Schneller und individueller
Küchentischgroße Karten, zentimeterdicke Autoatlanten und Kursbücher mit Abfahrts- und Ankunftszeiten in endlosen Tabellen – wer vor dem Zeitalter des Computers eine Reise planen wollte, brauchte mitunter einigen Platz, viel Geduld und auch etwas Glück. Denn „von so einem mühsam per Hand gesuchten und passend scheinenden Weg, konnte man nicht wirklich sagen, ob er tatsächlich auch der schnellste ist, da man die Informationen über die Fahrzeiten auf den einzelnen Straßenabschnitten damals einfach noch nicht hatte“, sagt Dorothea Wagner, Professorin für Theoretische Informatik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Kam dann noch ein Stau oder ein gesperrter Straßenabschnitt dazu, wurde Mobilität schnell zum ungewollten Abenteuer. Heute ist das glücklicherweise anders: Wer am schnellsten von A nach B kommen möchte, schaltet das Navigationsgerät ein oder zückt einfach kurz das Smartphone und befragt bahn.de, Google Maps oder die App der örtlichen Verkehrsbetriebe.
Dass Mobilität heute so viel schneller, komfortabler und individueller geworden ist, verdanken wir der Verfügbarkeit von genauen Daten aus digitalen Karten und vor allem modernen Routenplanungs-Algorithmen. Deren Siegeszug begann mit dem Algorithmus der kürzesten Wege, der bereits 1959 vom Niederländer Edsger Wybe Dijkstra entwickelt wurde. Und tatsächlich arbeiten die aktuellen Fahrplanauskunftssysteme und Routenplaner im Kern noch immer mit dem sogenannten Dijkstra-Algorithmus. Da er zum Bestimmen des kürzesten Weges von Stadt A zu Stadt B aber die Verbindungen zu allen Städten auf der Karte berechnet und damit praktisch die gesamte Karte durchsucht, bekommt der Ur-Algorithmus bei großen Datensätzen Probleme. „Bei einer digitalen Straßenkarte von ganz Europa braucht der Dijkstra-Algorithmus mehr als eine Sekunde – und das ist heute zu langsam“, sagt Wagner. Denn wenn – wie heute üblich – mehrere Tausend solcher Abfragen von Smartphones und Computern aus gleichzeitig an einen Server gehen, summieren sich die Sekunden und werden so zum Knackpunkt.
Berechnungen in Millisekunden
„Für solche Szenarien braucht man daher Berechnungen, die innerhalb weniger Millisekunden durchgeführt werden können“, sagt Wagner. Daher musste der Dijkstra-Algorithmus in den vergangenen Jahrzehnten gehörig beschleunigt werden. „Dazu werden grundsätzlich Berechnungen genutzt, die die Karte vorab mit Informationen anreichern, um bei der Abfrage möglichst viele Wege logisch ausschließen zu können“, erklärt Olaf Meng, Produktmanager Traffic bei Garmin, dem Weltmarktführer für Navigationslösungen mit Sitz in der Schweiz. Welche Verfahren dabei zum Einsatz kommen, sei allerdings Betriebsgeheimnis, schließlich sind die Algorithmen, an deren Optimierung permanent mehrere Hundert Ingenieure programmieren, wertvollstes Firmen-Know-how. Sie funktionieren aber ähnlich wie die simple und bekannte Lösung der Einteilung der Karte in quadratische Regionen. Mit dem Vorwissen, in welcher Region eine Zielstadt liegt, können sofort alle Berechnungsschritte für Städte, die nicht in der Zielregion liegen, eingespart werden. Wissenschaftler wie Wagner sprechen bei solchen Verfahren vom „Verkleinern des Suchraums“.
