Indien geht voran
Indien will den Brückenschlag schaffen: vom Entwicklungs- zum Hightechland. Der Subkontinent will eine „Bridgital Nation“ werden, ein vielsagendes Kompositum aus den englischen Wörtern Bridge für Brücke und Digital. Die Zielsetzung ist ambitioniert: Denn aktuell herrscht in Indien noch immer eine Kluft zwischen Arm und Reich, die es mit einer wachsenden Mittelschicht zu schließen gilt.
Indiens Schlüssel zu einem breiter aufgestellten Wohlstand liegt in der vierten industriellen Revolution – so lautet zumindest eine These, die die beiden Top-Manager Natarajan Chandrasekaran, Vorstandsvorsitzender der Tata-Sons-Holdinggesellschaft, und Roopa Purushothaman, Chef-Volkswirtin bei Tata, in einem Beitrag für das Weltwirtschaftsforum aufgestellt haben.
Vom Einkaufen über die Arbeit bis zu Reisen und Medizin – kaum ein Lebensbereich bleibt von der digitalen Revolution unberührt. Und genau daraus können sich große Chancen für Indien entwickeln, prognostizieren Chandrasekaran und Purushothaman. „Wir glauben, dass der technische Fortschritt, wenn er richtig angewendet wird, zu mehr und besseren Arbeitsplätzen führen wird – ein Ansatz, den wir Bridgital nennen“, erklärten die beiden Manager beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2020.
5 Fakten über Indien
„In Indien sind derzeit 77 Prozent der Arbeiter in der informellen Wirtschaft tätig – sie arbeiten in landwirtschaftlichen Betrieben oder in Jobs mit geringer Produktivität wie auf dem Bau oder in kleinen lokalen Geschäften. Sie verdienen im Durchschnitt etwa 160 Dollar pro Monat. Dieser riesige Pool an informell Beschäftigten könnte seine Produktivität durch den Einsatz kontextbezogener Technologien steigern und demzufolge auch die Löhne, was sich wiederum positiv auf die Lebensbedingungen auswirkt“, schreiben die beiden Experten in ihrem Bericht.
Dharmesh Arora, Schaeffler-Vorstand für die Region Asia/Pacific, zu der auch seine Heimat Indien gehört, sieht den Subkontinent ebenfalls auf einem positiven Weg (siehe Interview unten): eine junge Bevölkerung, eine stabile Demokratie und wichtige Infrastrukturinvestitionen auch in nachhaltige Energien werden den wirtschaftlichen Aufschwung weiter beflügeln.
Digitaler Brückenschlag für ein besseres Leben
Moderne Technologien können auch entscheidend dazu beitragen, die oft noch prekären Lebensumstände in Indien zu verbessern. In ihrem Bericht schreiben Chandrasekaran und Purushothaman: „In Indien fehlen bis 2030 weitere 600.000 Ärzte und 2,5 Millionen Krankenschwestern. Trotzdem verbringen Ärzte ein Viertel ihrer kostbaren Zeit damit, Rezepte auszufüllen oder Termine einzutragen. Durch Bridgital könnten viele Tätigkeiten, die Ärzte vor der Diagnose durchführen, per Checkliste an einem Kiosk, auf einem Tablet oder einer Smartphone-App erledigt werden. Diese Geräte würden von jemandem bedient werden, der zwar keinen klinischen Hintergrund, aber eine Schulung für die Technologie erhalten hat. Das Ergebnis: Ärzte behandeln mehr Patienten, gleichzeitig entstehen Arbeitsplätze für weniger qualifizierte Personen.“
Auch dieses Beispiel nennen die beiden: Virtuelle Sprechstunden mit weit entfernten Patienten könnten die 65 bis 70 Prozent der Inder erreichen, die bisher erschwerten Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Mit dieser Lösung ließen sich 80 Prozent der fehlenden Kapazitäten an Ärzten überbrücken.
