Vollends vernetzt
Milliarden Telefonate werden täglich geführt, rund um den Erdball – dieses eine aber, am 1. Juli 1991 im finnischen Hochsommer, als Kaarina Suonio, Vizebürgermeisterin von Tampere, irgendwo auf einer schmalen Landenge zwischen dem Näsijärvi- und dem Pyhäjärvi-See den Anruf ihres Premierministers Harri Holkeri entgegennahm, hat Telekommunikations-Geschichte geschrieben. Es war das erste Gespräch über ein kommerzielles, volldigitales Mobilfunknetz überhaupt – der Startschuss für eine Mobilkommunikations-Revolution. Den drögen Namen dafür, Global System for Mobile Communications oder kurz GSM, hat vermutlich so gut wie jeder schon mal gehört.
Allerdings: Die GSM-Entwickler fokussierten sich damals aufs Telefonieren und weniger auf die Datenübertragung per Funk. Über eine Datenrate von 9,6 Kbit/s brechen die Kids von heute in schallendes Gelächter aus. Fast zwölf Wochen auf den Download ihres Lieblingsfilms warten, das klingt wie digitale Steinzeit – und war es aus gegenwärtiger Sicht ja auch.
Mit jedem neuen Mobilfunkstandard nahm die Übertragungsrate jedoch Speed auf. Blieb der WAP-Technologie Ende der 1990er-Jahre der große Durchbruch noch verwehrt – scherzhaft stand WAP damals für „Wait And Pay“ – surfte der Handy-User dank UMTS (3G) seit 2004 mit 384 Kbit/s durchs Netz – eine Geschwindigkeit, mit der einige heute noch unterwegs sind. Mit 4G, dem ersten drahtlosen Breitbandinternet, können Daten in der Theorie mit bis zu 1.000 Mbit/s hin und her geschickt werden. Bei 5G, dem neuesten Standard, geht es noch zehnmal schneller.
Ausfallsicherheit von 99.999999999 %
Seit 2019 eröffnen sich so ganz neue Möglichkeiten für die Industrieproduktion, für die Gesundheitsversorgung, in der autonomen Mobilität und der Landwirtschaft. 2020 waren weltweit schon mehr als 20 Milliarden Maschinen, Geräte oder sonstige Devices über das Internet of Things (IoT) ans Netz angeschlossen – viele davon per Mobilfunk. Und nun, derweil 5G gerade ausgerollt wird, da arbeiten Politik, Wirtschaft und Wissenschaft schon an der Einführung der nächsten Generation: 6G! Im nächsten Jahrzehnt soll es flächendeckend so weit sein.
Spitzenübertragungsraten von 1.000 Gigabit und eine Kommunikation in Echtzeit sind das Ziel. 50- bis 100-mal schneller als 5G. Eine allgegenwärtige Konnektivität mit Terabit-Speed. Eine mit einer visionären Ausfallsicherheit von 99,999999999 Prozent, so der Plan. Möglich wird das durch den Einsatz höherer Frequenzen von 100 bis 300 Gigahertz. Zum Vergleich: Bei 5G werden Frequenzen von 22 bis 60 Gigahertz genutzt. Ist 5G etwa schon wieder überholt, bevor es richtig eingeführt ist? „Nein“, sagt Professor Wolfgang Kellerer von der TU München, Leiter des 6G-Zukunftslabors Bayern, „5G spielt eine entscheidende Rolle für die Industrie 4.0 und das Internet of Things, es ermöglicht neue Dimensionen einer intelligenten Kommunikation von Maschinen untereinander. Allerdings: Die Entwicklung einer neuen Mobilfunkgenerationen dauert erfahrungsgemäß rund zehn Jahre. Damit wir Anfang der 2030er-Jahre einen großen Wurf haben, wollen wir in der Grundlagenforschung die Weichen von Anfang an stellen. Bei 6G sollen nämlich der Mensch und seine Umgebung im Mittelpunkt stehen“, so Kellerer. Der Mensch im Mittelpunkt, wie ist das gemeint?
Anwendungsmöglichkeiten von 6G
Sicherheit vor Schnelligkeit
Laut Kellerer wird der Mensch künftig im Alltag mit einer Vielzahl von Technologien selbstverständlich interagieren. Maschine und Mensch auf „Augenhöhe“ sozusagen, da komme es besonders auf eine hohe Zuverlässigkeit des Netzes an, sagt Kellerer. „Das ist wichtig für den Einsatz von Assistenzrobotern im Haushalt oder hochaufgelösten 3D-Karten in autonomen Fahrzeugen“, erläutert der Experte. Da die Datensignale dank 6G blitzschnell am Zielgerät sein werden, dürften vor allem auch zeitsensible Anwendungen der künstlichen Intelligenz besser möglich werden.
