Hallo, Holo!
© Matt Bird/Getty
Januar 2023

Hallo, Holo!

Von Björn Carstens
Beamen wie in der Science-Fiction-Saga „Star Trek“ bleibt wohl für immer unmöglich. Oder etwa nicht? Kanadische Forschende haben es jetzt geschafft, das Hologramm eines Menschen in Echtzeit zu teleportieren. Gemeinsam mit „tomorrow“ wagt Prof. Dr. Metin Tolan, Physik-Koryphäe und bekennender „Trekkie“, einen Ausblick auf die Systeme der Zukunft: Welche virtuellen Begegnungen sind denkbar, was bleibt utopisch?

Am Institute for Earth and Space Exploration an der Western University in Kanada haben Studenten nach eigenen Angaben die erste internatio­nale holografische Teleportation durchgeführt – das Hologramm einer Person wurde augenblicklich über Landesgrenzen hinweg übertragen. Versetzen Sie solche Schlagzeilen ins Staunen?
Staunen ist zu hoch gegriffen, denn wirklich neu ist das nicht. Die NASA hatte schon vor Monaten einen Astronauten dreidimensional ins All geschickt. Aber natürlich wäre es super, wenn man sich künftig nicht nur wie in einer Zoom-Konferenz am flachen Bildschirm unterhalten kann, sondern stattdessen mit einer Person dreidimensional in Echtzeit interagiert, als ob sie vor einem stehen würde. Man könnte dann quasi um die Person herumgehen. Aber man muss auch ehrlich sein und die Begriffe sauber voneinander trennen. Mit einer Teleportation hat das, was da in Kanada gemacht wurde, nichts zu tun. Hier bringt man nicht eine Person physisch an einen anderen Ort, sondern nur ein 3D-Bild. Auch eine tolle Leistung, aber Teleportieren wäre technologisch gesehen ein gigantischer Unterschied.

Star-Trek-Fans würden vom Beamen sprechen.
Richtig. Physiker sprechen dagegen eher von Quantenteleportation. Da geht es im Wesentlichen um die Erzeugung miteinander verschränkter Photonen. Diese Lichtteilchen sind so gekoppelt, dass der Zustandswechsel des einen automatisch den des räumlich getrennten Partners verursacht. Unabhängig von der Entfernung. Mit dieser Technologie kann man superschnelle Quantencomputer bauen und absolut abhörsicher kommunizieren. In heutigen Zeiten wahrscheinlich wichtiger denn je.

Aber Beamen bedeutet doch viel mehr? Materie müsste sich dematerialisieren.
Stimmt. Rein physikalisch gesehen denkbar. Nach Einsteins Relativitätstheorie entspricht jeder Masse eine Energie. Gemäß seiner berühmten Formel E = mc2 müsste man also die Masse eines Menschen mit der Lichtgeschwindigkeit multiplizieren. Und das zum Quadrat. Da fangen spätestens die Probleme an. Rechnerisch würde bei diesem Auflösungsprozess eine Energiemenge frei, die reicht, eine Industrienation wie Deutschland ein Jahr lang mit Energie zu versorgen. Diese gigantische Menge müsste man dann irgendwie kontrollieren. Technisch gesehen schwer vorstellbar aus heutiger Sicht. Mal abgesehen davon, dass vor dem Zusammensetzen die Orte all der menschlichen Atome genau bestimmt werden müssten. Alles in allem sehr große Hürden. Aber der Neandertaler konnte sich auch noch keine Concorde vorstellen. Meine Prognose ist: In den nächsten 100 Jahren wird das ­Beamen nicht machbar sein.

  • 1993
    gelang es dem Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger, ein Photon zu teleportieren. 2004 gelang ihm die Übertragung des Quantenzustands eines Atoms rund 600 Meter über die Donau und 2007 eine Quantenteleportation von La Palma nach Teneriffa, also über rund 140 Kilometer. 2022 wurde er für seine Experimente zur Quantenteleportation mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
  • 400
    verstorbene Berühmtheiten dürfte die amerikanische Firma Worldwide XR als Hologramm auf die Bühne projizieren. Sie hat sich die entsprechenden Rechte gesichert. In Japan füllt die durch Holografie zum Leben erweckte Sängerin Hatsune Miku – ein von Menschen geschaffener Avatar – bereits ganze Hallen.
  • 1948
    wurde die grundsätzliche Methode der Holografie durch den ungarischen Physiker Dennis Gabor erfunden. Für seine Arbeit „Die verzerrte Front elektromagnetischer Wellen“ erhielt er 1971 den Physik-Nobelpreis. Dreidimensionale Fotos waren jedoch noch nicht möglich. Erst 1962 im Zuge der Erfindung des Laserlichts gelang die erste holografische Aufnahme. Das Objekt war eine Modelleisenbahn.
  • 10-15
    Sekunden oder wenige Billiardstelsekunden dauert es, bis ein von japanischen Forschenden entwickelter Laser ein frei schwebendes Hologramm erzeugt. Der Laser schießt Impulse ab, wodurch die Luftmoleküle ionisieren. Dabei geben sie Energie in Form von Lichtpunkten ab und verdichten sich zu einem Gemisch aus positiven und negativen Partikeln – auch Plasma genannt.