Ärzte behandeln mehr Patienten, gleichzeitig entstehen Arbeitsplätze für weniger qualifizierte Personen
Natarajan Chandrasekaran und Roopa Purushothaman
30 Millionen neue Jobs
Betrachtet man sechs ausgewählte Bereiche – darunter das Transportwesen, das Gesundheitswesen und die Justiz – so könnte eine Bridgital-Neukonzeption bis zu 30 Millionen neuer Jobs bringen, glauben Chandrasekaran und Purushothaman: „In Wahrheit haben wir bereits alles, was es braucht, um mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Wir haben auch das Wissen, die vorhandenen Fähigkeiten unserer Mitarbeiter zu verbessern und besser zu nutzen, insbesondere, wenn wir digitale Ansätze und Technologien auf unsere Bedürfnisse zuschneiden. Wir müssen aufhören, Menschen und Technologie als Konkurrenten für dieselbe Arbeit zu betrachten und stattdessen erkennen, dass der gemeinsame Einsatz beider definitiv leistungsfähiger ist als einer von beiden allein.“
4 Fragen an …
... Dharmesh Arora, Schaeffler Regional CEO Asia/Pacific
Welchen Vorteil hatte es, Indien in die Region Asien-Pazifik zu integrieren, wie es Schaeffler vor zwei Jahren getan hat?
Einige unserer Hauptkunden, sowohl im Automobil als auch im Industriebereich, haben ihren Sitz in Japan und Korea. Es sind weltweit tätige Unternehmen mit einer sehr starken Präsenz in Indien und Südostasien. Die Integration Indiens wird sicherstellen, dass wir einen noch besseren Zugang zu diesen Kunden bekommen. Indien ist ein riesiger Markt und auch eine Quelle enormer Ressourcen – sei es Talent, Technologie oder Produktionskapazität. Die Integration eröffnet uns neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit in der Region, von denen wir alle profitieren. Unsere Mitarbeiter in der Region werden neue Möglichkeiten haben, voneinander zu lernen und gemeinsam zu wachsen.
Die von Ihnen für Schaeffler betreute Region gilt ja als der agilste Wirtschaftsraum weltweit …
Der asiatisch-pazifische Raum ist einer der wichtigsten Treiber der Weltwirtschaft, mit wachstumsstarken Märkten wie Indien, Indonesien, Thailand und Vietnam sowie den reifen und innovativen Märkten wie Singapur, Japan, Südkorea und Australien. Im Laufe der Jahre haben wir exzellente Marktpositionen, Kundenbeziehungen und technologische Präsenz aufgebaut. Die Länder in der Region haben sich zudem zu den wichtigsten Entwicklungszentren und Hotspots für neue Technologien und Innovationen in Bereichen wie Robotik, Industrie 4.0, neue Mobilität, Digitalisierung und saubere Energie entwickelt. Diese Entwicklungen, gepaart mit dem rasanten Wirtschaftswachstum in der Region, bieten enorme Chancen für Schaeffler.
Wie stark schätzen Sie speziell den indischen Markt ein?
Indiens Bruttoinlandsprodukt liegt heute bei etwa 3 Billionen US-Dollar, es wird voraussichtlich jährlich um gesunde 7 Prozent wachsen und bis zum Jahr 2030 das drittgrößte der Welt werden. Die große Bevölkerung – eine der jüngsten der Welt –, die stabile Demokratie und das steigende Pro-Kopf-Einkommen machen das Land zu einem sehr attraktiven Markt. Die Investition des Landes in die Entwicklung der Infrastruktur, die Steigerung der Stromerzeugung und die Diversifizierung der Energiequellen hin zu erneuerbaren Energien, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Produktionssektors und die steigende Mobilität werden in den kommenden Jahren für ein nachhaltiges Wachstum sorgen. Globale und indische Automobil-OEMs haben eine sehr starke Präsenz im Land, sie entwickeln und fertigen Produkte vor Ort. Das Land ist bereits einer der größten Hersteller von Zweirädern, Traktoren und Lastwagen. Schaeffler ist seit über fünf Jahrzehnten in Indien tätig und wir haben eine sehr starke Kundenbindung aufgebaut, die durch eine sehr kompetente lokale Präsenz unterstützt wird. Vor allem Kundenbereiche wie Zweiräder, Autos, Traktoren, Züge, Windkraft und Rohstoffe bieten sehr attraktive Wachstumschancen für uns.
Was ist Ihre langfristige Vision für die Asien-Pazifik-Region?
Es ist eine spannende Region mit vielen Möglichkeiten. Ich gehe davon aus, dass wir ein robustes Geschäft in diesem Markt aufbauen, indem wir die Chancen um uns herum optimal nutzen. Heute kommen etwa 13 Prozent des Umsatzes der Schaeffler Gruppe aus der Asien-Pazifik-Region. Ich gehe davon aus, dass dieser Beitrag weiter steigen wird, nicht nur in Bezug auf Umsatz und Absatz, sondern auch in Bezug auf Innovationen und kreative Lösungen, die die dringenden Bedürfnisse unserer Kunden und der Gesellschaft im Allgemeinen erfüllen.