Entscheidend ist die Netzarchitektur. Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) forschen sie ebenfalls daran. „Um möglichst viele Nutzer gleichzeitig zu bedienen und dabei möglichst große Datenmengen möglichst schnell zu übertragen, müssen die drahtlosen Netze der Zukunft aus zahlreichen kleinen Funkzellen bestehen“, erklärt Professor Christian Koos. Vorteil: Die Daten müssten keine großen Distanzen überwinden. „So lassen sich große Datenraten mit minimalem Energieaufwand und geringer elektromagnetischer Immission übertragen“, so Koos. Zwischen den einzelnen Zellen lassen sich Hunderte von Gigabits pro Sekunde auf einem Kanal übertragen.
5G und 6G im Vergleich
Das Netz wird selbst zum Sensor
6G wird die erste Mobilfunkgeneration sein, bei der sich ganze Heerscharen von Sensoren miteinander vernetzen, z. B. in Robotern, Maschinen, Haushaltsgeräten und autonomen Fahrzeugen. Oder in Cobots, die mittels ausgeklügelter Sensortechnik mit Arbeitern interagieren können. Sie sind aus den Werkshallen dieser Welt nicht mehr wegzudenken. Noch geringere Reaktionszeiten ermöglichen künftig eine noch flexiblere Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine.
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Bei 6G wird der Mensch im Mittelpunkt stehen
Prof. Wolfgang Kellerer,
Leiter des 6G-Zukunftslabors Bayern
Dabei kann das Netz auch selbst zum Sensor werden, da anhand der Funksignale bestimmte Informationen gewonnen werden können, etwa ob sich ein Objekt zwischen Sender und Empfänger befindet. Noch viel sensibler, als es bei Google Maps schon heute funktioniert. Mithilfe künstlicher Intelligenz sollen diese Sensorinformationen dann ausgewertet werden, um so das 6G-Netz permanent zu optimieren, also zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle die benötigte Leistung zur Verfügung zu stellen.
Schaeffler baut Testfelder auf
Auch Schaeffler bereitet sich auf die mannigfaltigen Möglichkeiten vor, für die mit der Einführung von 5G (und perspektivisch von 6G) die Grundlagen geschaffen werden. Erste Anwendungsfälle hat der Konzern bereits in seinem Werk im südkoreanischen Changwon in einer Versuchsumgebung aufgebaut – einen Betrieb von selbstfahrenden Robotern, Augmented Reality und Produktionsanlagen in einem werksinternen 5G-Netzwerk. „Die 5G-Technologie zeigt uns – vor allem sofern der Release 18 ab 2023 auf den Markt kommt – große Vorteile im Vergleich zum aktuellen WLAN-Standard WiFi6. So werden wir in der Lage sein, mit einem Gerät fahrerlose Transportsysteme zu in Echtzeit zu steuern und zu lokalisieren, damit spart man sich entsprechende Sensoren und deren Integrationsaufwand, ergo Kosten und Zeit“, verdeutlicht Christina Fischer vom Schaeffler Technology & Innovation Center in Herzogenaurach. Wichtig sei aber, dass die propagierten Eigenschaften des 5G-Release 18 auch zuträfen. Fischer: „Erst dann wird 5G seine gesamte Stärke entfalten können. Nämlich dann, wenn Latenzen von 1 Millisekunde in einer drahtlosen Datenübertragung möglich sind. Dann können wir auch sicherheitskritische und produktionskritische Sensordaten drahtlos übertragen.“
Alles in allem eine Herkulesaufgabe, sowohl die 5G- als auch die 6G-Versorgung, an der nicht nur Prof. Kellerer und sein Team arbeiten. Weltweit gibt es etliche 6G-Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. China und Tesla-Gründer Elon Musk haben zu Testzwecken bereits die ersten 6G-Satelliten ins All geschossen. Der Bund stellt für die 6G-Forschung 700 Millionen Euro bis 2025 bereit. An der TU Dresden forschen sie schon an den weltweit schnellsten Mikrochips, die für 6G benötigt werden. Ebenso die Südkoreaner, die ein gigantisches Investitionsprogramm aufgelegt haben. Die Asiaten wollen 2028 mit 6G starten. Abwarten, wer am Ende das Rennen in einer hyper-vernetzten Welt machen wird.
Zukunftsvision Schaeffler-Werke 2030
- Geräte kommunizieren im Internet der Dinge mit cloudbasierten Systemen der künstlichen Intelligenz. Jede Maschine wird „intelligent“, auch ohne eigenen Hochleistungsrechner.
- Industrieroboter reagieren sicher und zuverlässig auf ihre Umwelt und agieren vollkommen selbständig (Advanced Robotics).
- Mit digitalen Zwillingen lassen sich echte Fertigungsprozesse in Echtzeit mit digitalen Abbildern analysieren.
- Eine Ende-zu-Ende-Kommunikation mit sehr geringen Latenzzeiten über verschiedene Netze hinweg ist garantiert.
- Eine hohe Energieeffizienz eines anpassungsfähigen, bedarfsgerechten Funknetzes ermöglicht eine nachhaltige Produktion.