Wer kooperiert, der profitiert
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Oktober 2020

Wer kooperiert, der profitiert

Wenn Wirtschaft und Wissenschaft erfolgreich zusammenarbeiten, verbindet sich praxisnahes Wissen aus der Industrie mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Produkten mit Mehrwert. Aber wie gelingen solche Wirtschafts-Wissenschafts-Kooperationen – und wie fördert man sie gezielt?

Prof. Marion Merklein wusste fast alles über Tailored Heat Treated Blanks (THTB). Schließlich hatte die Ingenieurin für Werkstoffwissenschaft, die heute den Lehrstuhl für Fertigungstechnologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) leitet und für ihre Arbeit bereits 2013 mit dem renommierten Leibniz-Preis ausgezeichnet wurde, die speziell hitzevorbehandelten Aluminiumbleche maßgeblich miterdacht, die je nach Bedarf aus verschiedenen Materialgüten und -dicken zusammengesetzt sind. Über Jahre hatte sie Grundlagenforschung dazu betrieben, Diplom- und Doktorarbeiten zum Thema betreut und unzählige Experimente und Simulationen durchgeführt. Sie wusste, wie und wo man die Aluminium-Platten gezielt erhitzen musste, damit sie später besser zu einem Kotflügel oder einer B-Säule geformt werden konnten. Und sie wusste, dass diese Spezial-Hitzevorbehandlung der Industrie erlaubte, ohne Qualitätsverlust in den Bauteilen geringe Blechdicken, günstigere Material-Güteklassen und einfachere Werkzeuge einzusetzen.

Die Zeiten der Einzelkämpfer sind vorbei. Wir müssen kreative Köpfe vernetzen

Prof. Dr. Tim Hosenfeldt,
Leiter Innovation und Zentrale Technologie bei Schaeffler

Was der Professorin aber erst in einer Koopera­tion mit einem potenziellen industriellen Anwender ihrer Hightech-Bleche vor Augen geführt wurde, war, dass die daraus geformten Bauteile in einem Folgeschritt „gewaschen“ werden müssen: Reste der beim Umformen eingesetzten Öle und Fette würden sonst ein Lackieren nahezu unmöglich machen. Schlecht bei Teilen einer Autokarosserie. „Beispiele wie dieses zeigen, warum Wirtschafts-Wissenschafts-Kooperationen so sinnvoll sind: Wir waren etwas zu verliebt in die reine Umformbarkeit und hatten den Rest ausgeblendet“, sagt die Professorin. Erst zusammen mit dem Input ihres Wirtschaftspartners, der wiederum nicht die THTB hätte entwickeln können, konnte die Technologie erfolgreich in die Serie eingeführt werden.

Fehlende Motivation und verschlossene Gesellschaften

Prof. Thomas Baaken, Direktor des Science-to-Business Marketing Research Centre an der Fachhochschule Münster, hat den Stand der ­Wirtschafts-Wissenschafts-Kooperationen (kurz: WWK) in Europa für die Europäische Kommission untersucht. Das Ergebnis der bisher umfassendsten Studie mit über 17.000 Interviews auf 26 Sprachen in 33 Ländern: Auf den vorderen Plätzen liegen Finnland und Dänemark, gefolgt von England, Irland, den baltischen Staaten, den Niederlanden und Deutschland. Südeuropa hinkt hinterher. Für dieses deutliche Nord-Süd-Gefälle spiele laut Baaken auch die offene Kultur der skandinavischen Länder eine Rolle: Dort stehe die Tür von Professoren grundsätzlich jedem offen – je weiter südwärts man kommt, desto weniger Augenhöhe sei zu erkennen, weiß Baaken zu berichten. Eben das macht die Kontaktaufnahme dort auch für Unternehmen schwieriger. In den Ländern mit einer Platzierung im Mittelfeld wiederum fehlt es beiden Seiten oft an Vertrauen und Motivation: Sowohl die Unternehmen als auch die kooperierenden Wissenschaftler haben der Studie nach das Gefühl, nur geringe persönliche Vorteile aus WWK zu ziehen und vielmehr sogar Risiken einzugehen.

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Patente einreichen heißt nicht patent sein

Die USA übrigens seien in dem Bereich der WWK nicht besser als Europa, sagt Baaken. Das System dort basiere auf Patentierung und Lizenzierung wissenschaftlicher Entwicklungen. Es sei auf die Kommerzialisierung über Lizenzen ausgerichtet und wesentlich weniger auf Kooperation und gemeinsame Erfolge. Patente per se seien natürlich nicht schlecht, betont der Experte. Aber nicht, wenn sie als Karteileiche verstauben. Nicht selten werden Patente in den USA abgegriffen, um darauf gegebenenfalls irgendwann mal zurückgreifen zu können. Haben ist bekanntlich besser als Brauchen. Technologien werden so aber nicht selten eher vom Markt ferngehalten, als dass sie einer Verwendung zugeführt werden. „Da in frühen Stadien oft noch unklar ist, ob eine wirtschaftliche Nutzung tatsächlich möglich ist, bleiben viele Patente wegen des finanziellen Risikos ungenutzt – und sind streng genommen ein Misserfolg“, sagt Baaken. „Die Erfolgsgeschichten manch großer Tech-Unternehmen in den USA täuschen darüber hinweg, dass in 99 Prozent der Fälle der Transfer in die Wirtschaft über Patente nicht funktioniert.“ Das vielbeschworene US-System sei damit nur bedingt erfolgreich, urteilt er. In Europa hingegen würden Projektpartner WWK-Patente zunehmend als Konsortium anmelden und sich im Vorfeld über die verschiedenen Formen der Vergütungen und kommerziellen Verwertung einigen. Die nötige Offenheit dafür bedinge aber Vertrauen in der Zusammenarbeit, sagt der Experte.

