Hat das Klimagas CO<sub>2</sub> auch eine grüne Seite?
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Dezember 2019

Hat das Klimagas CO2 auch eine grüne Seite?

Wollte man das Klimagas Kohlendioxid bislang in unterirdischen Gesteinsschichten speichern und einfach nur loswerden, soll es nun zum wertvollen Rohstoff werden. Matratzen, Carbonfasern, Treibstoff – Experten arbeiten daran, CO2 für die Herstellung solcher und anderer Produkte sinnvoll zu nutzen.

Wenn es nach Dr. Markus Steilemann geht, werden auf dem Klimakiller CO2 bald immer mehr Menschen sanft schlummern können. Der Vorstandsvorsitzende des Kunststoffherstellers Covestro aus Leverkusen meint damit die ersten Produkte der vor rund drei Jahren eröffneten „Dream Production“-Anlage in Dormagen. Hier stellt der Konzern mithilfe des als Übeltäter verschrienen Kohlendioxids rund 5.000 Tonnen Polyol pro Jahr her – eine Substanz, die man unter anderem für Polyurethan-Schaumstoffe in Polstermöbeln und Matratzen benötigt. In einem zweiten Schritt sollen aus dieser Chemikalie, die normalerweise komplett aus dem Kohlenstoff des Erdöls gewonnen wird, auch Dämmstoffe für Häuser oder Kühlschränke und Klimaanlagen entstehen.

CO2 soll Erdöl als Rohstoff ersetzen

Das Tochterunternehmen des Chemieriesen Bayer ist damit eines der ersten Unternehmen in Deutschland, das Kohlendioxid in wirtschaftlichem Maßstab als Rohstoff zur Kunststoffproduktion nutzt – und nicht als ungewollten Abfall abtut. „Mit CO2 als Kohlenstoff-Lieferant können wir zunehmend auf traditionelle fossile Quellen wie Erdöl verzichten“, sagt der Covestro-Chemiker Dr. Christoph Gürtler, der die Prozesse der Anlage in Zusammenarbeit mit dem Catalytic Center der RWTH Aachen entwickelt hat. Fachleute sprechen bei so einem Prozess auch allgemein von „Carbon Capture and Utilization“ (CCU), grob übersetzt: der Abscheidung und Nutzung von Kohlendioxid. Das Klimagas steht damit vor einem Imagewandel: Bisher wollte man den Anteil des CO2, der sich nicht durch den Einsatz von alternativen Antriebs- oder Produktionsverfahren vermeiden lässt, vor allem in den Untergrund pumpen. Dort, möglichst auf alle Ewigkeit gefangen in Gesteinsschichten, sollte das Kohlendioxid kein Unheil mehr anrichten.

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Mithilfe von CO2 fertigt Covestro in dieser komplexen Produktionsanlage den Kunststoff Polyol© Feifei Cui-Paoluzzo/Getty
CO2-Recycling noch am Anfang

Nun will man das Klimagas wiederverwerten. Dieses CO2-Recycling beflügelt bereits die internationale Forschergemeinde: Weltweit wird fieberhaft an neuen effizienten Verfahren gearbeitet. Kein Monat vergeht, in dem nicht neue Erfolge und Produkte präsentiert werden. So produzierten etwa US-Forscher per Elektrolysereaktion aus CO2 Carbonfasern. Der Leichtbauwerkstoff könnte so künftig sogar günstiger als mit den herkömmlichen Methoden hergestellt werden. Das britische Unternehmen Carbon Clean Solutions wiederum hat einen Prozess vorgestellt, der aus dem Abgas eines Kohlekraftwerks auf sehr wirtschaftlichem Weg Natriumkarbonat gewinnt – eine Vorstufe von Backpulver. Das vielseitige Natriumkarbonat, umgangssprachlich auch Soda genannt, kommt auch in der Produktion von Papier, Glas, Klebstoff, Waschmittel und Seife zum Einsatz.

