Vorsicht Fälschung!
Die Zahlen sind beeindruckend: Die grenzübergreifenden Gesetzeshüter der Europol beziffern den Anteil von gefälschten Produkten am weltweiten Handel auf 2,5 Prozent und mit einem Wert von 461 Milliarden US-Dollar. Betroffen von der Produktpiraterie sind vor allem westliche Industrieländer. Rund 24 Prozent der weltweit entdeckten Verletzungen gewerblicher Schutzrechte betrafen nach der letzten OECD-Studie aus dem Jahr 2019 die USA, gefolgt von Frankreich (17 Prozent), Italien (15), der Schweiz (11) und Deutschland (9). Den größten Warenanteil daran haben Schuhe, Kleidung, Lederwaren, Elektronikartikel und Uhren. Die Produktpiraterie berührt jedoch nicht nur Luxus- oder Konsumgüter. Betroffen sind auch besonders kritische Produktgruppen wie medizinische Artikel und sicherheitsrelevante Industrieprodukte – und damit auch der weltweit aktive Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler.
Fake-Produkte als Sicherheitsrisiko
Die Folgen der Fälscherei sind vielschichtig. Produzenten verlieren nicht nur Umsatz oder Wettbewerbsvorteile, ihnen drohen auch Imageschäden, Schadensersatzansprüche, Arbeitsplatzverluste oder Gerichtsverfahren. Und es trifft nicht nur die großen Firmen: Nach einer Umfrage des Amts der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) unter kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gab jedes vierte an, von Verletzungen seiner Rechte des geistigen Eigentums betroffen zu sein. „Der illegale Handel mit gefälschten und raubkopierten Waren stellt eine große Herausforderung für eine innovationsgetriebene Weltwirtschaft dar“, sagt Christian Archambeau, Executive Director des EUIPO. „Er schadet dem Wirtschaftswachstum, stellt eine erhebliche Bedrohung für die individuelle und kollektive Gesundheit und Sicherheit dar, nährt die organisierte Kriminalität und untergräbt eine solide öffentliche Verwaltung, die Rechtsstaatlichkeit und das Vertrauen der Bürger in die Regierungen.“
Vor allem der Aspekt Sicherheit liegt Martin Rügemer von der Abteilung „Global Brand Protection“ bei Schaeffler sehr am Herzen: „Natürlich bedeutet ein gefälschtes Teil oft einen erheblichen Imageschaden und Umsatzverluste für ein Unternehmen. Aber besonders bei sicherheitsrelevanten Produkten kann jede Fälschung aufgrund von minderwertigen Materialien oder Designfehlern schadhaft sein – und stellt vor allem eine potenzielle Gefährdung da. So kann ein Lager in einem Kraftwerk ausfallen, aber auch ein Radlager in einem Pkw blockieren. Die Auswirkungen können sehr ernst sein.“
"Manche Hersteller glauben, dass ihre technisch sehr aufwendigen Produkte gar nicht gefälscht werden können und sie daher nicht betroffen sind"
Während Käufer von Konsumgütern oft einfach Geld sparen wollen und bewusst unechte T-Shirts oder Uhren kaufen, sind sich die Hersteller von industriellen Teilen oder Käufer von Lagern teilweise gar nicht im Klaren darüber, dass auch ihre Branche Opfer von Produktpiraterie ist. „Manche Hersteller glauben, dass ihre technisch sehr aufwendigen Produkte gar nicht gefälscht werden können und sie daher nicht betroffen sind“, sagt Ingrid Bichelmeir-Böhn, ebenfalls Mitglied der zentralen Stelle zur Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie bei Schaeffler. „Aber da geht man einfach von falschen Tatsachen aus. Den Fälschern ist nämlich völlig egal, ob die Produkte technisch genau nachgebaut werden, ob sie funktionieren oder Normen oder Qualitätsmaßstäbe erfüllen. Oft sehen sie auf den ersten Blick wie das Originalteil aus, sind aber schadhaft und damit gefährlich. Den Fälschern geht es nur ums Geldverdienen.“ Und dies mit der gesamten Bandbreite des Produktangebotes: „Es gibt nichts, was nicht gefälscht wird“, ergänzt ihr Kollege Rügemer. „Bei Schaeffler ist vom kleinen Rillenkugellager über Radlager oder Kupplungen bis zu Großlagern, zum Beispiel für Windkraftanlagen, eigentlich alles dabei.“
