„Gütertransporte werden autonomer, kleinteiliger und spontaner“
Was sind für Sie aktuell die größten Herausforderungen beim Thema Wirtschaftsverkehr?
Die Herausforderungen sind groß und vielfältig. Ich denke da insbesondere an die Arbeitsbedingungen des Fahrpersonals und die schweren Unfälle mit Lkw-Beteiligung. Aber das Hauptproblem ist der CO₂-Ausstoß. Man kann davon ausgehen, dass unter Berücksichtigung von Transitverkehren beispielsweise in Deutschland etwa 40 Prozent der verkehrsbezogenen CO₂-Emissionen durch den Straßengüterverkehr ausgestoßen werden. Das große Problem: Aktuell weiß niemand so genau, welcher Weg bei dessen Reduzierung eingeschlagen werden soll. Zum Beispiel ist beim Lkw aktuell nicht absehbar, wie der Technologiewettbewerb zwischen Wasserstoff-Brennstoffzelle, Batterieelektrik oder gegebenenfalls auch Oberleitung ausgeht. Auch ist unklar, welche Rolle langfristig Biokraftstoffe, synthetisches Methan oder sogenannte E-Fuels aus erneuerbarem Strom bei Lkw spielen werden. Solche Unsicherheiten hemmen sowohl Fahrzeug- und Komponentenhersteller als auch die Anbieter und Nutzer von Güterverkehrsangeboten bei Investitionen. Deutliche Impulse aus der Industrie, die heute schon mittelgroße batterieelektrische Lkw für die regionale Distribution anbietet und in den kommenden Jahren 40-Tonner für Fernstrecken mit Batterieantrieb plant, können dabei zu faktenschaffenden Wegweisern im Diskurs werden.
„Autonome, kleinere Lkw könnten an Industriegebieten oder Autobahnraststätten auf Verdacht warten und bei Bedarf einfach aktiviert werden, da ja kein Fahrer weiterbezahlt werden muss."
Sehen Sie unabhängig von der Antriebsenergie Potenziale beim Lkw, nachhaltiger zu werden?
Der Testbetrieb von bis zu 25 Meter langen Lkw – sogenannte Lang-Lkw – in Deutschland hat laut Bundesverkehrsministerium einen Effizienzgewinn von 15 bis 25 Prozent ergeben. Noch mehr ließe sich durch eine konsequente aerodynamische Optimierung zur Senkung des Luftwiderstandes erreichen, beispielsweise mit einem ICE-ähnlichen Führerhaus, aerodynamisch optimierten Fahrzeugverkleidungen und einem abfallenden Heck, das weniger Verwirbelungen erzeugt.
Wie kann die Bahn dem Lkw Marktanteile abnehmen?
Was die Servicecharakteristiken angeht, ist der Lkw aktuell einfach die Benchmark, denn er ist einfach und flexibel disponierbar und transportiert zwischen einer und 30 Paletten – das ist das, was sich die meisten Kunden wünschen. Es wird schwierig, den Kunden umzuerziehen und dazu zu bringen, etwas zu nutzen, was weniger dem eigenen Bedarf entspricht. Daher muss die Bahn in den genannten Bereichen attraktiver werden, um Marktanteile zu erobern – und vor allem auch eigene Stärken besser ausspielen. Zum Beispiel die Geschwindigkeit. Ein Lkw ist meist an einen Fahrer und damit an Ruhezeiten gebunden. Ein Zug kann Tag und Nacht durch Europa fahren. Auch mit 80 km/h und mehr! Leider klemmt es auf der Schiene an wenigen, aber entscheidenden Verkehrsknotenpunkten in Ballungsräumen – dort müssen Güterzüge den Personenzügen Vorrang gewähren. Geplante Fahrzeiten werden länger, Güterzugverspätungen kumulieren.
Warum heißt es immer Bahn ODER Lkw? Wäre nicht gerade der kombinierte Verkehr aus Schiene und Straße eine gute Lösung?
