Ins Rollen gebracht
© Dagli Orti/Getty
September 2017

Ins Rollen gebracht

Von Volker Paulun
Man sieht sie selten, hört sie so gut wie nie, aber wenn sich auf der Welt etwas bewegt, ist in vielen Fällen ein Wälz- oder Gleitlager im Spiel. Eine Zeitreise auf den Spuren verborgener Talente, die schon im alten Ägypten in Form von Baumstämmen Reibung reduziert haben und mit jeder neuen Evolutionsstufe für mehr Effizienz bei Bewegungen sorgen.

Bevor wir uns zu der vorchristlichen Geburtsstunde des Wälzlagers aufmachen, werfen wir schnell noch einen Blick in die Firmenchronik von Schaeffler. 1883 konstruiert Friedrich Fischer, dessen Firma FAG später in der Schaeffler Gruppe aufgeht, die Kugelschleifmaschine. Mit ihr ist es möglich, gehärtete Stahlkugeln absolut gleichmäßig rund zu schleifen – und das in großen Stückzahlen. Dank dieser Innovation des „Kugelfischers“ tritt das Kugellager von Schweinfurt aus seinen Siegeszug um die Welt an. Ein Fortbewegungsmittel, das von dieser Innovation auf Anhieb maßgeblich profitiert, ist das Fahrrad. Das Auto folgt in seinem Windschatten.

Der „Kugelfischer“ und sein noch genialerer Vorarbeiter

Das Kugellager, dem Fischer mit seiner Maschine zum Durchbruch als Massenprodukt verhilft, lässt sich bis zum wohl größten Universalgelehrten der Menschheit zurückverfolgen: Leonardo da Vinci. Der gleichermaßen feinsinnige Renaissancekünstler, belesene Wissenschaftler und visionäre Konstrukteur tüftelt an diversen Gerätschaften – von hydraulischen Maschinen und martialischen Panzern über Brücken und Getrieben bis hin zu helikopterartigen Fluggeräten. Wohlgemerkt, das alles vor 500 Jahren. Immer wieder stößt da Vinci dabei auf das physikalische Problem der Reibung und bringt um 1490 die Zeichnung einer Apparatur zu Papier, die Abhilfe schaffen soll: Die Idee von dem, was wir heute unter einem Kugellager verstehen, ist geboren. Da Vinci fixiert die frei laufenden Kugeln in einem Gehäuse, ohne dass sich diese dort berühren. Eine Maßnahme, die die Reibung nochmals reduziert. Allerdings verwendet da Vinci Hartholz für seine Kugeln, mit entsprechenden Nachteilen bei Präzision und Haltbarkeit. Die erste auf da Vincis Erfindung beruhende Kugellager-Anwendung findet sich in sogenannten Bockwindmühlen. Dort halfen die Lager, das gesamte Maschinenhaus nach dem Wind auszurichten. De Vinci selbst nutzt seine Kugellager bei Forschungsbohrungen.

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Wer hat’s erfunden? Leonardo da Vinci natürlich. Das über 500 Jahre alte Bild zeigt eine Kugellagerskizze des Universalgenies

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Anno 1883 ebnete Friedrich Fischer dem Wälzlager mit der Erfindung seiner „Kugelmühle“ den Weg zum milliardenfach gefertigten Massenprodukt

Das erste Kugellager-Patent stammt indes vom Engländer Philip Vaughan, das dieser 1794 unter der Bezeichnung „Vollkugelige Füllloch-Lager zur Lagerung von Rädern auf einer Achse“ einreicht. Vaughan gießt die Kugeln aus geschmolzenem Eisen. Die handgefertigten Einzelstücke sind entsprechend weit entfernt von der Präzision, die Fischer mit seiner Kugelschleifmaschine erreicht. Aber immerhin: Vaughans Eisenkugeln waren deutlich belastbarer als da Vincis Varianten aus Holz.

