Quantum Computing ante portas
Prof. Dr. Sabina Jeschke gehört zu den führenden Expertinnen für Quantencomputing in Deutschland. Mit ihrem Start-up Quantagonia will sie die Superrechner alltagstauglich machen. Die studierte Physikerin und Mathematikerin lehrt Informatik im Maschinenbau an der RWTH Aachen und Entrepreneurship an der TU Berlin. Im Vorstand der Deutschen Bahn AG verantwortete sie von 2017 bis 2021 den Bereich Digitalisierung und Technik.
Sie wollen den Quantencomputer in den Alltag bringen. Heutige Quantenrechner sind groß und gelten als störanfällig und energiehungrig. Erst nahe dem absoluten Temperatur-Nullpunkt nehmen sie ihre Arbeit auf. Das sind keine guten Voraussetzungen für eine alltagstaugliche Technik, oder?
Es stimmt, dass Quantencomputer derzeit noch störanfällig sind. Doch energiehungrig sind sie nicht. Zwar müssen aktuelle Quantum-Computing-Systeme bei Millikelvin-Temperaturen gefahren werden, also bei minus 273 Grad. Aber weil der eigentliche Rechenaufwand sehr gering ist, sich so viele Menschen diese Rechner per Cloud teilen können und die Technik so viel schneller rechnet, ist die Energiebilanz schon heute oft besser als bei traditionellen Rechnern. Und inzwischen gibt es Prototypen, die bei Raumtemperatur laufen und auch nicht mehr so störanfällig sind. Da erwarten wir 2028 oder 2029 marktfähige Systeme. Während die heutigen Rechenzentren immer größere Energiemengen verbrauchen, kann das Quantum Computing also den Trend drehen und uns bei Themen wie Nachhaltigkeit helfen. Deshalb wird man in Zukunft möglicherweise sogar alles auf Quantenrechnern rechnen, was algorithmisch möglich ist, und klassische Computer vor allem dort einsetzen, wo sich die Algorithmen nicht oder nur ineffizient auf Quantenrechner übertragen lassen. Das gibt übrigens auch neue Impulse für die sogenannte Edge Artifical Intelligence, also den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Randbereich von Netzen. Die mobilen Sensoren, die dort häufig verwendet werden, haben oft nur winzige Batterien und deshalb nicht genug Energie für komplexe Berechnungen. Für das Quantencomputing kann man aber die wenige benötigte Energie beispielsweise als Abfallprodukt aus den Vibrationen von Maschinen gewinnen. Das macht ganz neue KI-Anwendungen möglich.
„Einer der großen Trends beim Quantencomputing wird sein: Weg von der tiefen Temperatur, weg von der Anfälligkeit."
Prof. Dr. Sabina Jeschke
In der klassischen Computertechnik hat es Jahrzehnte gedauert vom raumfüllenden Röhrenrechner ENIAC bis zu Chips mit Leiterbahnen in Nanometerstärke in jedem Handy. Werden wir beim Quantencomputing einen ähnlichen Verlauf erleben? Wird das iPhone dann zum Qphone?
Das kann man ganz klar so sagen. Einer der großen Trends beim Quantencomputing wird sein: Weg von der tiefen Temperatur, weg von der Anfälligkeit. Hin zu immer robusteren Systemen – die idealerweise bei Raumtemperatur arbeiten. Und wenn es diese Störanfälligkeit nicht mehr gibt und ich Quantenrechner auch nicht mehr in großen Zentren unter der Erde tiefkühlen muss, dann erwarte ich auch Geräte, die ich mit mir herumtragen kann. Zum Beispiel ein Qphone.
Jede neue Technologie wirkt sich auch auf vorhandene Technologien aus. Wird der Quantencomputer zur disruptiven Technik und werden große Rechenzentren, wie Google und Amazon sie betreiben, damit bald überflüssig?
Ganz im Gegenteil: Wir werden sehen, dass die großen Anbieter von High Performance Computing sich Quantencomputer kaufen und die in ihre Rechenzentren stellen und diese Rechenleistung so ihren Kunden anbieten. Schaeffler zum Beispiel nutzt die Cloud-Computing-Plattform Azure von Microsoft. Und in dieser Cloud können Sie heute schon auf verschiedene Quantencomputing-Angebote zugreifen. Amazon macht es mit AWS ganz ähnlich. Quantencomputing wird also tatsächlich eine disruptive Technik, weil man damit Probleme adressieren kann, komplexe Simulation in hoher Geschwindigkeit etwa, die man vorher nicht machen konnte. Die großen Rechenzentren werden aber nicht die Verlierer sein, sondern sie werden die Quantencomputer neben ihre bestehenden Rechner stellen. Wir werden eine sehr heterogene Computer-Landschaft in den Rechenzentren sehen und wir werden dort Berechnungen jeweils auf genau die Computer-Architektur verteilen, die dafür ideal ist.
Schrödingers Rechner
Während bisherige Digitalrechner nur mit den Werten „0“ und „1“ rechnen, schaffen Quantencomputer das scheinbar Paradoxe: Ihre Informationseinheiten, die Qubits, können neben „0“ und „1“ auch beliebige Zwischenzustände annehmen – und dies sogar gleichzeitig. Die Rechner machen sich die Gesetze von Erwin Schrödingers Quantenmechanik zunutze und verwenden beispielsweise Ionen oder Elektronen als Qubits. Verschränkt man mehrere Qubits zu einer größeren Einheit und stellt jedem Qubit eine Teilfrage einer komplexen Gesamtaufgabe, findet der Quantencomputer die bestmögliche Antwortkombination unter Betrachtung aller Teilfragen. So kann ein Quantenrechner bei der Suche nach neuen Werkstoffen oder Medikamenten in Sekundenbruchteilen Millionen Molekülkombinationen vergleichen. Noch besitzen Quantencomputer nur wenige Qubits und sind anfällig für Rechenfehler und Störeinflüsse. Doch die Entwicklung schreitet schnell voran.