Beamen wir uns zurück in die Realität. Bei der in Kanada durchgeführten sogenannten Zwei-Wege-Teleportation wird mit einer speziellen Kamera aus verschiedenen Perspektiven gefilmt. Der Nutzer am anderen Ende der „Leitung“ muss eine Mixed-Reality-Brille tragen, die für den dreidimensionalen Eindruck sorgt. Warum noch diese HoloLens-Brille?
Weil sonst die Informationen der Person nicht übertragen werden können. Man muss verstehen: Um ein holografisches Bild zu erzeugen, brauchen Sie spezielles Laserlicht. Da müssen derart viele Informationen gesendet werden, dass eine Übertragung in Echtzeit ohne Brille derzeit noch nicht möglich wäre. Man kann sie sicherlich noch smarter designen oder in die normale Brille integrieren.

Was braucht es, um komplett auf Brillen verzichten zu können?
Eine noch schnellere Datenübertragung und eine Technologie, die es einem erlaubt, Hologramme einfach so im Raum zu produzieren. Man bräuchte eine Technologie, die das Laserlicht im Raum sichtbar macht. Bei einem Hologramm wäre das wiederum etwas Dreidimensionales.

Hallo, Holo!
Prof. Dr. Metin Tolan
© Swen Pförtner/Universität Göttingen

„Wie schön wäre es, wenn sich der Personal Coach dreidimensional zu seinem Schützling dazuschalten und mit ihm realistisch trainieren könnte!“

Aber auch mit diesen Brillen ist ein in Echtzeit „verschicktes“ Hologramm, das man sich wie einen digitalen Zwilling vorstellen kann, ein technologischer Fortschritt, oder?
Auf jeden Fall. Ich möchte das Experiment keinesfalls kleinreden. Stellen Sie sich vor: Ein Arzt hat ein dreidimensionales Bild von Ihnen vor sich. Dann kann er Sie zumindest äußerlich untersuchen, und zwar überall und viel besser als in 2D auf dem Bildschirm. Er kann Verfärbungen auf der Haut sehen, er kann sehen, ob sie an ungewöhnlichen Stellen transpirieren. Ein riesiger Schritt nach vorne, um beispielsweise eine medizinische Versorgung in abgelegenen Gebieten zu ermöglichen. Das kann enorme Kosteneinsparungen für das Gesundheitssystem bedeuten.

Hallo, Holo!
Kommt ein Hologramm zum Arzt: Was wie der Anfang eines Witzes klingt, könnte in naher Zukunft Realität werden. Mehrere Ärzte könnten dezentral ihre Expertise einbringen© Colin Anderson Productions/Getty

Dann wäre es natürlich optimal, wenn das ­Element Haptik dazukäme.
Klar, da sind bei Hologrammen die Hürden hoch. Aber auch nicht zu hoch. Angenommen der Arzt drückt auf Ihre Kniescheibe, dann müssten Sie einen Anzug tragen, der einen entsprechenden Impuls auslöst. Nur mithilfe von Licht können Sie leider nicht drücken. Was diese Brillen betrifft, könnten vielleicht Biosensoren integriert werden, die zusätzlich die Herzfrequenz und die Sauerstoffsättigung im Blut überwachen.

Also sind solche Hologramme mehr als ein soziales „Nice to have“?
Ja, natürlich. Aber selbst, wenn die Brillen nur einen sozialen Mehrwert liefern würden, würde ich sagen: Wow! Es wäre doch toll, wenn jeder diese Brillen als ganz normalen Gegenstand zu Hause hat wie zum Beispiel einen Computer oder ein Handy. Stellen Sie sich vor, der Onkel aus den USA steht zu Ihrem Geburtstag virtuell vor ihnen. Oder der Astro­naut im Weltall schaut abends bei seiner Familie vorbei. Oder das Konzert Ihres Lieblingsstars wird als Hologramm live ins Wohnzimmer übertragen. Es gibt unendlich viele denkbare Szenarien. Wie schön wäre es auch, wenn sich der Personal Coach dreidimensional zu seinem Schützling dazuschalten und mit ihm realistisch trainieren könnte? Vor allem in Pandemiezeiten sinnvoll.

Sehen Sie denn noch weitere konkrete Anwendungen in der Wirtschaft und in der Industrie?
Ja, wenn diese Technologie in der Lage ist, einen ganzen Raum zu übertragen, kann man natürlich vielerlei konkrete Hilfestellungen leisten. Nach dem Motto: Hier musst du die Schraube anziehen, hier musst du das Kabel anschließen. Da kann ich mir sehr viele Anwendungen vorstellen. Zum Beispiel könnten auch die Säulen einer Tabellenkalkulation aus einem Meetingraum ragen. Oder aber mir wird in einer Werkhalle von einer Maschine aktiv ein Problem angezeigt, ich hole dann einen Techniker dazu – egal, wo sich dieser gerade befindet. Häuslebauer könnten ihr neues Heim digital in Lebensgröße vorab begehen. Oder ich kreiere virtuelle Büroetagen und Vorlesungsräume. In 50 Jahren vielleicht für uns alle der ganz normale Alltag.

Vielen Dank für das Gespräch.

Der Experte

Metin Tolan, 1965 in Norddeutschland als Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters geboren, war 20 Jahre Professor für Experimentelle Physik an der Technischen Universität Dortmund und ist seit 2021 Präsident der Universität Göttingen. Neben der Forschungsarbeit hält er als Wissenschaftskabarettist Vorträge zu Themen wie „Die Physik bei Star Trek“. Dabei untersucht er Erfindungen und Filmeffekte auf physikalische Machbarkeit, zum Beispiel auch Teleportationen.