Für Routenplanung, bei der man keine aktuelle Komponente, wie Staus oder Sperrungen infolge von Unfällen, einbezieht, sei die Berechnung damit heute schnell genug, so Wagner. „Interessant wird es, wenn wir Echtzeitdaten und komplexere Szenarien wie intermodale Mobilität betrachten. Da sind die Algorithmen oft noch nicht schnell genug“, sagt die Wissenschaftlerin. Denn bei einer Routenplanung, die vom Zu-Fuß-Gehen und dem Radfahren über Busse, Bahnen, Taxen und Car-Sharing-Anbieter bis hin zum Flugzeug alle Verkehrssysteme mit einbezieht, handelt man sich auf einen Schlag alle Probleme ein, die in den Einzellösungen vorkommen. „Der mathematische Aufwand, hier die optimale Route zu finden, ist daher auch bedeutend höher“, sagt Wagner.
Datengröße (noch) ein Problem
Die bestehenden Angebote, die andere Verkehrssysteme mit einbeziehen, wie beispielsweise die Apps Qixxit der Deutschen Bahn oder Moovel von Daimler, haben daher noch keine wirklich eigenständige algorithmische Lösung. Hier werde die Route typsicherweise noch aus den separat abgefragten Verkehrssystemen nachträglich zusammengebaut, erklärt Wagner. Da laufe aber die Berechnung langsam und liefere zudem nicht zwangsläufig die schnellste Verbindung von A nach B, so die Informatikerin. Denn solche Apps arbeiten nur mit ausgewählten Partnerfirmen zusammen und nicht mit wirklich allen Verkehrsbetrieben, wodurch manche schnellere Alternative von vornherein nicht betrachtet wird.
Einerseits geschieht diese Auswahl, um keine Konkurrenzunternehmen zu fördern. So ist in die Daimler-App Moovel nur der eigene Car-Sharing-Dienst Car2Go eingebunden, nicht aber DriveNow von BMW. Andererseits erfolgt eine Beschränkung auf wenige Partner auch deshalb, weil die Datengröße bereits mit einer kleinen Auswahl extrem ansteigt. Wo es geht, wird daher der Suchraum für die Algorithmen begrenzt. Bahn.de schränkt beispielsweise den Radius der Fußwege auf ein bestimmtes Höchstmaß ein. Hier fielen zwar auch Verbindungen weg, bei denen ein längeres Stück zu Fuß zu einer insgesamt schnelleren Route führen kann, sagt Wagner. Das sei aber quasi Selbstverteidigung, da bei einer Erweiterung des Radius für Fußwege die Datengröße sofort explodiert.
Daran, diese Herausforderungen zu lösen, werde gerade überall gearbeitet, sagt die Informatikprofessorin. Erst vor einer Woche habe beispielsweise ein Doktorand an ihrem Institut zu diesem Thema eine Arbeit abgegeben. „Die intermodalen Angebote werden schrittweise schneller, in drei bis fünf Jahren erwarte ich wirklich gute Ergebnisse“, sagt Wagner. Besonders spannend sei auch die Routenplanung für Elektroautos, sagt Garmin-Manager Meng. Da müssten auch der Stromverbrauch und die Verteilung von Ladestationen einberechnet werden. Auch Wagner beschäftigt sich mit diesem Thema. Zukünftig werde es bei der Routenplanung generell auch mehr individuelle Einstellungsmöglichkeiten geben, die schnell und zuverlässig maßgeschneiderte Routen liefern. Dann wird man zusätzlich nach Kriterien wie Aussicht auf der Strecke, Zwischenstopps bei bestimmten Restaurants und dem Vorzug der Landstraße gegenüber der Autobahn filtern können.
Für sich selbst hat Wagner das Optimum in Sachen Mobilität übrigens schon gefunden: Zur Arbeit geht es jeden Tag auf dem gleichen Weg mit dem Fahrrad. „Da ist die Berechnungszeit gleich null.“
So füttert Schaeffler Algorithmen mit Daten
Schon heute sind viele Produkte von Schaeffler in der Lage, Daten zu sammeln, aus denen mit Echtzeitanalysen und kognitiven Systemen wichtige Informationen abgeleitet werden.