"Es gibt nichts, was nicht gefälscht wird. Bei Schaeffler ist vom kleinen Rillenkugellager über Radlager oder Kupplungen bis zu Großlagern eigentlich alles dabei"
Umfangreicher Maßnahmenkatalog von Schaeffler
Das Unternehmen setzt daher auf eine ganze Reihe von Maßnahmen, um sich, aber vor allem auch die Kunden, vor gefährlichen Fälschungen zu schützen. „Wir stecken viel Aufwand in die Aufklärung, zum Beispiel mit Flyern, Vorträgen oder Posts auf LinkedIn oder Instagram“, sagt Bichelmeir-Böhn. „Zum einen, um die Käufer für das Thema Produktpiraterie zu sensibilisieren. Und zum anderen, damit sie gefälschte Produkte erkennen können beziehungsweise wissen, was sie machen können, wenn sie Zweifel an deren Authentizität haben.“
Zu diesem Zweck führte Schaeffler 2017 die Schaeffler-OriginCheck-App ein. Mit dieser können Kunden selbst ganz einfach einen speziellen und individuellen Schaeffler-Code per Handy auf Etiketten von Schaeffler-Produkten und zum Teil auf den Produkten selbst prüfen und erhalten eine Benachrichtigung, ob es sich um einen Code handelt, der in einer von Schaeffler geführten Datenbank vorhanden ist. Sollte der Code dort nicht auftauchen beziehungsweise mehrfach verwendet worden sein, erhält der User eine Warnung und Anweisungen für nächste Schritte.
Um Produktpiraten das Handwerk zu legen, ist auch detektivische Spurensuche gefragt. So auch beim Global-Brand-Protection-Team von Schaeffler. „Um auch zukünftig den Produktpiraten die Stirn zu bieten, müssen wir uns mit den Fälschern und ihren Methoden weiterentwickeln“, erklärt Ingrid Bichelmeir-Böhn. Dazu gehört auch das Monitoring digitaler Vertriebskanäle. „Durch den Onlinehandel können Verkäufer erheblich einfacher weltweit ihre Produkte anbieten“, so Bichelmeir-Böhn weiter. „Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir gezielt diese Plattformen beobachten und gegen Verkäufer gefälschter Waren vorgehen und deren Listings löschen lassen. Es gibt hier mittlerweile immer mehr Verschiebungen von B2B- und B2C-Plattformen hin zu Social Media. Daran sieht man, dass wir mit unseren Maßnahmen erfolgreich sind.“
Die Markenschützer von Schaeffler setzen dabei auch auf die Unterstützung durch Vertriebsmitarbeitende und Händler. „Wir haben mittlerweile ein sehr gutes Netzwerk aufgebaut, das uns sowohl online als auch in der realen Welt einbezieht und uns wichtige Hinweise zuspielt, denen wir dann nachgehen. Zudem arbeiten wir auch eng mit dem Zoll oder Behörden wie Europol zusammen“, ergänzt Martin Rügemer. „Aber es kann auch ein Privatmann sein, der über eBay etwas gekauft hat und uns über die OriginCheck-App kontaktiert.“
Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die vorbildliche Vorgehensweise des griechischen Schaeffler-Vertriebspartners SKAMA. Dieser bot einem Kunden, der sich für das vermeintlich bessere Angebot eines Konkurrenten entschieden hatte, an, die gelieferten Lager auf ihre Echtheit zu überprüfen. Die Kontrolle der Data-Matrix-Codes mit der OriginCheck-App erhärtete den ersten Verdacht. SKAMA schickte umgehend Fotos der fraglichen Ware an das Schaeffler-Team, das die Fälschungen zweifelsfrei bestätigte. Für einen weiteren Verdachtsfall reisten Mitglieder des Brand-Protection-Teams nach Griechenland und identifizierten erneut sämtliche Lager als Plagiate. Mit anwaltlicher Unterstützung vor Ort wurden die Lieferungen umgehend beschlagnahmt. Eine ähnliche Erfahrung machte der türkische Schaeffler-Vertriebspartner Özevren Rulman. Er hatte eine Reihe von Ausschreibungen gegen deutlich günstigere Mitbewerber verloren und hegte daher den Verdacht, dass etwas nicht stimmen könnte. Er bot den Kunden an, mit der OriginCheck-App die Echtheit der billigeren Lager zu prüfen, die sich prompt als Fälschungen herausstellten. Özevren Rulman konnte durch sein Eingreifen sogar die bestehenden Geschäftsbeziehungen zu seinen Kunden ausbauen. Dies verhalf dem Unternehmen allein im Jahr 2020 zu einem zusätzlichen Umsatz von knapp einer halben Million Euro.
