Leb smarter, Alter
Menschliche Blechkameraden
Man kennt ihn noch – diesen putzigen 1980er-Jahre-Filmroboter namens Nummer 5, der sich in atemberaubender Geschwindigkeit Wissen aneignet. Ein Roboter aus Blech und Elektronik, der auf sein Gegenüber aus Fleisch und Blut empathisch reagiert. Einer, dessen Konstruktion der menschlichen Gestalt nachempfunden ist. Wenn man so will, arbeiten Wissenschaftler seit Dekaden an der perfekten Evolution von Nummer 5. Humanoide Assistenzroboter, die unseren Alltag vereinfachen sollen. Vor allem den Alltag einer ganz bestimmten Zielgruppe, einer, die im Zuge des demografischen Wandels einen immer größer werdenden Anteil in unserer Gesellschaft ausmacht: Senioren! Sie sollen mit Assistenzrobotik und Technologien der künstlichen Intelligenz möglichst lange, möglichst flexibel und agil ein selbstbestimmtes Leben führen können. Geschirrspüler einladen, Kleidung bringen, Tisch decken – vieles könnte der Generation Ü70 abgenommen werden. Die Forschung geizt nicht mit Prototypen, die schon „on the fly“ zum Einsatz kommen. Lebt Nummer 6 schon?
Wenn, dann heißt er nur anders. Roboter wie LIO, HOBBIT oder der CARE-O-BOT navigieren autonom durch die Wohnung, greifen nach Gegenständen und kommunizieren mit Menschen. Sie können mit Sensoren zur Sturzerkennung verbunden werden. TWENDY ONE hilft bei Hausarbeiten, CODY kann Menschen waschen, DOUBLE ist ein fahrbares Tablet, das ferngesteuert und ebenfalls zur Kommunikation genutzt wird. ZORA singt und tanzt mit Pflegebedürftigen und ermuntert sie zu Fitnessübungen.
Aufmerksamkeitssensitive Roboter
All diese Maschinen verfügen allerdings (noch) über einen begrenzten Anwendungsbereich. Professor Holger Hanselka, Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), und seine Kollegen forschen im Rahmen des Projekts „Jung bleiben mit Robotern“ an ebengleichen Assistenzrobotern: „Uns geht es um den menschzentrierten Ansatz. Unsere ARMAR-Roboter führen bereits jetzt komplexe Aufgaben in einer Küchenumgebung aus, lernen durch Interaktion fortlaufend vom Menschen und interagieren mit ihnen mithilfe von natürlicher Sprache.“ In einem nächsten Schritt müsse es aber zunehmend um die intuitiv-nonverbale Kommunikation gehen, indem beispielsweise Menschen mit humanoiden Robotern Gesten, Mimiken oder nur Augenaufschläge austauschen und die Maschinen danach wissen, was der Mensch möchte. „Humanoide Roboter zu entwickeln, die antizipieren können, dass der Gegenüber einen Bedarf hat, ist das Ziel“, erläutert Hanselka. Stichwort: aufmerksamkeitssensitive Roboter. Wichtiger Effekt: Die Akzeptanz in der Zielgruppe würde sich stark erhöhen, sofern Maschinen sozio-empathische Züge entwickeln würden.
KI für mehr Barrierefreiheit
5 %
der Weltbevölkerung waren 1950 mindestens 65 Jahre alt, gegenwärtig sind es etwa 9 Prozent. Im Jahr 2100 sind es laut Prognosen fast 23 Prozent. Die Alterung der Gesellschaft gehört zum demografischen Wandel der Weltbevölkerung. Diesen hat auch Schaeffler für sich in seiner Roadmap 2025 als wichtigen Zukunftstrend definiert, mit dem besondere Chancen verbunden werden.
„Gehhilfen“ von morgen
Für viele Senioren ist es der Worst Case, wenn ihre Füße sie nicht mehr tragen oder die Augen nicht mehr mitmachen. Google-Spin-off Waymo entwickelt für diesen Fall autonome Kleinfahrzeuge, also individuelle Taxen, die sich mit einfachen Sprachkommandos direkt vor die Tür bestellen lassen. Mobilitätsdefizite wettmachen kann auch der intelligente Gehstock des französischen Start-ups Dring mit eingebautem GPS-Chip und Mobilfunkanschluss, der seinem Eigentümer mitteilt, wo er oder sie sich befindet, und notfalls Alarm schlagen kann. Flotter könnten Rollstuhlfahrer mit einer Idee von Klaxon Mobility aus Österreich und dem schwedischen Elektroroller-Vermieter Voi unterwegs sein, die an einer elektrischen Antriebseinheit für Rollstühle und einem E-Scooter mit drei Rädern zum Sitzen arbeiten (Foto oben). In eine andere Richtung geht das am KIT entwickelte Exoskelett KIT-EXO-1 (Foto rechts), das menschliche Fähigkeiten intuitiv verstärken soll. Senioren könnten sich den Roboter morgens „anziehen“, um mobil zu bleiben.
