Sand wird knapp
Wer sind die größten Sandverbraucher?
Die Kinder am Strand oder im Sandkasten zeigen es uns fast jeden Tag: Sie bauen aus Sand die schönsten Häfen, Burgen und andere Bauwerke. Auch in der realen Welt führt beim Bauen kein Weg an Sand vorbei. Ob in Asphalt oder Beton – überall steckt Sand drin. Ein normales Einfamilienhaus verschlingt beim Bau rund 200 Tonnen Sand, ein Kilometer Autobahn unglaubliche 30.000 Tonnen. Etwa zwei Drittel des globalen Sandverbrauchs geht in den Bausektor und in die Landgewinnung. Allein das Volumen an benötigtem Baumaterial ist im letzten Jahrhundert um das 34-Fache gestiegen. China hat innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt so viel Sand verbraucht wie die USA im gesamten 20. Jahrhundert.
Größter „Verbraucher“ bei der Landgewinnung ist Singapur. Der Stadtstaat wuchs seit 1973 um 130 Quadratkilometer. Das entspricht der Fläche von 18.207 Fußballfeldern – und mehr als 500 Millionen Tonnen Sand, die Singapur von seinen Nachbarländern importiert und ins Meer geschüttet hat. Aber Singapur ist nicht allein, auch Bahrain, China, Doha, Dubai, Lagos, Tokio und viele andere Staaten und Metropolen schütten Jahr für Jahr Abermillionen Tonnen Sand zur Landgewinnung ins Meer.
Wofür wird Sand noch gebraucht?
Weltweit verwenden wir Sand auch für das Filtern von Wasser, für Kosmetik, Photovoltaikanlagen, Mikrochips und für die Herstellung von Glas. Auch das Fracking vor allem von Erdgas ist ohne Sand nicht möglich. Dabei geht es darum, in oder unter undurchlässigen Gesteinsschichten wie Schiefer eingeschlossenes Gas zu erschließen. Beim Fracking bricht ein unter hohem Druck eingepresstes Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch diese Gesteinsschichten und löst das Erdgas. Der in dem Gemisch enthaltene Sand sorgt dafür, dass sich die durch das Aufbrechen entstandenen Kanäle nicht sofort schließen. Dafür ist spezieller Sand nötig, der einerseits die Kanäle „abstützt“, aber andererseits dem Erdgas noch so viel Platz lässt, dass es vorbeiströmen kann. Die USA verwenden inzwischen fast drei Viertel ihres abgebauten Quarzsandes für das Fracking, noch vor der Herstellung von Glasprodukten und Microchips.
Wo kommt Sand her?
Sand ist so alltäglich, dass sich kaum jemand fragt: Wo kommt er eigentlich her? Sand entsteht meist in Gebirgen. Frost, Hitze, Wasser, Wind aber auch Pflanzenwurzeln und Lebewesen sorgen dafür, dass sich Gestein zunächst aus Felsen löst und dann Stück für Stück zerkleinert wird. Flüsse spülen die Sedimente weiter ins Meer, dabei werden sie immer weiter zermahlen. Es gibt aber auch Sand, der aus Muscheln oder Korallen entstanden ist. Hier helfen auch Fische, die beides essen und beim Verdauungsprozess zermahlen. So produziert ein grüner Buckelkopf-Papageifisch jedes Jahr 90 Kilogramm paradiesisch-weißen Strandsand. Als größte „Sandfabrik“ der Welt gilt der Amazonas. Rund eine Milliarde Tonnen Sediment gelangen durch die vielen Zuflüsse und schließlich über den Amazonas in den Atlantik.
Übrigens schätzt Forscher Howard McAllister von der Universität Hawaii die Zahl alle Sandkörner an den Stränden der Welt auf 7.5 Trillionen. Der Forscher räumt aber selbst ein, sich eventuell um ein bis zwei Billiarden verschätzt zu haben.
Warum ist Sand ist nicht gleich Sand?
