Süße Energie aus CO2
Den Mars zu kolonisieren – davon träumen Weltraumfans, daran arbeiten Wissenschaftler. Allerdings ist unser Nachbar im Sonnensystem ein unwirtlicher Ort. Mit einer endlos kargen Wüste, in der nichts wächst und kein Wasser fließt. Und mit Nachttemperaturen von bis zu minus 85 Grad. Was es auf dem Mars aber zur Genüge gibt, ist Kohlendioxid. Und dieses könnte genutzt werden, um eine lebenswerte Besiedlung zu ermöglichen.
95 Prozent der dünnen Atmosphäre rund um den Planeten besteht aus nichts anderem als CO2. Auf der Erde sind es 0,04 Prozent. Es liegt also mehr als nah, dass sich künftige Bewohner diese fast unerschöpfliche Ressource mittels neuer Technologien zunutze machen, um Lebensnotwendiges in der rauen Marsumgebung herzustellen – von Kunst- und Kraftstoffen bis zu Nahrungsmitteln und Medikamenten. Aber ist das utopisch oder realistisch?
Wenn es nach der NASA geht, heißt die Antwort: Realistisch. Im Rahmen eines öffentlichen Wettbewerbs hatte die US-Weltraumbehörde dazu aufgerufen, Vorschläge einzureichen, wie der Hauptbestandteil der Marsatmosphäre in energiereiche Glucose (Traubenzucker) umgewandelt werden kann. Genauso wie es Pflanzen auf der Erde tun: CO2 binden, um es via Photosynthese in Sauerstoff und nahrhaften Zucker zu transformieren. Drei Forschungsteams reichten Prototypen von Systemen ein. „tomorrow“ stellt den Sieger vor.
Zucker als Energie-Allrounder
Der dreistufige Prozess des New Yorker Teams von Air Company kombiniert CO2 und Wasserstoff, um daraus Alkohol herzustellen. Durch Entfernen des Wasserstoffs wird der Alkohol in Formaldehyd umgewandelt, eine farblose und stark riechende Chemikalie, die üblicherweise zur Herstellung von Baumaterialien und Reinigungsmitteln verwendet wird. Bei der dritten chemischen Reaktion entsteht dann aus dem Gemisch mithilfe eines neuartigen, von Air Company entwickelten Katalysators, der laut eigenen Angaben locker in einen Mars Rover passt, Zucker – ein erstklassiger Energielieferant für jede Art von Zelle.
Denn Zucker versorgt nicht nur die Körperzellen über den Blutkreislauf mit Energie, sondern dient auch als technische Basis für eine alternative Energiegewinnungsmethode: die Glucose-Brennstoffzelle, sozusagen eine Zucker-Biobatterie, die „süßen“ Strom produziert.
Das Prinzip dieser mikrobiellen Brennstoffzelle: Es gibt zwei Elektroden, Anode und Kathode. An der Anode wird ein Brennstoff oxidiert, die Glucose. Die gibt Elektronen ab. An der anderen Elektrode werden die Elektronen auf Sauerstoff übertragen. Und der elektrische Strom entsteht, wenn die Elektronen von der Anode, also von der Glucose, zur Kathode fließen. Forscher der Technischen Universität von Virginia in den USA haben bereits vor Jahren eine solche Brennstoffzelle mit der vielfachen Kapazität von Lithium-Ionen-Akkus entwickelt.
Zucker ist ein wahrer Energie-Allrounder. Das haben auch andere Wissenschaftler bereits herausgefunden, wie zum Beispiel jene an den Universitäten in Buffalo und Berkeley, denen es kürzlich gelungen ist, mit Zucker Autos anzutreiben. Die Forscher haben neueste Techniken aus der Biologie und Chemie eingesetzt, um aus Glucose sogenannte Olefine zu generieren – eine Kohlenwasserstoffart, die ein Bestandteil von Benzin ist. Darüber hinaus haben Mitarbeiter der Universität Wisconsin ein Verfahren entwickelt, mit dem eine Schlüsselsubstanz für die Biovariante des Kunststoffklassikers PET (Polyethylenterephtalat) aus Fruchtzucker hergestellt werden kann.
