Saubere Energie satt
Wasserstoff aus der Steppe
Mitten in den Steppengebieten von West- und Zentralkasachstan (viel Wind, heiße Sommer, sonnige Winter) will das deutsch-schwedische Unternehmen Svevind eine der größten Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff aufbauen. Die Gesamtkapazität der dafür geplanten Wind- und Solarparks liegt bei 45 Gigawatt (GW), was in etwa 45 Kohlekraftwerksmeilern entspricht. Die Elektrolyseure zur Wasserstoffproduktion sollen eine Gesamtleistung von 30 GW bieten. Das reicht aus, um rund drei Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr herzustellen. Dieser könnte etwa per Pipeline in die Märkte Europas und Asiens exportiert oder auch vor Ort zur Produktion von Ammoniak, Stahl oder Aluminium verwendet werden. Im Juni dieses Jahres hat Svevind eine Absichtserklärung mit einer Investitionsförderagentur aus Kasachstan unterschrieben, um das Projekt in Angriff zu nehmen. Läuft alles nach Plan, steht die gesamte Anlage in acht bis zehn Jahren.
100 Mal
könnten Wind- und Solarkraft den weltweiten Energieverbrauch laut dem britischen Thinktank Carbon Tracker decken. Wenn es gelingt, die Kraft der Natur effizient zu nutzen, sei es laut Carbon Tracker bereits Mitte der 2030er-Jahre möglich, fossile Brennstoffe aus dem Elektrizitätssektor und bis 2050 aus der gesamten Energieversorgung zu verdrängen.
Grüne Kraftstoffe aus Australien
Mit 50 GW Kapazität noch etwas größer als das gewaltige Kasachstan-Projekt soll der Western Green Energy Hub (WGEH) in Westaustralien ausfallen. Ziel ist auch hier die Produktion von grünem Wasserstoff, vor allem zur Weiterverarbeitung zu CO2-neutralen Kraftstoffen. Das WGEH-Konsortium, zu dem auch die Morning Traditional Lands Aboriginal Corp. als Vertreter der indigenen Grundbesitzer zählt, rechnet mit einer Produktion von 3,5 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Zum WGEH, der sich über ein Wüstenareal von 15.000 Quadratkilometern (viermal so groß wie Mallorca) erstreckt, gehört auch ein Hafen, um den Wasserstoff per Schiff exportieren zu können. Noch muss die Regierung von Westaustralien allerdings ihr Einverständnis zu dem Projekt geben – einem ähnlichen Projekt erteilte der Bundesstaat erst kürzlich eine Absage. Da der WGEH aber zum Teil an der Küste liegt und durchdachter in Bezug auf die Umwelt sein soll, rechnen die Macher mit einer Genehmigung.
UPDATE: Das Ziel CO2-Neutralität will Singapur auch mit Hilfe von australischen Solarstrom erreichen. Die Firma Sun Cable will dafür im Norden Australiens einen 12.000 Hektar großen Solarpark errichten. Leistung: 3,2 Gigawatt. Als Zwischenspeicher dienen Batterien mit einer geplanten Kapazität von 36 bis 42 Gigawattstunden. Über eine 5.000 Kilometer lange Leitung (davon 4.200 km unter Wasser) soll der Strom transportiert werden.
Windstrom-Export via Kabel
Am konstantesten weht der Wind auf dem offenen Meer. Dänemark will die Offshore-Energiegewinnung nun auf die Spitze treiben und plant den Bau einer künstlichen Insel, an die 200 Windkraftanlagen mit einer Gesamtkapazität von zehn GW angeschlossen sind. Perspektivisch sollen in der Nordsee bis 2050 rund 300 Gigawatt Offshore-Kapazität aufgebaut werden. Das entspricht dem Stromverbrauch von 860 Millionen Menschen. Die Europäische Union mit derzeit 447 Millionen Einwohnern hätte somit allein aus Offshore-Windkraft genug Energie, um auch große Teile der Industrie zu versorgen. Verteilt werden soll der Strom mit sogenannten HGÜ-Kabeln (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung). Das aktuell längste Seekabel der Welt, der 516 Kilometer lange „Nordlink“, verbindet Deutschland mit Norwegen. Im Oktober soll eine mit 720 Kilometern noch längere Leitung zwischen Norwegen und Großbritannien in Betrieb gehen. Sie hat eine Kapazität von 1,4 GW. Auch die Niederlande (über „NordNed“) und Dänemark (über die Skagerrak-Verbindung) haben sich mit Norwegen vernetzt. Das Wasserkraft-Land soll nicht nur Strom liefern, sondern zur Ökostrom-Batterie-Europas werden. Wann immer die Nordseewindparks in den Zulieferländern Überschussstrom produzieren, soll dieser über die bidirektional ausgelegten HGÜs zu norwegischen Pumpspeicherwerken fließen, die damit ihre Wasserreservoirs mit aktuell 84 TWh Speichervolumen füllen können. Dieses Volumen lässt sich perspektivisch deutlich steigern, denn viele der insgesamt etwa 1.250 norwegischen Wasserkraftwerke sind aktuell noch ohne Pumpfunktion. Diese können mit relativ geringem Aufwand umgebaut werden, da sie die für Pumpspeicherwerke passenden Ober- und Untergewässer haben.