Eines Ihrer Forschungsziele ist es, Quantentechnologie mit der herkömmlichen Informatik und vorhandenen Programmiersprachen in Einklang zu bringen. Wie bringt man so etwas bestehenden Software-Architekturen bei, die in Nullen und Einsen denken und keine Zwischenzustände dulden?
Die spannende Frage ist hier tatsächlich: Was mache ich mit bestehenden Codes? In der Wissenschaft und in der Wirtschaft gibt es teilweise Codes, die wir schon seit 40 Jahren nutzen und weiterentwickeln, weil sie stabil sind und unglaublich gut funktionieren. Wie bekomme ich es hin, dass uns unsere gewachsene Struktur aus Simulation, Optimierungsverfahren und künstlicher Intelligenz erhalten bleibt? In unserem Start-up Quantagonia bauen wir eine „Low Level Virtual Machine“ oder kurz LLVW, einen virtuellen Computer, der nur als Software auf einem anderen System existiert. Den füttern wir dann mit bestehendem Code. Vereinfacht gesagt: „X86-Code rein, Q-Code raus“. Wir transferieren also den bestehenden Code auf eine maschinenunabhängige Zwischenebene und verteilen ihn von dort auf die verschiedenen Rechner mit den verschiedenen Anpassungen. Wir erschaffen so eine „Middleware“, die bestehende Software mit dem Quantencomputing kompatibel macht und die gleichzeitig ermöglicht, heterogene Ressourcen in einem Rechenzentrum durch dynamische Zuweisungen ideal zu nutzen.
Zu Ihren Forschungsgebieten gehören auch Verkehr und Mobilität sowie das Internet of Things (IoT). Wird das autonome Auto der Zukunft mit einem Quantencomputer an Bord einen besseren Weg durch den Großstadtverkehr finden? Was kann ein Quantencomputer, was die herkömmliche Schaltungslogik in Navigationssystemen nicht auch könnte?
Flottenintelligenz. Sie können zwar inzwischen mit bestehenden Rechnern einzelne Fahrzeuge oder kleine Gruppen optimieren, nicht aber den ganzen Verkehr einer Millionenstadt. Je mehr Quantum-Intelligenz in den Navigationssystemen steckt, desto besser werden deren Vorhersagen. Und desto mehr halten sich auch die Fahrerinnen und Fahrer an die Empfehlungen des Systems. Das wiederum entzerrt den Verkehr. Staus entstehen ja auch deswegen, weil ich als Mensch nicht genug Möglichkeiten habe zu sehen, wie mein Verhalten dazu beiträgt, dass es sich überhaupt staut. Zukünftig weiß ich dank Quantencomputer, dass ich besser zehn Minuten später losfahren sollte, es sich dadurch insgesamt weniger staut und ich so trotzdem früher ankomme. Und autonome Fahrzeuge, deren Zahl in den kommenden Jahren erheblich zunehmen wird, werden perspektivisch komplett mit Flottenintelligenz gesteuert werden.
Was haben Konzerne wie Schaeffler als weltweit führender Automobil- und Industriezulieferer von der Quantenrevolution zu erwarten? Sehen Sie neue Geschäftsfelder und Absatzmärkte in der Mobilität? Oder wird sich die Revolution eher hinter den Kulissen abspielen, zum Beispiel in Forschung und Entwicklung per Quantencomputing oder in ganz neuen Fertigungstechnologien in den Fabriken der Industrie 4.0?
Quantencomputing bringt beispielsweise neue Möglichkeiten für die Materialforschung, die Tribologie und die Suche nach neuen Schmierstoffen. Man kann hier zukünftig Simulationsumgebungen schaffen, bei denen man in Echtzeit Parameter verändern kann und die Ergebnisse sofort erhält. Bisher funktioniert das noch nicht, weil solche Berechnungen auf molekularer Ebene Antwortzeiten von Tagen bis Wochen haben. Per Quantencomputing geht das zukünftig in Echtzeit. Das Thema Edge Artifical Intelligence hatte ich bereits angesprochen: Auch hier können sich im Automobilsektor Alleinstellungsmerkmale für Firmen wie Schaeffler ergeben. Beispielsweise mit neuen Komponenten, die ohne Cloud-Anbindung über 5G-Mobilfunk trotzdem künstliche Intelligenz nutzen. Solche Systeme könnten dann offline in Echtzeit komplizierte Steuerungsaufgaben in Fahrzeugen übernehmen dank Quanten-Intelligenz.
Wie beurteilen Sie die Innovationskraft der Industrie beim Thema Quantencomputing? Werden die Chancen der Technologie ausreichend gewürdigt oder wünschen Sie sich hier manchmal mehr Tempo?
Deutschland ist das Land der Ingenieure und Technologen. Dennoch haben wir unheimlich viele Trends im Technologiebereich verpasst, bei Mobiltelefonen und ganz allgemein bei der Hardware. Auch das Potenzial von KI haben wir viel zu spät gesehen. Ich bemerke aber eine Tendenzänderung. So haben beispielsweise die EU und die Bundesregierung zwischenzeitlich große Förderprogramme für die Quantenforschung aufgelegt. Bei Schaeffler führe ich gerade viele Gespräche zu den Themen Quantencomputing in der Fertigung, Quantencomputing im Produkt sowie Aufbau von Talenten. Auch deshalb ist meine Prognose insgesamt positiv.