Ohne Wissen Markenrechte verletzt
Ein bitteres Erlebnis mit Produktpiraterie hatte auch das deutsche Unternehmen Diehr und Rabenstein, das von einer auf den ersten Blick seriös wirkenden Firma namens Yakang beliefert werden sollte. Doch am Flughafen Nürnburg wurden die bestellten Waren vom Zoll beschlagnahmt, anschließend wurde der Unternehmenssitz von Diehr und Rabenstein von den Behörden durchsucht. Es hatte sich herausgestellt, dass das Unternehmen gefälschte Lager erworben hatte. „Im ersten Moment wussten meine Mitarbeiter und ich gar nicht, wie uns geschieht“, erinnert sich Inhaber Wolfgang Diehr. „Solche Szenen kennt man ja nur aus dem Fernsehen. Jetzt standen wir selbst wie Verbrecher da, wie Kriminelle, im Fadenkreuz von Ermittlern, Gerichtsvollziehern, Anwälten und Sachverständigen. Durch den gewaltigen Auftritt haben wir die Ernsthaftigkeit der Situation erstmals erkannt und verstanden, dass wir ohne unser Wissen Markenrechte verletzt hatten. Unsere Anwälte klärten uns im Anschluss darüber auf, dass wir mit allem rechnen müssen, auch mit Gefängnisstrafen und Insolvenz! Wir waren entsetzt. Alles, was wir in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten mühsam aufgebaut haben, unsere Firma, unsere Häuser, unseren Lebensstandard … Das alles sollte nun verloren sein?“ In enger Zusammenarbeit mit Schaefflers Brand-Protection-Team wurde der Fall schließlich gelöst. „Wir wollen mit unserem Vorgehen gegen Produktpiraterie Vertrauen schaffen“, unterstreicht Bichelmeir-Böhn. „Die Kunden können sich jederzeit an uns wenden und werden von uns unterstützt. Sie werden mit den Problemen nicht alleingelassen.“
Seit seiner Gründung im Jahr 2004 hat die Global Brand Protection von Schaeffler bereits über 7.000 Fälle untersucht und konsequent weitere Maßnahmen zum Schutz vor Produktpiraterie und Markenrechtsverletzungen eingeleitet. Idealerweise werden geeignete Maßnahmen vor Ort, also beim Fälscher, ergriffen, um die Ware zu beschlagnahmen und damit zu verhindern, dass diese Produkte auf den Markt kommen. Als Beispiel nennt Ingrid Bichelmeir-Böhn einen behördlichen Zugriff in Indien, bei dem mit einem Schlag 15.000 gefälschte FAG-Lager und 40.000 Verpackungsduplikate einkassiert wurden.
Aber solche Großfunde werden seltener. Die Produktpiraten haben vielerorts auf Just-in-time-Produktion umgestellt. Bauteile und Verpackungen werden erst kurz vor Auslieferung mit gefälschten Marken-Insignien gekennzeichnet. Der Großteil der Waren lagern namenlos in Kellerräumen, sogenannten Go-downs, und sind so sicher vor der Beschlagnahme.
Beschlagnahmte Produkte werden rund um die Welt immer wieder in spektakulären Aktionen vernichtet – auch um potenzielle Nachahmer abzuschrecken. Schaeffler greift ebenfalls zu solch plakativen Mitteln, hat sich aber dafür stark gemacht, dass der Fälschungsschrott nicht einfach auf dem Müll landet. „Wir achten in unserem Fall darauf, dass die Plagiate im besten Falle eingeschmolzen werden, denn der Stahl kann ja noch verwendet werden“, erläutert Martin Rügemer. Für diesen mittlerweile Schule machenden Nachhaltigkeitsvorstoß wurde ein Dienstleister von Schaeffler in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit dem „Green Dot Award“ ausgezeichnet. Noch nachhaltiger (und sicherer) wäre es natürlich, wenn solche Fälschungen erst gar nicht produziert werden würden …