Strom aus Strömen
Mit 4.296,8 TWh, was einem Anteil von 16,02 Prozent an der weltweiten Stromerzeugung entspricht, war Wasserkraft 2020 laut der Statistical Review of World Energy 2021 des Energiekonzerns BP nach der Verstromung von Kohle und Erdgas und vor der Atomenergie die drittbedeutendste Form der Stromproduktion. Für die kommende Dekade gehen Prognosen von einem Anstieg der weltweiten installierten Leistung von Wasserkraftwerken von derzeit rund 1.300 auf 1.700 GW aus. Aktueller Hydroelektrik-Rekordhalter und gleichzeitig auch größtes Kraftwerk der Welt ist der Drei-Schluchten-Damm in China. Mit seinen 32 Turbinen erzeugt er 22,5 Gigawatt Leistung und versorgt rund 100 Millionen Menschen mit Strom. Mit bis zu 44 GW fast doppelt so groß soll die Kapazität des Inga-III-Stauwerks am Kongo ausfallen. Hier ist auch die Produktion von grünem Wasserstoff vorgesehen. Genau wie der Drei-Schluchten-Damm ist allerdings auch Inga III umstritten: Tausende Menschen müssten umgesiedelt werden, der Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten würde zerstört. Ob und wie das schon seit den 1990er-Jahren diskutierte Projekt umgesetzt wird, ist aktuell noch offen.
Die 10 größten Wasserkraft-Länder
Methanol aus Erdwärme
Einen besonders einfachen Zugang zu erneuerbarer Energie haben Regionen, in denen Erdwärme Grundwasser aufkocht. Der weltweit größte Geothermie-Kraftwerkskomplex The Geysers liegt rund 110 Kilometer nördlich von San Francisco. Auf einer Fläche von 120 Quadratkilometern verteilen sich 18 kleine Turbineneinheiten mit einer Kapazität von 1,5 GW. Die erzeugte Energie versorgt die kalifornischen Landkreise Sonoma, Mendocino und Lake per Kabel mit Elektrizität. Das weltweit größte Geothermie-Einzelkraftwerk steht auf Island. Es leistet 303 MW. Das Vulkaneiland deckt 90 Prozent seines Warm- und Heizwasserbedarfs und 26 Prozent des Strombedarfs über das bis zu 500 °C heiße Thermalwasser – das ist Weltspitze. Im Zusammenspiel mit Wasserkraft produziert Island Strom im Überfluss. Da ein Export wegen der exponierten Lage der Insel bisher nicht möglich ist, siedelten sich energieintensive Industrien wie die Siliziummetall- und Aluminiumproduktion dort an. Jetzt will die isländische Energiegesellschaft HS Orka die Erdwärme ihres Eilands für die Produktion von Wasserstoff nutzen, der zusammen mit CO2 zu grünem Methanol weiterverarbeitet werden soll. Geplant ist eine kleine 30-MW-Pilotanlage, in einem zweiten Schritt soll die Kapazität „wesentlich größer“ werden. Die Alkoholart Methanol ist leicht zu transportieren und vielfältig einsetzbar, zum Beispiel als Dieselalternative in Schiffen. Ein Exportschlager ist auch das isländische Know-how im Bereich der Geothermie. Denn überall, wo es tektonische Verschiebungen wie in Kalifornien oder Island gibt, ist die Hitze der Erde rentabel anzapfbar. Bei Experten hoch im Kurs stehen Länder wie Kenia (dort gibt es schon acht Geothermie-Kraftwerke), Indonesien, die Philippinen, Japan, aber auch europäische Regionen wie das Rhonetal in Frankreich. Ein weiterer Vorteil der Erdwärme gegenüber herkömmlichen Energiequellen wie Atom- und Kohlekraftwerken liegt in ihrer Dezentralität. Gerade in Entwicklungsländern, die kein flächendeckendes Stromnetz haben, sei Geothermie daher überaus sinnvoll, erklärte Stefan Dietrich vom Bundesverband Geothermie gegenüber der „Deutschen Welle“.