Ein einzelnes Sandkorn, das größtenteils aus Quarz, also Siliziumdioxid besteht, misst zwischen 0,06 und zwei Millimeter. Aber es kommt weniger auf die Größe an, sondern auf Form und Qualität. Denn je nach Verwendung unterscheiden sich die „Aufgaben“ des Sandes. Die Körner von Bausand müssen kantig sein, damit sich der Sand gut mit anderen Materialien verbindet. Der für die Glasherstellung benötigte Sand muss in der Regel mindestens 95 Prozent reines Siliziumdioxid enthalten und frei von bestimmten Verunreinigungen sein. Dementsprechend teurer sind solche Quarzsande gegenüber dem reinen Bausand – ungefähr elfmal so teuer. Auf die Qualität des im Sand enthaltenen Siliziums kommt es auch bei der Herstellung von Microchips an. Besonders die Produktion der Ingots (Gussformen) zur Chipherstellung erfordert absolut reines Silizium. Das ist extrem teuer: Für eine Tonne Silizium zahlen Hersteller aktuell umgerechnet rund 7.700 Euro. Das entspricht in etwa dem Preis von reinem Kupfer.
Warum ist Sand ein knapper Rohstoff?
Beim Blick auf die Wüsten der Erde mag man gar nicht glauben, dass wir zu wenig Sand haben. Aber selbst das Sandmeer Sahara besteht nur zu einem Fünftel aus Sand. Und der ist, typisch für Wüsten, durch immer wiederkehrende Verwitterungsprozesse verschiedenster Art über Hunderttausende von Jahre so rund geschliffen, dass er sich weder zum Bauen noch für die Landgewinnung eignet. Kein Wunder also, dass selbst Wüstenstaaten Sand importieren müssen. Das höchste Gebäude der Welt, der Burj Khalifa in Dubai, wuchs ganz und gar mit Sand aus Australien – 360.000 Tonnen.
Wie viel Sand wird verbraucht?
Weltweit verbraucht die Menschheit mehr als 50 Milliarden Tonnen Sand – pro Jahr! Diese Menge entspricht einem 27 Meter breiten und 27 Meter hohen Wall einmal rund um den Äquator. Der aktuelle jährliche Verbrauch ist damit etwa doppelt so hoch wie die Menge von neuem Sand, den Flüsse ins Meer spülen – wenn er denn überhaupt so weit kommt. Von Menschenhand gebaute Dämme und Schleusen unterbrechen den Sandfluss. Außerdem wird Sand mit riesigen Saugbaggern aus Flüssen abgetragen – legal und auch illegal.
Welche Schäden verursacht der Sandabbau?
Enorme: Strände verschwinden entweder durch legalen oder illegalen Sandabbau oder durch von Bauwerken beeinflusste veränderte Strömungsbedingungen. Fehlen die schützenden Strände oder Dünen, können sich Hurrikane, Tsunamis und selbst kleinere Unwetter verheerend auf die betroffenen Küsten auswirken. So verursachte der Wirbelsturm Sandy 2012 an der Ostküste der USA Schäden in Höhe von 65 Milliarden Dollar, vorrangig dort, wo die Strände erodiert waren. Vorher wieder aufgefüllte Strände verhinderten nach Schätzungen des US Army Corps of Engineers Schäden in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar, die Sandy ansonsten ebenfalls verursacht hätte. Kein Wunder also, dass Kommunen versuchen, dem mit Sandaufspülungen entgegenzuwirken – zu enormen Kosten, zumal die Aufspülungen häufig wiederholt werden müssen. Vom Meeresboden abgepumpter Sand lässt unzählige Riffe sterben und vernichtet den Lebensraum vieler Pflanzen- und Tierarten. Gleiches gilt für den Sandabbau in Flüssen.
