Strahlende E-Sportwelt
Eine neue Athleten-Elite hat die Bühne betreten. Von Abermillionen Fans weltwelt bejubelt und gelikt: Gamer. Ihre Sportgeräte sind Tastatur und Maus, Gamepad oder Lenkrad. Die besten von ihnen werden verehrt wie Popstars und füllten mit ihren Wettkämpfen in Vor-Corona-Zeiten große Arenen. Mehr noch: Eher früher als später sollen sie bei Olympia dabei sein. Streaming-Plattformen bescheren dem elektronischen Sport, kurz E-Sport, im Internet enorme Reichweiten. Seit Jahren schon steigen weltweit die Nutzerzahlen von PC- und Videospielen. Und somit auch die Milliarden-Umsätze der Branche. In Deutschland ist der Zeitvertreib in digitalen Spielwelten beliebt wie nie: Mehr als 34 Millionen Gamer, vom Anfänger bis zum Profi, zählt das GfK Consumer Panel – fast so viele wie Führerscheinbesitzer.
Homeoffice, Homeschooling, mehr Zeit daheim. Im Zuge der Corona-Pandemie gewinnt alles Digitale noch mehr an Bedeutung. Neben der steigenden Zahl aktiver Gamer wächst auch der passive Medienkonsum von Spieleinhalten rasant. Der US-Marktführer unter den Gaming-Livestreamdiensten, Twitch von Amazon, meldet seit April einen massiven Zuschaueranstieg, wie auch die Konkurrenzangebote von Google, Facebook und Microsoft. Im Gaming-Mekka China sind viele der US-Plattformen hingegen zensiert. Dort erfuhren die Dienste Huya und DouYu einen Aufschwung.
Wettkämpfe in unterschiedlichen Genres
In Zeiten des Streaming-Booms zeigt sich der E-Sport als Antreiber und als Profiteur zugleich. Ganz unterschiedliche Disziplinen haben sich innerhalb der Szene der besten Gamesportler etabliert: In Dota 2 gilt es mit Zauber-Kombos und Teamwork die gegnerische Basis zu zerstören, im Strategie-Shooter Counterstrike sind Widersacher durch blitzschnellen, präzisen Waffeneinsatz auszuschalten, während sich in der Fußballsimulation FIFA alles um das virtuelle Toreschießen dreht. Allerdings: Nur wenige Spiele schaffen es, dass Zehntausende bei Turnieren vor Ort und mitunter über 200 Millionen bei den Livestreams dabei sein wollen. An diesem Punkt geht es auf dem Gaming-Markt kaum anders zu als im traditionellen Real-Sport mit seinen Topmagneten Fußball, Tennis, Basketball und Co.
Leichter Zugang, schwierige Kür
League of Legends zählt zu den Blockbustern des E-Sports. Wegen seiner globalen Anziehungskraft gilt es auch als „Fußball des E-Sports“. Das Echtzeit-Strategiespiel gehört zum sogenannten MOBA-Genre, die Kurzform für Multiplayer Online Battle Arena. Optisch erinnert es an bunte Comicwelten. Sein Spielprinzip: Zwei rivalisierende Fünfer-Teams treffen aufeinander. Beide haben als Ziel, die auf der Karte diagonal gegenüberliegende gegnerische Basis zu zerstören. Über 140 unterschiedliche Charaktere mit individuellen Fähigkeiten, Champions genannt, stehen dafür zur Wahl. Die Bandbreite reicht von Annie, dem Mädchen mit der Feuermagie, über den gepanzerten Unterwasser-Goliath Nautilus bis zu Zyra, der Gebieterin der Dornen. Diese Charaktere können mit sogenannten Skins weiter individualisiert werden. Profis beherrschen die meisten Rollen aus dem Effeff und lassen sich ihr Können gut bezahlen.
Ein weiteres E-Sport-Game, das massenweise Spieler und Fans fesselt, ist Fortnite: Battle Royale. Auch dort ist in einer farbenfrohen Fantasiewelt Wettkampfaction angesagt. Allerdings im Modus „jeder gegen jeden“: Zu Beginn springen die 100 Kontrahenten per Gleitschirm über einem weitläufigen Spielgebiet ab. Die Aufgabe lautet dann: als Letzter zu überleben – durch zielsichere Offensive oder taktisches Versteckspielen.
So unterschiedlich beide Konzepte sind, ihr Riesenerfolg eint sie: 2019 haben beide Spiele über Streamingdienste fast eine Milliarde Zuseherstunden verbucht. Während sich League of Legends pro Monat über mehr als 100 Millionen Teilnehmer freuen darf, sind es 80 Millionen bei Fortnite. Ein wesentlicher Faktor für den enormen Zuspruch solcher Spiele ist der oft kostenlose Zugang. Für mehr Spielspaß kann der Kunde dann Upgrades kaufen – ein lukratives Geschäftsmodell. 2018 stellte Fortnite-Entwickler Epic Games branchenintern neue Finanzrekorde auf. Solche In-Game-Verkäufe hatten bedeutenden Anteil an den Umsätzen von über 300 Millionen US-Dollar – pro Monat.
Drei Fragen an …
… Daniel Kohl, Leiter Technische Entwicklung Motorsport bei Schaeffler.