Durchaus. Aber das erfordert auch eine schnelle Umladung des Transportguts beziehungsweise von Ladeeinheiten von einem Verkehrsmittel auf das andere. Es gibt lange Warte- und Sammelzeiten, bis ein Zug abfahren kann, weil sequenziell ein Lkw nach dem anderen abgefertigt wird. Das ist viel zu zeit- und kostenaufwendig.
Stichwort Digitalisierung: Welche Möglichkeiten bietet diese für einen nachhaltigeren Warenverkehr?
Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre anschaut, wurden die Systeme nicht zuletzt durch die Digitalisierung bereits deutlich effizienter und kostengünstiger. Aber das Potenzial ist hier zum Großteil schon ausgereizt – vor allem, was den Fernverkehr angeht. Wir haben Zahlen generiert, die zeigen, dass seit rund 15 Jahren die Effizienzmöglichkeiten der heutigen Systeme – wie Leerfahrtenanteile oder Auslastungsgrade – konstant geblieben sind. Da tut sich nicht mehr viel, obwohl sich die Digitalisierung in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat und sie im Güterverkehr verstärkt zum Einsatz kommt. Die Digitalisierung leistet einen wichtigen Beitrag, wird allein aber nicht ausreichen, die CO₂-Emissionen signifikant zu verringern.
Welche Rolle werden autonome Fahrzeuge im zukünftigen Güterverkehr einnehmen?
Zum einen können sie dem Personalmangel entgegentreten. Und sie können auch für neue Einsatzweisen von Lkw sorgen. Heute sind Spediteure immer wieder mit großen, nicht ausgelasteten oder sogar leeren Lkw unterwegs, um Aufträge zu finden. Solche Fahrten entfallen dann. Denn autonome, kleinere Lkw könnten an Industriegebieten oder Autobahnraststätten auf Verdacht warten und bei Bedarf einfach aktiviert werden, da ja kein Fahrer weiterbezahlt werden muss. Für Unternehmen wird es dadurch auch günstiger, spontan Lkw anzufordern, weil lange Transferfahrten entfallen. Sie werden zukünftig kürzer planen und die Transporte kleinteiliger durchführen.
Wir haben bisher hauptsächlich über Güterverkehr auf größeren Distanzen gesprochen. Wie kann sich der Verkehr auch auf der letzten Meile nachhaltiger entwickeln?
Es gibt auf diesem Gebiet viele Ideen. Aus meiner Sicht sollte hier ein mehrstufiges Verteilkonzept angestrebt werden, bei dem immer das Fahrzeug eingesetzt wird, das von seinem Transportvolumen optimal für die jeweilige Stufe ist. Das Lastenrad zum Beispiel kann viele, aber nicht alle Probleme des urbanen Verkehrs lösen. Es ist eine Antwort auf den Dichtestress in den Städten und wird ohne CO₂-Ausstoß bewegt. Es kann Staus umfahren und ist agiler, wodurch die Endkundenübergabe der Ware schneller klappt, als wenn ein Transporter 50 Meter entfernt mit Warnblinker hält. Und das Lastenrad bietet die Möglichkeit für Speed- und Zeitfensterlieferungen, denn es bewegt sich in einem ungefähr ein Kilometer großen Umkreis um das Microdepot und kann dort immer wieder flexibel neue Waren aufnehmen und dann zeitnah verteilen. Das entspricht vor allem den Wünschen der digitalen Konsumenten. Bei einem Transporter wird dagegen schon morgens festgelegt, was dieser ausliefern soll. So bekommt man keine Speed-Deliveries hin. Es gibt jedoch ein Problem, das löst das Lastenrad nicht: die Personalknappheit, denn ein Lastenrad muss auch gefahren werden. In nicht ganz so dichten Bereichen könnte man an automatisierte Belieferung denken oder an alternative Fahrzeugkonzepte wie sehr große Lastenräder, die einen Kleincontainer geladen haben. Etwas ähnliches testet beispielsweise UPS bereits in München. Fluggeräte könnte man zum Beispiel für schnelle medizinische Transporte wie Medikamente oder auch zur Auslieferung von Ersatzteilen einsetzen. Hier sind kleine Zeppeline sehr vielversprechend, da diese für den Auftrieb praktisch ohne und für den Vortrieb mit nur wenigen Ressourcen auskommen. Multicopter wie Drohnen sind dagegen vergleichsweise wenig energieeffizient.