So schrumpft das Mekongdelta in Vietnam inzwischen – Jahrmillionen zuvor ist es durch Sedimenentablagerungen stetig gewachsen. Hier leben rund 20 Millionen Menschen, deren Ernährung hauptsächlich auf den lokalen Reisanbau angewiesen ist. Durch den fehlenden Sand sinkt der Wasserspiegel des Mekong und es gelangt immer mehr Meerwasser ins Delta. Und gefährliche Salzwasserkrokodile.
Welche Alternativen zu Sand gibt es?
Zahlreiche Forscher arbeiten an Sandalternativen. Aber wie wir weiter oben schon gelesen haben, ist Sand eben nicht gleich Sand. In manchen Betonarten können Flugasche, Schlacke und Gesteinspartikel den Sand ersetzen. Geschredderter Plastikabfall ist eine weitere Möglichkeit. Auch geschredderter Beton lässt sich wiederverwerten, wenn auch eingeschränkt, beispielsweise als Tragschicht beim Straßenbau. Ein Schweizer Start-up hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich CO2 in geschreddertem Beton einlagern lässt. Dieses aufbereitete Betongranulat soll sowohl im Straßenbau Verwendung finden als auch anstelle von Sand und Kies zu neuem Beton recycelt werden. In Australien arbeiten Experten daran, einen Straßenbelag aus einer Mischung von Kaffeesatz und Abfallprodukten aus der Stahlproduktion herzustellen. Auch Asphalt lässt sich gut wiederverwerten, 73 Millionen Tonnen recycelter Asphalt kommen schon heute jährlich zum Einsatz.
Nahezu alle Ressourcenprobleme beim Thema Sand könnte eine Idee aus Deutschland lösen: Eine Münchner Firma hat ein Verfahren entwickelt, das den feinen Wüstensand zu noch feinerem Steinmehl mahlt und es anschließend mit chemischen Bindemitteln zu Pellets presst. In einem Hochgeschwindigkeitsmischer lassen sich diese Pellets zusammen mit Zement und Wasser zu Beton mischen. Der soll sogar belastbarer als herkömmlicher Beton sein und weniger Zement benötigen.
Andere entwickeln aus Wüstensand geformte Bausteine, ähnlich den bekannten Lego-Steinen, entweder mithilfe von Bakterien oder unter Zugabe von Polyesterharzen.
Und tatsächlich hilft auch der Klimawandel bei der Sandproduktion mit. Denn die durch die Erderwärmung schrumpfenden Gletscher spülen reichlich Sand in Flüsse und Meere. In Grönland hat diese ökologische Loose-Win-Situation einige Flussdeltas in den vergangenen 80 Jahren um bis zu zwei Kilometer ins Meer wachsen lassen. Ein teuer erkaufter Rohstoffgewinn …
Wie können wir unseren Sandverbrauch eindämmen?
Zunächst einmal muss die Welt für das Problem sensibilisiert werden. Warum sollte man etwas schonen, das es sprichwörtlich „wie Sand am Meer gibt“. Fakt ist: Wir müssen mit Sand – wie mit jeder Ressource, die wir der Erde entnehmen – sparsam und achtsam umgehen. Staatliche Reglementierungen helfen. Aber nur dann, wenn ihre Einhaltung auch durchgesetzt wird. Noch immer werden in vielen Regionen Flüsse ohne jede Genehmigung ausgebaggert, der Meeresboden gnadenlos abgesaugt. Auch der Handel mit Sand muss kontrolliert werden. Was nützt es, wenn ein Land den Abbau untersagt, der Sand aber aus illegalen Quellen importiert wird.
„Der illegale Abbau von Sand ist ein Multimilliarden-Geschäft mit mafiösen Strukturen. In Marokko ist bereits die Hälfte der Strände widerrechtlich abgetragen worden. Auf Jamaica stahlen Sanddiebe für den Bau einer künstlichen Bucht in einem neuen Luxus-Resort den Strand eines Fischerdorfs. Sie kamen nachts mit schwerem Gerät – und Gewehren,“ so berichtete der Deutschlandfunk bereits 2016. Gewehre für Sand – auch das zeigt (leider), wie wertvoll er ist.