Ohne Förderung wirtschaftlich

Die Firma aus London ist zwar nicht die erste, die Soda aus CO2 herstellt, aber die erste, die so ein Verfahren ohne staatliche Förderungen auf den Weg gebracht hat. Ihr Erzeugnis soll laut eigener Auskunft zwei- bis dreimal günstiger herzustellen sein als das auf üblichem Wege produzierte Soda. Möglich wird dieser Kampfpreis durch eine von Carbon Clean Solutions entwickelte neue Chemikalie zum Filtern von CO2. Anders als die heute dafür eingesetzte Stoffgruppe der Amine soll sie einerseits effizienter, günstiger und weniger korrosiv sein, andererseits weniger Energie zur Abtrennung des aufgenommenen Kohlendioxids benötigen und auch mit kleineren Apparaten genutzt werden können. Eine beachtliche Leistung – scheitern doch die meisten CCU-Verfahren heute noch oft an der Wirtschaftlichkeit.

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Die Spezialisten verwenden CO2 auch zur Herstellung von Bindemittel für elastische Sportböden© Feifei Cui-Paoluzzo/Getty
Nur wenig Klimaschutz?

Denn um das reaktionsträge CO2 mit anderen Chemikalien zu vermählen, muss man es auf Touren bringen. Und dazu braucht man in der Regel eine Substanz, die die gewünschte Reaktion erleichtert – einen sogenannten Katalysator –, und viel Energie, die von außen zugeführt werden muss. Beides zusammen kostet Zeit, viel Geld und setzt darüber hinaus nicht selten wiederum Kohlenstoffdioxid frei. Umweltverbände wie der WWF oder Greenpeace kritisieren die Entwicklung von CO2-Recycling-Verfahren daher als Greenwashing der Konzerne. Dass CCU nicht über Nacht den Planeten retten wird, weiß auch die Industrie: „Natürlich sind die CO2-Mengen, die für die Synthese von solchen Chemikalien eingesetzt werden können, nur sehr gering im Vergleich zum jährlichen Ausstoß an CO2, sodass die Auswirkungen für das Klima erst einmal gering sein werden“, sagt Thomas Schaub, der bei BASF daran arbeitet, aus CO2 die Chemikalie Formaldehyd herzustellen.

Zahlen und Fakten
  • 37.100 Megatonnen
    CO2 aus fossilen Brennstoffen haben wir Menschen 2017 weltweit emittiert – so viel wie nie. (Quelle: The Global Carbon Project)
  • 1.900 Megatonnen
    CO2 könnten europaweit sinnvoll umgewandelt werden. Das sind rund 54 Prozent der europaweiten CO2-Emissionen (Stand 2017, Quelle: Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam)
  • 580.000 Megatonnen
    CO2 können wir noch emittieren, danach ist das 1,5-Grad-Erderwärmungsziel nicht mehr zu halten. Nach den derzeitigen Emissionen reicht das für etwa 14 Jahre (Stand Anfang 2018, Quelle: IPCC der Vereinten Nationen)
Mit regenerativer Energie klimaneutral

Nur wenn auch die Energie für die CCU-Prozesse CO2-frei gewonnen würde, etwa durch Windkraft oder Fotovoltaik, verbrauche CCU auch wirklich CO2. „Allerdings muss irgendwann ein Anfang gemacht werden“, sagt Schaub. Kohlendioxid habe den Vorteil, dass es in sehr großen Mengen und sehr günstig verfügbar ist, so der Wissenschaftler. Ob Schaub Formaldehyd, einen wichtigen Grundstoff für verschiedene Kunststoffe, künftig tatsächlich aus CO2 produzieren kann, ist allerdings noch offen: Er und sein Team suchen aktuell nach einem Katalysator, der die Reaktion wirtschaftlich macht. Ihre bislang erzielten Ergebnisse sehen immerhin vielversprechend aus. Solche Projekte seien aber in jedem Fall wichtige Wegbereiter für die Nutzung von CO2 als Rohstoff, sagt der Chemiker Schaub. „Die Technologien, die dabei entwickelt werden, können später auch in wesentlich größere Anwendungen gehen, wie beispielsweise in die Produktion von Flüssigtreibstoffen.“