Wo platziert sich denn die Nachhaltigkeit aktuell im Lastenheft-Ranking der Logistik zwischen Kosten, Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit?
Es gibt da eine seltsame Asymmetrie. Aufseiten der großen produzierenden Unternehmen gibt es eigentlich überall CO₂-Einsparungsprogramme, CO₂-Audits oder interne Anreize, um Energie einzusparen. Diese sind inzwischen wirklich gut aufgestellt, um auf strategischer Ebene ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Und da gehört der Gütertransport auch dazu. Es gibt eine ganz klare Korrelation: Je größer das Unternehmen ist, desto mehr hat es sich auf diesen Weg gemacht. Das hat verschiedene Ursachen. Es ist eine Frage der Ressourcen, der strategischen Unternehmungsführung, aber auch der Reputation und der Vorbereitung auf zukünftige Rahmenbedingungen. Solche großen Konzerne müssen sich frühzeitig auf steigende Energiekosten oder CO₂-Besteuerungen einstellen. Und da solche Unternehmen wie riesige Tanker sind, müssen sie rechtzeitig das Ruder herumreißen. Auf der anderen Seite haben wir herausgefunden: Je kleiner ein Unternehmen ist, desto weniger strategisch geht es das Thema Nachhaltigkeit an. Kleine produzierende Unternehmen, aber auch die meisten Transportunternehmen haben keinerlei Marktmacht bei ihren Lieferanten. So kann eine Spedition mit vielleicht 20 Fahrzeugen nicht einfach zu einem Lkw-Hersteller gehen und sagen, dass sie einen ganz anderen Lkw haben möchte.
Welche Rolle sollte der Staat einnehmen, um die Nachhaltigkeit im Güterverkehr zu verbessern, also einen Rahmen vorgeben, Subventionen einsetzen oder die Infrastruktur verbessern?
Wenn man es mit Innovationen zu tun hat, ist am Anfang eine große Technologieoffenheit immer gut. Denn so kann sich die beste Technologie durchsetzen. Ist aber erkennbar, welche Technologie das Rennen machen wird, ist das Thema Technologieoffenheit nicht mehr hilfreich. Dann muss der Staat die Entwicklung der favorisierten Technologie durch das Setzen von Leitplanken unterstützen und allen Beteiligten Planungssicherheit geben. Dabei sollten bestimmte Entwicklungen parallel verlaufen. Es bringt zum Beispiel nichts, wenn Stromkonzerne Ladesäulen bauen, aber keine E-Autos produziert werden oder umgekehrt. Hier ist es dann wichtig, dass gemeinsame Strategien entwickelt werden. Da kann der Staat durch Rahmensetzungen oder Moderation helfen.
Der Experte
Gernot Liedtke leitet seit September 2014 die Abteilung Wirtschaftsverkehr am Institut für Verkehrsforschung und in Personalunion das gleichlautende Fachgebiet am Institut für Land-und Seeverkehr der Technischen Universität Berlin. Seine Forschungsinteressen sind u. a. Multi-Agenten-Simulation der Güterverkehrsnachfrage, räumliche Interaktionsmodelle und Infrastrukturbepreisung. In diesen Bereichen konnte er in einer Reihe von internationalen Zeitschriften publizieren, wie beispielsweise „Transportation“, „Transportation Research“ und „Journal of Transport Economics and Policy“. Daneben wirkte er als Projektbearbeiter bzw. Leiter an mehr als 15 Forschungsprojekten mit.