Kurs auf „einfach genial“!
Sanft schaukelt der kirschrote Katamaran im tiefblauen Ozean. Hinter einer sich langsam lichtenden Nebelwand türmen sich die „Feuerberge“ der Kapverden auf, mächtige Felsmassive vulkanischen Ursprungs vor der Nordwestküste Afrikas. Corentin und seine Crew sind überwältigt – und gleichzeitig hundemüde. Die stürmische Überfahrt vom Senegal brachte sie an den Rand ihrer Kräfte. „Elend“ sei allen gewesen, erzählt der Segelabenteurer. Drei Tage auf hoher See, mit peitschender Gischt und extremem Wellengang. Und wofür das alles? Nur für den reinen Segelkick? Eben gerade nicht!
Denn Skipper und Navigator ist Corentin de Chatelperron – ein Mann mit krausem Haar und herzlichem Lachen, der viel jünger wirkt, als er mit seinen 38 Jahren ist – erst an zweiter Stelle. Die primäre Leidenschaft des Ingenieurs gilt dem Tüfteln. Schon seit 2016 segelt er mit wechselnder Crew von Kontinent zu Kontinent, um Kurs auf einfachste Erfindungen zu nehmen, die die Armut in der Welt bekämpfen könnten, sofern sie denn nur bekannter wären. Corentin und seine gleichgesinnten Mitsegler haben eine Mission: Sie wollen technisch simple, aber gerade deswegen effiziente und nachhaltige Lösungen für ein autarkes Leben finden, ausprobieren, weiterentwickeln und verbreiten. „Es geht uns nicht darum, Neues zu erfinden, sondern bereits bewährte Lösungen zu dokumentieren und adaptieren“, sagt der Weltenbummler.
Der Solarwasserentsalzer
Die Hydrokultur
Mission: autarkes Leben an Land und auf hoher See
Lowtech heißen solche Lösungen, die leicht herzustellen und leicht zu reparieren sind. Auf der ganzen Welt spürt der „Überlebenstüftler“ mit seinem Team diese auf und testet sie. Jede seiner Entdeckungen stellt er auf seiner Online-Plattform www.lowtechlab.org für die Lowtech-Community bereit.
Corentins Hochseekatamaran Typ Kennex 445 namens „Nomade des Mers“ (französisch für „Meeresnomade“) ist selbst ein schwimmendes Labor, das Vorschiff ein Gewächshaus, in einem Käfig am Heck liefern vier Hühner Eier, eine der Kabinen beherbergt eine Insektenfarm, die die Crew mit den notwendigen Proteinen versorgt. "In Thailand haben wir dann jemanden kennengelernt, der uns beim Bau einer Minipilzzucht geholfen hat. Bis zu zwölf Kilogramm im Monat konnten wir ernten. Ich konnte es kaum erwarten, ein Omelett mit den Eiern unserer Hühner, mit Pilzen, Insekten... und ein klein wenig Rucola zu machen", erzählt der findige Ingenieur.
Die große Mission des Franzosen begann vor mehr als zehn Jahren auf einer Werft in Bangladesch, wo er auf die Idee kam, Jute und Harz als Basiswerkstoffe für Bootsrümpfe einzusetzen. Ein erstes Naturfaserboot entstand. Glasfaser ersetzte er durch Grashalme, eine natürliche lokale Ressource. Wenig später schwamm dann die „Gold of Bengal“, der Prototyp eines ausschließlich aus Jutefaserstoff gebauten Segelschiffs, und Corentin de Chatelperron begab sich mit ihr auf eine Expedition zurück nach Frankreich – immer auf der Suche nach dem Selbstversorger-Dasein. Im Glashaus unter Deck züchtete er Gemüse, die Sonne nutzte er als Energiespender. Aber es klappte lange nicht alles. "Meine Pflanzen verkümmerten. Und dann schleppte ich mir beim Holzsammeln auf einsamen Inseln Termiten ein, die meinen Bambusmast attackierten, er knickte beim ersten Sturm ab. Ich, der ich mich schon als modernen Robinson Crusoe gesehen hatte, fühlte mich bald wie ein Streuner der Meere", schildert Corentin die Anfänge. Mit diesen Erfahrungen aus der Kategorie "konstruktives Scheitern" ging es dann 2016 samt Crew an Bord des Katamarans weiter – diesmal allerdings gleich auf Weltreise.
Gewonnenes Wissen weiterverbreiten
Die Medienaufmerksamkeit war ihnen da längst sicher. In seiner französischen Heimat werden der Segler und seine Mitstreiter als Öko-Helden bejubelt. Mit Ausstellungen und Roadshows, mit Eventauftritten und enormer Medienpräsenz verbreiten sie ihre Ideen zu Klima- und Umweltschutz sowie zur Energiewende. Corentin de Chatelperron ist fasziniert von der Lowtech-Konstruktionsphilosphie und hat zahlreiche clevere Ideen an Bord des Expeditionsschiffes implementiert. So konnte sich die Crew beispielsweise einer speziellen Entsalzungsanlage für Meerwasser (siehe oben) bedienen, um Trinkwasser zu gewinnen, einen Solar-Ofen nutzen oder mithilfe eines selbstgebauten Windrades (siehe Beispiele) Energie gewinnen. Auch alternative Ernährungsformen probierten die jungen Entdecker aus, züchteten beispielsweise Algenkulturen zum Verzehr. Zahllose Zwischenstopps, Begegnungen, Abenteuer und Erfindungen liegen im Kielwasser der Crew.
Die Pflanzenkläranlage
Die Plastikpyrolyse
Das gewonnene Wissen vermitteln sie weiter: durch ihr Vorbild, aber auch durch die Weitergabe von Tipps – nicht nur auf ihrer Reise, sondern im Zusammenschluss mit NGOs, die beispielsweise wiederum Flüchtlingscamps, Krisenregionen oder armen Gegenden damit Hilfe zur Selbsthilfe bieten.
Das 20-Watt-Windrad
Die Solartrocknung
Im Sommer neigt sich die Forschungsreise nach mehr als fünf Jahren und mehr als 50 dokumentierten Lowtech-Lösungen erst einmal dem Ende entgegen. Das Team seines „Low Tech Labs“ verkündete, dass die „Nomade des Mers“ in diesem Jahr in ihren französischen Heimathafen Concarneau zurückkehren werde. Im Gepäck: ein riesiger Sack randvoll gefüllt mit Know-how, um die Armut in der Welt ein Stück weit bekämpfen zu können.
Mehr über Corentins Low-Tech-Abenteuer
Das Buch zur Reise
"Sailing for Future – Mit Lowtech und Low-Budget um die Welt"
240 Seiten, 288 farbige Fotos, 24,90 €
Delius Klasing
ISBN-9783667118516
Der deutsch-französische TV-Sender arte hat Corentin de Chatelperron und seine Crew begleitet. Mehrere Folgen von „Mit Kompass und Köpfchen auf hoher See“ findet man in der Mediathek.
Unzählige DIY-Tipps gibt es auf dem YouTube-Kanal des Low-Tech-Labs zu sehen.