Innerer Antrieb
Die Erde ist kein Schlaraffenland, in dem uns gebratene Tauben in den Mund fliegen. Allein schon um satt zu werden, gingen die Menschen seit Urzeiten zur Arbeit – und hörten bis heute nicht mehr auf. Die ersten Jobs der Geschichte: Jäger und Sammler. Gemeinhin gelten solche dem reinen Nahrungsgewinn dienenden Tätigkeiten als ist die älteste traditionelle Wirtschaftsform der Menschheit. Die Jäger waren – das nur nebenbei – auch die Ersten, die Arbeitsgeräte benutzten. 300.000 Jahre ist die älteste bisher gefundene Jagdwaffe alt, ein Speer.
Körpereigene Belohnung
Hunderttausende von Jahren alt ist auch die Erkenntnis, dass Arbeit nicht nur satt macht, sie kann auch glücklich machen. Das erklärt sich folgendermaßen: Bereits die evolutionären Vorfahren des Menschen waren in sozialen Gruppen lebende Geschöpfe. Nur wer sozial akzeptiert und zugehörig war, konnte überleben. Daher hat das menschliche Gehirn im Laufe der Evolution Sensoren entwickelt, mit denen wir die Qualität sozialer Beziehungen wahrnehmen können, sowie ein im Mittelhirn ansässiges Nervenzellen-Netzwerk, das als Motivations- oder Belohnungssystem bezeichnet wird. Erfährt ein Mensch – damals wie heute – soziale Anerkennung und Wertschätzung, schüttet das System einen Glückscocktail mit den Zutaten Dopamin (eine Energiedroge), Oxytozin (ein Vertrauens- und Kooperationsbotenstoff) und körpereigenen Opioiden (Wohlfühl-Botenstoffe) aus. Eine Lohnauszahlung aus dem Oberstübchen.
Nicht, was ich habe, sondern was ich schaffe, ist mein Reich
Thomas Carlyle,
schottischer Historiker
Für die Arbeitswelt von heute ergeben sich aus diesen Erkenntnissen wichtige Schlussfolgerungen, sagt der Neurobiologe, Arzt und Buchautor Prof. Dr. med. Joachim Bauer („Arbeit – warum sie uns glücklich oder krank macht“): „Menschen können am Arbeitsplatz nur dann nachhaltig Engagement und Motivation aufbringen, wenn sie erleben, dass das, was sie tun, beachtet, wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Dies bedeutet keinesfalls, dass Beschäftigte verwöhnt oder ständig mit Lob überhäuft werden wollen oder sollen. Auch Kritik kann durchaus als wertschätzend empfunden werden – wenn sie berechtigt ist und nicht herabsetzend vorgetragen wird. Die Notwendigkeit des ‚Gesehen-Werdens‘ betrifft übrigens nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch Tätigkeiten im Privatleben.“
Natürlich kann man diese Mechanismen auch aushebeln. Die alten Griechen und Römer beispielsweise versagten der körperlichen Arbeit jegliche Wertschätzung. Zu antiken Hochkulturen konnten sie sich nur entwickeln, weil Sklaven sämtliche körperlich anstrengenden Tätigkeiten übernahmen und den Betrieb so am Laufen hielten. Arbeit und gesellschaftliches Leben waren in Rom und Athen weitestgehend voneinander getrennt.
Aufstieg durch Arbeit
Eine Entwicklung, die sich erst im Mittelalter allmählich änderte. Während die unterprivilegierte und unfreie Landbevölkerung – die damals in Europa einen Bevölkerungsanteil von 90 Prozent ausmachte – ihre nicht wertgeschätzte Arbeit als Mühsal und Plage ansah, entwickelte der Handwerker in der Stadt eine durchaus selbstbewusste Einstellung zu seinen Tätigkeiten. „Arbeit adelt“ wurde zur Parole des Aufstiegs. Der technische Fortschritt beflügelte das Handwerk zusätzlich: Immer neue Berufe entstanden. In größeren Mittelalterstädten gab es bis zu 100 verschiedene Handwerksberufe. Da Schmied, Schneider oder Schuster das Ergebnis ihrer Arbeit nicht essen konnten und der Tausch Ware gegen Ware zusehends komplizierter wurde, setzte sich die bis heute gängige Bezahlung in Form von Arbeit gegen Geld mehr und mehr durch. Natürlich drückte der Lohn je nach Höhe auch eine Wertschätzung der geleisteten Arbeit aus – ein zusätzlicher Impulsgeber für das Belohnungssystem im Mittelhirn.