Wie kann aber nun die Zahl und der Umfang erfolgreicher Wirtschafts-Wissenschafts-Kooperationen systematisch verbessert werden? Baakens Studie gibt dazu eine überraschende Antwort: Bisher ging man davon aus, dass weniger Barrieren zu mehr Kooperationen führen würden. Die Untersuchung zeigte aber: „Wenn Barrieren für WWK beseitigt werden, passiert zunächst einmal noch nichts – wenn aber die Treiber und die Motivation groß genug sind, werden Barrieren einfach überwunden.“

Der Münsteraner Forscher plädiert daher für Motivationssysteme, die Hochschulen und Unternehmen dazu bringen, WWK einzugehen. Etwa indem Institute und Lehrstühle, die erfolgreich WWK durchführen, mehr Budget bekommen und die beteiligten Akteure in ihren Karrieren unterstützt werden – bisher zählt hier nur der Output in wissenschaftlich hochqualifizierten Fachjournalen. Der Wirtschaft wiederum könnte man für Forschungsaktivitäten im Rahmen von WWK steuerliche Vorteile einräumen.

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Langfristige Beziehungen zwischen den Partnern

Den Vorschlag Anreize zu setzen hält auch Marion Merklein für sinnvoll. Sie hat aber noch einen Tipp, der ihrer Meinung nach über das Gelingen von WWK entscheidet: „Alle Seiten müssen vorher wissen, was in dem jeweiligen Projekt möglich ist, was sie erwarten können, und ihr Ego beiseitelassen“, sagt die Professorin. Hilfreich sei auch, vorab eine Roadmap zu formulieren, die beschreibt, wie es nach Abschluss des Projektes weitergeht. „Sonst hängen alle in der Luft“, warnt Merklein. Wie das klappt? „Wenn sich die Partner vertrauen“, sagt Merklein. „Am besten ist daher, die Beziehungen zu Wirtschaftspartnern langfristig aufzubauen.“

Auch Schaeffler hat das schon vor Jahren erkannt und begonnen, ein globales Kooperationsnetzwerk mit Hochschulen zu etablieren (siehe Infokasten). „Die Zeiten der Einzelkämpfer sind vorbei. Wir müssen kreative Köpfe vernetzen“, sagt Prof. Dr. Tim Hosenfeldt, Leiter Innovation und Zentrale Technologie bei Schaeffler. Thomas Baaken unterstreicht diese Einschätzung: „Wichtig ist, dass Sie als Unternehmen überhaupt anfangen mit der Wissenschaft zu kooperieren – und vice versa.“ An welcher Stelle, das sei zunächst unerheblich. „Wenn erst einmal Vertrauen gefasst ist, weitet sich die Zusammenarbeit schnell auch auf andere Felder aus – bis hin zu echten strategischen Partnerschaften.“ Mit seinen SHARE-Projekten hat Schaeffler dieses Ziel schon erreicht.

Wer kooperiert, der profitiert© Schaeffler
Gemeinsam schneller zu neuen Produkten

Wie halten die Partner in Wirtschafts-Wissenschafts-Kooperationen am besten den für eine erfolgreiche Zusammenarbeit nötigen engen Kontakt? Schaefflers Antwort: Indem man gar nicht erst Distanz aufkommen lässt. In seiner Initiative Schaeffler Hub for Advanced Research, kurz SHARE, verfolgt der Herzogenauracher Technologiekonzern das Company-on-Campus-Konzept. „Die Idee dabei ist, Schaeffler-Mitarbeiter und Forscher der jeweiligen Partner-Universität in einem Büro auf dem dortigen Campus gemeinsam arbeiten zu lassen“, sagt Dr. Michael Schlotter, Leiter Angewandte Forschung – Innovationsnetzwerke bei Schaeffler. „Intensiver kann man nicht zusammenarbeiten.“ Der Fokus der SHARE-Projekte liegt auf anwendungsorientierter Forschung, die in die Schaeffler-internen Vorentwicklungs- und Produktentwicklungsaktivitäten einfließen und sie beschleunigen soll. Aktuell gibt es weltweit vier SHARE-Standorte – jeder davon hat individuelle Schwerpunkte.

  • SHARE at KIT (Karlsruher Institut für Technologie) befasst sich seit 2013 mit Projekten aus den Bereichen der elektrischen und automatisierten Mobilität
  • SHARE at FAU (Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg) ist auf Digitalisierungsthemen und künstliche Intelligenz spezialisiert
  • SHARE at NTU (Nanyang Technological University in Singapur) widmet sich Fragen der Robotik und Industrie 4.0,
  • SHARE at SWJTU (Southwest Jiaotong University in der chinesischen Metropole Chengdu) fokussiert sich auf interurbane Mobilität, speziell den Schienenverkehr.

„Damit decken wir einen Großteil der für Schaeffler strategisch wichtigen Innovationsfelder ab“, sagt Michael Schlotter. „Wenn der Bedarf nach zusätzlichen Schwerpunkten da ist, halten wir uns aber offen, noch weitere Standorte zu gründen. Ein bis zwei könnten in den kommenden Jahren noch folgen.“

Denis Dilba
Autor Denis Dilba
Wirtschafts-Wissenschafts-Kooperationen kennt der auf Themen aus Wissenschaft und Technik mit Mobilitätsbezug spezialisierte Autor Denis Dilba aus eigener Erfahrung: In seinem Studium entwickelte er ein verbessertes Luftansaugsystem für einen Vierzylinder-Ottomotor. Das System wird heute in Mittelklassemodellen eines deutschen Autobauers eingesetzt.