwendigerweise auch ein guter „Perfektionist“. Bei zu kleinen Teams fehlen daher oft wichtige Spezialfähigkeiten. Hier können große Arbeitsgruppen eher punkten.

Gibt es also eine magische Formel für Teamgrößen? Leider nein. Dennoch gibt es einige Regeln für erfolgreiche Teams. Die richtige Teamzusammensetzung und die richtige Teamgröße gehören immer noch zu den wichtigsten Erfolgskriterien für effiziente Arbeit.

Der IBM-Mathematiker Brooks konnte am Ende seiner Projektlaufzeit ein lauffähiges Betriebssystem abliefern. Auch die NASA vertraute bei der ersten Mondlandung auf das System/360 und brachte erfolgreich ein dreiköpfiges Astronauten-Team zum Erdtrabanten und zurück. Möglich wurde diese Reise aber nur, weil am Boden weitere 400.000 Menschen ihren ganz persönlichen Beitrag leisteten. Vielleicht steckt auch darin ein Geheimnis effizienten Teamworks: In der Überzeugung, gemeinsam an einem guten Projekt zu arbeiten.

Dr. Lorenz Steinke
Autor Dr. Lorenz Steinke
Dr. Lorenz Steinke hat als IT-Journalist viele Jahre Computerprogramme getestet. Daher weiß er: Bei manchen Software-Projekten bleiben die Programmier-Teams weit unter ihren Möglichkeiten. Sein Verdacht: Falsche Teamstrukturen könnten ein Grund dafür sein.