Was macht das Sim-Racing interessant für Schaeffler?
Das Sim-Racing hat gerade in der jetzigen Zeit, in der verständlicherweise sämtliche Rennveranstaltungen aufgrund der Corona-Lage zunächst abgesagt werden mussten, nochmals enorm an Bedeutung gewonnen. Virtuelle Produktentwicklung ist heutzutage Standard, und Themen wie Softwareentwicklung, Systemverständnis und vernetzte Systeme sind Entwicklungsfelder und Kompetenzen, die wir bei Schaeffler brauchen. Für uns ist Sim-Racing daher der passende Einstieg in das Thema E-Sport. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sich das Sim-Racing in den letzten Jahren entwickelt hat.
Wir können Simulationen dazu nutzen, unterschiedliche Eigenschaften virtuell zu berechnen und vorherzusehen
Daniel Kohl
In welchen Bereichen wendet Schaeffler sonst noch Simulationen an? In allen Unternehmensbereichen, in denen wir Produkte und Systeme entwickeln. Ein Beispiel aus dem Motorsport: Um zwei Antriebskonzepte zu vergleichen, könnten wir beide entwickeln, konstruieren und testen. Wir können aber auch Simulationen dazu nutzen, die unterschiedlichen Eigenschaften virtuell zu berechnen und vorherzusehen. Das spart Geld, Zeit und eine Menge Verlustleistung.
Wo sehen Sie Einsatzbereiche in der Zukunft?
Nach wie vor bei dem Wandel von klassischen Antrieben hin zu hybrid- und batterieelektrischen Fahrzeugen. Und möglicherweise wird auch das Thema Brennstoffzelle interessant. Das ist für den Motorsport wie auch teilweise für die Serienentwicklung Neuland. Daher wird viel Erkenntnisgewinn am Computer entstehen müssen.
Sim-Racing auf der Überholspur
Im Aufwind ist auch das sogenannte Sim-Racing, der simulierte Rennsport. Insbesondere als Corona den echten Motorsport ausbremste, rollten viele neue Serien an den Start. Auch große Automarken wie BMW, Audi, Lamborghini oder Porsche sowie echte Rennstars aus Top-Serien wie DTM, Formel E und Formel 1 engagieren sich dort. Das wichtigste Alleinstellungsmerkmal des Sim-Racings im E-Sport-Kosmos: die Nähe zur Realität. Durch Volants, die Lenkkräfte simulieren und beim Befahren von Randsteinen wild rütteln, durch hydraulische Pedale, die sensibel betätigt werden wollen. Auch die Fahreigenschaften der Rennautos und die simulierten Strecken sind verblüffend echt – inklusive vermarktbarer Werbeflächen. Die Kosten für die Ausrüstung starten im vierstelligen Bereich. High-End-Sims, mit denen sich etwa Formel-E-Teams auf ihre Rennen vorbereiten, kosten hingegen rund zwei Millionen Euro.
Auch Schaeffler engagiert sich in dieser innovativen Rennsportszene und unterstützt das Team Coanda Simsport bei seiner Jagd nach Online-Rennsiegen. Der Fahrerkader setzt sich aus internationalen Toptalenten zusammen. Im Fokus stehen Rennen und Serien, die auf den Plattformen iRacing und rFactor 2 ausgetragen werden. 2020 siegte Coanda Simsport bereits bei den 24 Stunden von Spa. Beim virtuellen Eintages-Klassiker von Le Mans triumphierte außerdem das Coanda-Duo Joshua Rogers und Tommy Østgaard als Teil des Porsche Esports Teams. Hoch im Kurs steht auch der zehn Rennen umfassende Porsche TAG Heuer Esports Supercup, in dem alle neun Coanda-Sim-Racer starten, darunter auch der deutsche Top-Pilot Martin Krönke in einem Schaeffler-gebrandeten Porsche. Das Teilnehmerfeld dort besteht aus 40 hochkarätigen Piloten aus 14 Nationen. Auch Formel-1-Star Max Verstappen hat sich für die Cup-Saison 2020 qualifiziert. Gefahren wird um ein Preisgeld von insgesamt 200.000 US-Dollar. Viel Geld, aber Peanuts im Vergleich mit anderen E-Sports-Ligen: Beim Finale des Online-Multiplayer-Kampfspiels Dota 2 ging es 2019 um 34 Millionen Euro Preisgeld. Willkommen im Olymp des Spitzensports!
Spätestens beim Blick auf solche Summen wird klar: E-Sport ist mehr als bloße Unterhaltung. Dominik Rinnhofer, Professor für Game Design in Stuttgart, sagte kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: „Videospiele sind ein Medium und ein Kulturgut mit großem Einfluss. Ich gehe sogar so weit: Unsere Zukunft wird wesentlich durch Computerspiele gestaltet, denn in ihnen steckt ein großes Potenzial, um sie zur Bewusstseinsveränderung oder Sensibilisierung einzusetzen. Denn im Gaming hat man die Möglichkeit, utopische Zukunftsmodelle zu erproben, ohne gleich die Konsequenzen davon spüren zu müssen.“ In diesem Sinne: Mögen die Spiele beginnen.