Ein gutes Beispiel dafür ist der elektromechanische Wankstabilisator, der fahrdynamische Daten erfassen kann, die vielfältig für ein vernetztes Fahren genutzt werden können. Fleißige Datensammler sind auch Sensorsysteme, die Schaeffler für den Schienenverkehr anbietet. Beim Cloud-basierten Condition Monitoring analysieren solche Hightech-Lösungen anhand verschiedener Parameter wie Temperatur, Vibration und Geschwindigkeit den Zustand des Bauteils und warnen, bevor ein Defekt zu Ausfällen führt. Der Radsatzgenerator als autarke und sehr zuverlässige elektrische Energieversorgung für Güterwagen ermöglicht die Erweiterung der heute bereits realisierten Digitalisierungsansätze.
Experten von Schaeffler überwachen aber auch die Zustände von Tausenden fest montierter Maschinen und Anlagen. Über flexible Schnittstellen oder die Schaeffler-Pre-Processing-Einheit werden Messdaten aufbereitet und können in die Schaeffler-Cloud übertragen werden. Die Analyse, Vorhersage und Optimierung erfolgt mittels neuer Algorithmen und kognitiver Methoden. Auffälligkeiten und Handlungsbedarfe werden aufgezeigt, Maßnahmen werden entsprechend eingeleitet.
Wie Algorithmen uns lenken
Jeder von uns nutzt sie im Alltag, doch fast niemandem ist bewusst, wie allgegenwärtig und mächtig die Rechenvorschriften heute sind. Eine Auswahl.
Der Google-Algorithmus ist neben dem von Facebook der meistgenutzte Algorithmus auf unserem Planeten. Was wir in der Vergangenheit gesucht und geklickt haben, soll bei der Anzeige der Suchergebnisse genauso eine Rolle spielen wie der Standort der Nutzer und die Vertrauenswürdigkeit der Treffer. Kritiker mahnen, dass eine Manipulation der Trefferliste unsere Entscheidungen beeinflussen kann. Außerdem könnte unser Leben vorhersehbarer werden, wenn wir nur noch tun, was Algorithmen uns vorschlagen.
Ob wir einen Kredit bekommen, einen Handyvertrag abschließen oder ein Girokonto eröffnen können, entscheidet heute der Computer. Der Schufa-Score, also die Bewertung unserer Kreditwürdigkeit, berechnet sich aus Daten über bereits abgeschlossene Kreditverträge, Zahlungsverzögerungen oder nicht bezahlte Rechnungen. Manche Unternehmen bewerten die Zahlungsfähigkeit auch anhand von Facebook-Profilen.
Nicola Casagli, Geologe von der Universität Florenz, kombiniert Wetterdaten, Regenmengen, Satellitenbilder und Informationen über die Hangneigung eines Gebietes, um Erdrutsche vorherzusagen. In besonders gefährdeten Regionen setzt er zusätzlich auf ein hochpräzises Bodenradar, das kleinste Erdbewegungen registriert. Bewohner betroffener Gebiete können durch den Algorithmus rechtzeitig gewarnt werden.
Sogenannte Predictive-Policing-Algorithmen berechnen aus Daten zu Tatort, Tatzeit, Art der Beute und dem Tathergang die Wahrscheinlichkeit von Einbrüchen in der Nachbarschaft des letzten bekannten Delikts. Da, wo das Risiko hoch ist, erhöht die Polizei ihre Präsenz. Ob die gesunkenen Einbruchszahlen in solchen Gebieten auf die Algorithmen zurückgeführt werden können, ist allerdings umstritten.
Sicher ist aber, dass Algorithmen darüber entscheiden können, ob wir einen Job bekommen oder nicht. Online-Bewerbungsportale prüfen so, ob die Bewerbungen vollständig ausgefüllt wurden und lassen sie nach Schlüsselwörtern durchsuchen. Eine Bewerbung auf Papier ist dagegen übrigens nicht gefeit: Auch diese kann digitalisiert und anschließend per Algorithmus analysiert werden.