36,3 Milliarden Tonnen ...
... energiebedingte CO2-Äquivalente wurden laut Internationaler Energieagentur (IEA) 2021 weltweit ausgestoßen – so viel wie noch nie zuvor. Laut IEA beziehen sich die Angaben auf Emissionen aus Energieverbrennung und industriellen Prozessen. Allein in China waren es im vergangenen Jahr 11,9 Mrd. Tonnen. Wie viel CO2 sich durch CO2-Recycling in Zukunft nutzen lässt, lässt sich gegenwärtig nur schwer prognostizieren. Die Jahresmenge wird von der IEA aktuell auf etwa 40 Millionen Tonnen veranschlagt. Das Potenzial reicht Experten zufolge von 100 Millionen bis 15 Milliarden Tonnen pro Jahr.
Zirkuläre Kohlenstoffwirtschaft
Wie das marsianische Kohlendioxid kann natürlich auch das irdische CO2 im gleichen Maß sinnvoll genutzt werden. Schädliche CO2-Emissionen aus Abgasen zu binden, bevor sie in die Atmosphäre gelangen, und den Kohlenstoff mittels biotechnischer Verfahren zu wirtschaftlich nutzbaren Stoffen zu recyceln, bezeichnet der Begriff „Biologisches Carbon-Capture-und-Usage“ (kurz: Bio-CCU). Am Ende dieser Verfahren wird Kohlenstoff im Sinne der Kreislaufwirtschaft wieder als Rohstoff zur Verfügung gestellt. Das kann nicht nur die Grundlage für eine zirkuläre Kohlenstoffwirtschaft (auch “Circular Carbon Economy“ (CCE)) schaffen, sondern auch einen hilfreichen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Wie CO2 außerdem sinnvoll genutzt werden kann
Sind die Emissionen bereits in die Atmosphäre gelangt, gibt es ebenfalls Möglichkeiten, das CO2 wieder einzufangen. Der natürlichste Weg ist, die Photosynthese der Pflanzenwelt zu nutzen. Ein echter Ökoklassiker. Aber auch technische Lösungen wie das Rausfiltern und anschließende Speichern oder Nutzen (siehe Beispiele oben im Slider) sind möglich und auch schon im Einsatz.
Ein weiteres Beispiel ist das sogenannte BECCS-Verfahren („Bioenergy with carbon capture and storage“), das beide Ideen miteinander vereint. Große Mengen Mais und Raps nehmen beim Wachstum Kohlendioxid aus der Luft auf. Mit der Wärmeenergie, die nach der Ernte beim Verbrennen der Biomasse entsteht, lässt sich Strom generieren. Das bei der Verbrennung freigesetzte CO2 wird dann direkt aus der Luft gefiltert und unterirdisch eingelagert bzw. anderweitig genutzt.
Ein Beispiel für einen Filter, der bereits emittiertes CO2 der Atmosphäre entnimmt, hat die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich entwickelt. Die Direct-Air-Capture-Technologie kann man sich als eine Art überdimensionaler CO2-Sauger vorstellen. Jüngst sammelte das ETH-Spin-Off Climeworks 600 Millionen Franken ein, um weltweit neue Großanlagen bauen zu können. An ähnlichen Zielen arbeitet ein anderes Spin-off der ETH: Synhelion verwandelt mit Hilfe eines Solarreaktors aus der Luft gefiltertes CO2 in klimaneutrale Treibstoffe.
„Die klare Message muss immer sein, dass klassische Emissionsreduktionen Vorrang haben“
Oliver Geden, einer der Leitautoren des Berichts des Weltklimarats
Allerdings warnt der Weltklimarat auch vor einer zu einseitigen Fokussierung auf die CO2-Entnahme aus der Luft, weil dadurch neue Risiken entstehen. Insbesondere die technischen Lösungen sind aktuell noch zu energieintensiv. Deswegen macht Oliver Geden, einer der Leitautoren des Berichts des Weltklimarats, deutlich: „Die klare Message muss immer sein, dass klassische Emissionsreduktionen Vorrang haben.“