Dass Handwerk den sprichwörtlichen goldenen Boden hat, zeigt das Beispiel der ehemaligen Weber-Familie Fugger. Jakob Fugger regierte Anfang des 16. Jahrhunderts von Augsburg aus über ein globales Handels- und Bankenimperium, in dem – wie es damals hieß – die Sonne nie unterging. Sein Vermögen soll umgerechnet 400 Milliarden Dollar betragen haben, was ihn zum reichsten Menschen der Geschichte machen würde, noch vor allen Bezos, Gates und Buffets dieser Welt. „Arbeit adelt“ – die Fuggers waren ein extremes Beispiel für die Wahrhaftigkeit des Ausspruchs. Aber auch andere Handwerksfamilien schafften den Aufstieg ins Bürgertum und prägten so den bis heute gültigen Stellenwert der Arbeit in der Gesellschaft. Mit markigen Sprüchen beflügelte Reformer Martin Luther die Emsigen. „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen“, befand er. Das bei der Oberschicht gern genossene Nichtstun geißelte er gar als Blasphemie: „Müßiggang ist Sünde wider Gottes Gebot, der hier Arbeit befohlen hat.“
Der Sinn der Arbeit
Noch mal zurück zum Handwerk. Dieser Berufsstand gilt als besonders erfüllend – bis heute, wie Umfragen immer wieder bestätigen. Mit den eigenen Händen ein Werk erschaffen. Vom Anfang bis zum Ende. Etwas von Bestand, von Wert. All das lässt Glückscocktails aus dem Belohnungszentrum sprudeln.
Durch die Industrialisierung der Arbeit ab Mitte des 18. Jahrhunderts geht die Happy Hour im Hirn verloren. Das Werk wird zum beliebigen Produkt. Mithilfe von Maschinen massenhaft hergestellt. Anfang des 20. Jahrhunderts zerstückelt das Fließband die Produktion in monotone Arbeitsschritte. Der Befriedigungsfaktor durch das Gefühl des Erschaffens ist gleich null. Die Industrialisierung entmenschlicht die Arbeit aber auch aus zwei weiteren Gründen: weil die billige Maschinenfertigung vielen Handwerkern das Wasser abgräbt. Aber noch viel mehr durch die prekären Arbeitsbedingungen in den Fabriken, gerade in der Anfangszeit der Industrialisierung. Viele Menschen vom Land zogen damals in die Stadt. Allein in London wuchs die Einwohnerzahl zwischen 1800 und 1900 von einer auf fast sieben Millionen. Die Hoffnung, dass seine Arbeitskraft in den neuen Fabriken mehr wertgeschätzt wird als auf dem Hof eines Gutsherren, wirkte geradezu magnetisch aufs Landvolk. Das plötzliche Überangebot an Arbeitskräften sorgte jedoch dafür, dass die Arbeiter zu Leibeigenen der Fabrikbesitzer wurden.
Katastrophale Arbeitsbedingungen, miese Bezahlung und entwürdigende Lebensbedingungen trieben die Menschen zusehends auf die Barrikaden. Kein Wunder, wenn eine Sechs-Tage-Woche mit 96 Arbeitsstunden nicht reicht, um die Familie durchzubringen. „Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben dafür eine Welt zu gewinnen“, stachelte Karl Marx an und fand viel Gehör. Auf der ganzen Welt wagten Arbeiterbewegungen den Aufstand, das Proletariat revoltierte gegen Geld- und echten Adel.
43 verschiedene Zweige
im Schmiedebereich sind aus dem mittelalterlichen Köln überliefert. Es gab beispielsweise Grob-, Huf-, Nagel-, Scheren-, Hauben-, Beil-, Messer-, Kessel- und Pfannenschmiede. Branchenverwandt gab es Glocken- und Kannengießer, Kupferschläger oder auch Nadel-, Sporen- und Speermacher. Falls Sie sich fragen, woher der Name Schwertfeger stammt: Der war damals für die Feinarbeit an roh geschmiedeten Schwertern zuständig.
Ein neuer Sektor entkoppelt sich
Vieles wurde danach besser in den Fabriken. Doch die zunehmende Automatisierung kostete viele der gerade erst entstandenen Arbeitsplätze – sie wurden aber mehr als aufgefangen. Heute, im post-industriellen Dienstleistungszeitalter, arbeiten in den fälschlicherweise immer noch so heißenden Industrienationen 70 Prozent aller Menschen im tertiären Sektor. Aktuell entkoppelt sich aus der Welt der Dienstleistungen ein vierter Sektor: der Informationssektor.
Entwicklungen, die die Arbeitswelt verändert haben
Der einst jagende Mensch aus der Vorzeit ist zum Datensammler geworden, wir weben nicht mehr an Stoffen, sondern Algorithmen. Doch fragt man junge Menschen, was sie antreibt, dann hört man noch immer: soziale Anerkennung und Wertschätzung. Wie damals am Lagerfeuer vor der Höhle. Prost Glückscocktail.