Zurück ins Altertum

Aber Wälzlager gibt es schon lange vor da Vinci und Vaughan. Wie lange genau, darüber streiten die Gelehrten. Altertümliche Zeichnungen zeigen, dass schon die alten Ägypter und Assyrer Holzstämme als Wälzlager genutzt haben, um schwere Steine und Skulpturen zu bewegen. Wahrscheinlich noch früher entdeckten die Menschen eine weitere Art, Reibung zu reduzieren und damit Bewegung zu erleichtern und Verschleiß zu reduzieren: die der Schmierung. Wieder sind es Zeichnungen aus dem alten Ägypten, die zeigen, wie Wasser vor schwer beladene Transportschlitten gekippt wurde, um diese leichter gleiten zu lassen.

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Beeindruckend: Das Aussichtsrad London Eye dreht sich mithilfe von zwei zweireihigen radialen FAG Pendelrollenlagern. Die Fest-Loslager-Kombination misst mehr als 2,6 Meter im Außendurchmesser und wiegt insgesamt über elf Tonnen© Schaeffler

Das Prinzip der Gleitlagerung für rotierende Gegenstände ist ähnlich alt wie die Erfindung des Rades, also etwa 5.000 Jahre. Um Reibung, Erwärmung und Verschleiß zu vermindern, schmiert man Talg, Erdpech, Harz oder Bienenwachs auf die sich berührenden Flächen. Eine erste Radführung mit einer Art Wälzlager entdeckten Archäologen an einem rund 2.700 Jahre alten keltischen Streitwagen. Buchenstäbchen wälzen sich dort lagernd zwischen Achse und Rad.

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Wälzlager
© Schaffler

Der Erste, der Reibung wissenschaftlich untersucht und bis heute gültige Gesetzmäßigkeiten festhält, ist einmal mehr Leonardo da Vinci. In einem Skizzenbuch notiert er 1493, dass sich die Kraft der Reibung zwischen zwei gleitenden Oberflächen proportional zu der Last verhält, welche die Oberflächen zusammendrückt. Die Größe des Kontaktbereichs zwischen den Oberflächen spielt bei gleichem Gewicht keine Rolle. Da Vinci empfiehlt außerdem Lagerbuchsen, die aus einem 70-prozentigen Massenanteil Zinn und einem 30-prozentigen Massenanteil Kupfer bestehen – ein ähnliches Mischungsverhältnis wie beim Weißmetall, das noch Jahrhunderte später in Gleitlagern verwendet wird.

Moderne Gleitlager kommen ohne Öle und Fette als Schmiermittel aus. Stattdessen sorgen Oberflächen aus Gleitwerkstoffen wie die von Schaeffler entwickelten Materialien Elgo­glide und Elgotex oder der Metall-Polymer-Verbundwerkstoff E40 für einen reibungsarmen Lauf. Der Einsatz von Gleitlagern empfiehlt sich bei hohen Drehzahlen und Tragelasten, kleinen radialen oder axialen Bauräumen sowie – wegen der guten Dämpfungseigenschaften – bei Schwingungen und Stößen. Die Einsatzbereiche von Schaeffler-Gleitlagern reichen von A wie Auto bis Z wie Zug.

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Eine Kornmühle aus dem 18. Jahrhundert. An der gelben Farbe gut zu erkennen sind die verschiedenen verwendeten Lager© Getty

Ein großer Vorteil des Gleitlagers ist die einfache Konstruktion, weswegen es lange Zeit das Wälzlager in den Schatten stellt. Innovationen wie Fischers Schleifmaschine vereinfachen und verbilligen die Wälzlagerproduktion – das Blatt wendet sich. Vorteile wie geringere Reibung und Pflegeaufwand tun ein Übriges, um das Wälzlager zum Massenprodukt zu machen.

Längst gibt es neben der Kugel und dem Zylinder weitere Wälzkörperformen. 1898 meldet Henry Timken in den USA ein Patent für das Kegelrollenlager an. Weitere Wälzkörperformen sind die Tonne und die dünnere Nadel. 1907 erfindet der Schwede Sven Gustaf Wingquist das Pendelkugellager. Es geht immer weiter. Wenn etwas nicht neu erfunden wird, so wird es zumindest verbessert. So kommt ein gewisser Georg Schaeffler 1949 während einer Autofahrt auf die Idee, die Nadeln eines Wälzlagers in einem Käfig einzeln und achsparallel zu führen. Die ­Lager werden dadurch noch kompakter und drehzahlfester – perfekt zum Beispiel für den Einbau in Autogetrieben.