Ich wünsche mir, dass wir technische Helferlein in unserem Alltag akzeptieren
Professor Holger Hanselka,
Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie
Zurück in die Zukunft
Schon 1932 legte der US-Amerikaner Edwin Land mit einem Polarisationsfilter, der zwei Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln zusammenführte, den Grundstein für Virtual Reality (VR). Land starb 1991 mit 82 Jahren – zu früh, um sich über die enorme Weiterentwicklung seiner Erfindung freuen zu können. Denn Senioren und VR passen inzwischen hervorragend zusammen, immer mehr 360-Grad-Video-Brillen erobern die guten Stuben. Die ganze Welt im eigenen Wohnzimmer. Durch den Grand Canyon wandern, Wellness-Reisen, Musicalbesuche und so weiter und so fort: All das ist virtuell für weniger mobile Menschen auch im hohen Alter möglich. KIT-Präsident Prof. Holger Hanselka: „VR hat großes Potenzial, Senioren vor Einsamkeit und Depressionen zu bewahren. Bilder, Landschaften und Videos aus der früheren Zeit erzeugen Glücksgefühle. Das senkt die Stresshormone und verbessert den Gemütszustand. Für Senioren eine ideale Technologie.“ VR als therapeutischer Ansatz mit großer Bandbreite – vieles ist denkbar. Meditationsübungen an Sehnsuchtsorten, Socialising über den 2D-Modus in der Online-Konferenz hinaus oder eben VR als Fitness-Tool, um auf dem Ergometer durch szenische Landschaften zu radeln. Auch virtuelle Arztbesuche sind möglich. Oder man schaut auf die Bekämpfung psychischer Probleme. So halbierte sich in einer britischen Studie die Angst von Paranoia-Patienten vor sozialen Situationen in der realen Welt nach einer einzigen VR-Coaching-Sitzung. Vorteil: VR-Therapien können automatisiert werden. So muss niemand mehr monatelang auf einen Therapieplatz im „echten Leben“ warten.
Roboter als Sozialpartner
Alltagsroboter für Senioren erlangen in Europa schwerer gesellschaftliche Akzeptanz als in den USA oder in Fernost. Vor allem, wenn sie nicht aussehen wie Saugroboter, sondern Menschen ähneln. Dann ändern sich offenbar Erwartungshaltungen: Roboter sollten proaktiv agieren können, dürften den Gegenüber aber auch nicht nerven. Die niederländische Roboter-Ethikerin Aimee van Wynsberghe bemängelt, dass in der Entwicklung zu viel Wert gelegt werde auf technische Machbarkeit anstelle einer umfassenden menschlichen Interaktion. Die zentrale Frage müsse lauten: „Was sollten Roboter für eine gute Pflege leisten?“ Und nicht: „Was können Roboter alles tun?“ Also Roboter als emotionale Maschinenmenschen, die der Einsamkeit vorbeugen und die sich vielleicht sogar im lokalen Dialekt nach dem Wohlbefinden erkundigen. Oder weitergedacht: Hologramme, dank derer wieder alte Wegbegleiter ins Wohnzimmer gebeamt werden können. Das wiederkehrende Problem dabei: Neue Hightech-Sozialpartner samt ihren Kameras können ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn man einen vermeintlichen Verlust an Privatsphäre akzeptiert. Stichwort Datenschutz. Und wie ist das überhaupt mit den Kosten? Finanzieren Kassen irgendwann lieber Roboter als teures Pflegepersonal? Man merkt: Das Potenzial von Robotern als Alltagshelfer ist riesig, es braucht aber noch klare Regeln. Denn Forschung ist nutzlos, sofern sie nicht akzeptiert wird.
Man muss sich die Frage stellen: Sind menschliche Entscheidungen objektiv gesehen wirklich immer die besseren als maschinelle?
Prof. Holger Hanselk
3 Fragen an ...
… Greta Silver (72), als Bestseller-Autorin will sie die Welt vom Grauschleier des Alters befreien. Mit ihrem YouTube-Kanal erreicht sie ein Millionenpublikum, öffnet der Wirtschaft den Markt der Best-Ager.
KI-Roboter, die Spülmaschinen befüllen, VR-Brillen, mit denen Sie unerreichbare Orte erreichen, neue Mobilitätskonzepte – welche Technologie hilft Ihrer Generation am meisten, agil zu bleiben?
Ich kaufe nicht Technologie, sondern Freiheit und Lebensfreude. Alles, was hilft, ist mega – was unterstützt, was erleichtert, was vorhandene Grenzen unsichtbar macht, was mich ganz neue Welten entdecken lässt. Es sollte mir Freude machen, es zu benutzen, und nicht peinlich rüberkommen – nicht als Produkt aus dem Sanitätshaus. Es ist nicht das Produkt, das peinlich ist, sondern die Mission, die erkennbar wird. Es ist das „Why“, was sich spiegelt in Unternehmen, in Produkten, in der Kommunikation. Das ist der Knopf, der die Botschaft verändert.
Wie kann die Akzeptanz technischer Hilfsmittel bei Senioren erhöht werden?
Bitte macht keine Unterschiede zwischen Jung und Alt. Wir haben immer schon Hilfsmittel genutzt. So machen wir Alten einfach weiter, wir nutzen, was wir kriegen können, um das Leben zu genießen. Es ist meine Botschaft, dass der Treppenlift nicht direkt in den Sarg führt, sondern er ist wie ein Ferrari – der fährt von A nach B und der Treppenlift von oben nach unten – sonst nichts. Kein Mensch verliert seine Würde, nur weil die Hüfte, die Augen oder die Knie nicht mehr so gut funktionieren. Mit dieser Botschaft sollten Unternehmen an die Alten herangehen: Hey, ihr seid nicht anders!
Worauf sollte bei der Entwicklung neuer Technologien geachtet werden, um den Bedürfnissen von Senioren nach mehr Agilität gerecht zu werden?
Alles, was das Leben leichter macht, ist sinnvoll. Die Unternehmen machen es ja schon. Sie könnten es nur viel leichtfüßiger rüberbringen. Ich finde alle Produkte toll, die meine Schwäche kompensieren – ohne dass ihnen der Makel „Alt“ oder „Gebrechlich“ anhaftet. Vielleicht braucht man die Produkte nicht immer, aber sie bringen Spaß oder Freiheit ins Leben zurück.