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Ein Team um Forscher Dr. Christoph Gürtler hat den richtigen Katalysator entdeckt, um CO2 zur Herstellung von Polyol zu nutzen. Eine erste Anwendung ist Weichschaum für Matratzen© privat
Baustein für den Klimaschutz

Ähnliche Anlagen für Kraftstoffe oder Kraftstoffzusätze planen oder betreiben auch einige andere Unternehmen: RWE, Audi, LanzaTech, Carbon Engineering, Global Thermostat, Nordic Blue Crude oder Ineratec, um nur einige zu nennen. „Bei der Produktion solcher synthetischen Kraftstoffe hat sich allerdings noch kein Verfahren durchgesetzt“, sagt Georg Kobiela vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Der Experte für zukünftige Energie- und Industriesysteme mahnt aber nicht nur bei der Kraftstoffproduktion aus CO2, sondern auch bei den meisten anderen CCU-Techniken aus der chemischen Industrie die langen Zeiträume an, die es ohne weitere unterstützende Maßnahmen dauert, bis relevante Produktionsmengen erreicht werden können. „Wir reden hier derzeit von einem Jahrzehnt und noch längeren Zeiträumen“, räumt der Forscher ein. Er schlägt daher Instrumente wie finanzielle Förderungen, Abnahmegarantien der Produkte und Möglichkeiten zur schnelleren Abschreibung der nötigen Anlagentechnik vor, um den Aufbau von CCU-Techniken zu beschleunigen. „Denn klar ist, dass wir sie brauchen – als einen Baustein unter vielen anderen Maßnahmen, die für den Klimaschutz notwendig sind.“

Perpetuum mobile durch Gentechnik?

Wissenschaftler wie Daniel Nocera von der Harvard University in den USA arbeiten derweil trotzdem an der ganz großen Lösung: der künstlichen Fotosynthese. Sein bionisches Blatt wandelt Sonnenlicht, Kohlendioxid und Wasser zunächst in Wasserstoff und Sauerstoff um. Per Gentechnik designte Bakterien nehmen dann den Wasserstoff auf und verarbeiten ihn mit Kohlendioxid zu Biomasse – oder anderen CO2-basierten Basis¬chemikalien. So könnte ein künstlicher CO2-Kreislauf tatsächlich Realität werden. Dann könnte in Zukunft das Kohlendioxid aus Autos, Flugzeugen, Schiffen und Fabriken einfach von künstlichen Blättern aufgefangen und in Benzin umgewandelt werden. Darauf verlassen sollten wir uns allerdings (noch) nicht.

Standortvorteil Island
Hat das Klimagas CO<sub>2</sub> auch eine grüne Seite?© Getty

Die isländische Firma Carbon Recycling International (CRI) nutzt seit mehr als sieben Jahren den Standortvorteil der Insel im Nordatlantik: Ein Geothermiekraftwerk liefert kostenlose Abwärme und günstigen Strom sowie das Klimagas auch gleich in geeigneten Konzentrationen mit. Es steigt dort aus der Erdkruste auf. 4.000 Tonnen Methanol stellt CRI so pro Jahr her. Die Isländer haben den Prozess nun so weiterentwickelt, dass er auch mit CO2 aus dem Abgas von Chemiefabriken, Stahl- und Zementwerken läuft. Ihre nächsten Anlagen werden mindestens zehn- bis zwanzigmal größer sein und bis zu hunderttausend Tonnen Methanol im Jahr produzieren, sagt Benedikt Stefánsson, Leiter der CRI-Geschäftsentwicklung. In zwei Jahren soll die erste Großproduktion dieser Art in China ihren Betrieb aufnehmen.

Mehr über die energiegeladene Vulkaninsel

Denis Dilba
Autor Denis Dilba
Nach seiner Recherche erwägt Technologie-Journalist und Ingenieur Denis Dilba, beim nächsten Matratzenkauf auf ein CO2-Modell zu setzen. Für synthetischen Diesel auf CO2-Basis hätte er auch Verwendung. Die Frage ist nur, ob sein betagter VW Bulli durchhält, bis der grüne Sprit an die Tankstelle kommt.