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Achtung Fälschung!

Auf dem Weg in die Presse: Immer wieder lässt Schaeffler tonnenweise gefälschte Spindel-, Pendelrollen-, Kugel- und Nadellager sicherstellen und verschrotten. Schaeffler verfolgt die Fälschung von Wälzlagern und den Handel weltweit konsequent. Um hochwertige Originalteile besser von billigen Imitaten und Plagiaten unterscheiden zu können, hat der Schaeffler Aftermarket zudem ein mehrstufiges Sicherheitssystem mit Codes und Labeln eingeführt.

„Immer neue Aufgaben“

Wer sich heute auf der Webseite der Firma umschaut, die Schaefflers Namen trägt, stößt dort auf über 30 verschiedene Lagertypen in Tausenden von Variationen. Im Angebot sind beispielsweise Schrägkugellager, Spindellager, Pendelrollenlager, Axial-Rillenkugellager oder auch lineare Gleit- und Wälzlager. Die Anwendungsbereiche reichen vom winzigen, aber 100.000 Touren drehenden Lager für Zahnarztbohrer bis zu mehrere Tonnen wiegenden Giganten, wie zum Beispiel das Lager, das  das Londoner Millenium-Riesenrad am Drehen hält. Bei einer so großen Bandbreite von Einsatzgebieten wundert es nicht, dass die Zahl der jährlich weltweit benötigten Lager in die Milliarden geht. Allein in einem Pkw werden über 100 Lager verbaut. Auch dort gehen sie still und unauffällig ihren Pflichten nach.

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2.700.000 km

Musterbeispiele für Robustheit und Langlebigkeit: Solche FAG-Kegelrollenlagereinheiten versehen seit 1987 ihren Dienst in den Fahrzeugen der Metro von Istanbul. Die Laufleistungen haben längst die Hürde zur Siebenstelligkeit übersprungen.

Auch in einer immer digitaler werdenden Welt behaupten Lager ihren Platz. Ausgerüstet mit Sensoren stellen sie ein Bindeglied zwischen Mechanik und Elek­tronik dar. In dieser neuen Funktion steigern sie die Effizienz von Bewegungen nicht mehr allein durch das Reduzieren von Reibung. So bietet Schaeffler Sensorlager zur Fernüberwachung von Baugruppen („Condition Monitoring“). So lassen sich drohende Defekte erkennen, bevor diese zu teuren Ausfällen von Maschinen führen. Zudem können Wartungsintervalle durch die gesammelten Daten präziser und damit kosteneffizienter berechnet werden. Als fleißige Datensammler sind Sensorlager wichtige Bausteine bei der Vernetzung von Maschinen im Zeitalter der Industrie 4.0. Diese Daten können genutzt werden, um Produktionsabläufe reibungsloser zu gestalten. In der Mobilität für morgen, speziell für das automatisierte Fahren, liefern Sensorlager Informa­tionen für die Kommuniktion von Fahrzeugen untereinander und Service­anbieter. Gleichzeitig müssen sich mechanische Lager den neuen Anforderungen der zunehmenden Elektrifizierung mit neuen Spezifikationen wappnen.

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Mit Sensorfunktionen werden Wälz- und, wie hier, Gleitlager zu Datenlieferanten und damit zum wichtigen Bindeglied zwischen Mechanik und Elektronik© Schaeffler

Zu der nun bereits Tausende Jahre währenden Entwicklung der Lagertechnologie passt ein Bonmot von Georg Schaeffler perfekt: Der Firmengründer übersetzte den Markennamen INA – eigentlich die Abkürzung für „Industrie-Nadellager“ – gern mit „immer neue Aufgaben“.