Grün ist die Hoffnung
„50 Prozent der Bevölkerung in der Sahelzone sind unter 25 Jahre alt. Wir müssen ihnen Hoffnung geben“, mahnt Inna Modja, eine junge Musikerin und Aktivistin aus Mali. In einem Dokumentarfilm über das Projekt, produziert vom Oscar-nominierten Filmemacher Fernando Meirelles („City of God“, „Der ewige Gärtner“) reist Modja Tausende Kilometer entlang des geplanten Renaturierungsbandes quer durch Afrika. Es soll zum größten lebenden Strukturprojekt der Erde werden, dreimal größer als das australische Great-Barrier-Riff. Modja trifft auf ihrem Weg Menschen, die bereits am Wachsen der „Grünen Wand“ arbeiten. Wie zum Beispiel im Senegal: Am Ausgangspunkt ihrer Reise wurden seit 2008 mehr als 18 Millionen Bäume gepflanzt, überwiegend heimische Arten, die gut mit der Trockenheit zurechtkommen.
Auch auf den nächsten Stationen begegnet Modja Menschen, die mit viel Engagement und sichtlicher Begeisterung aktiv helfen wollen, ihre Region lebenswerter zu machen. Eine Region, die durch eine Dürre biblischen Ausmaßes in den 1970er- und 1980er-Jahren schweren Schaden genommen hat und aktuell durch den Klimawandel zusätzlich stark bedroht ist. Es sind Menschen wie die jungen Mädchen aus dem Norden Nigerias, die vor ein paar Jahren von der islamistischen Terrormiliz Boko Haram verschleppt wurden und heute von ihrem Waisenhaus aus die Grüne Wand mit aufbauen.
Gewaltiger CO2-Speicher
Bis 2030 sollen durch das rund 8.000 Kilometer lange Baum- und Buschband – von Dakar im Westen bis Dschibuti im Osten – 100 Millionen Hektar derzeit unfruchtbares Land wieder aufgeforstet werden. Aber nicht nur das. Mit der Errichtung der Great Green Wall (GGW) wollen die elf teilnehmenden Staaten Senegal, Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Nigeria, Tschad, Sudan, Äthiopien, Eritrea und Dschibuti sowie weitere Unterstützerländer und Organisationen auch Tausende Arbeitsplätze und Ernährungssicherheit schaffen und Armut bekämpfen. Außerdem soll der fertige Grüngürtel 350 Millionen Tonnen CO2 speichern, fast die Hälfte des Jahresausstoßes von Deutschland.
Überhaupt: Renaturierungsprojekte wie die GGW, die Landschaften wieder fruchtbar machen, sind echte Nachhaltigkeits-Wunderwaffen und rund um den Globus im Entstehen. Sie decken nicht weniger als 15 der insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele der UN ab, allen voran das erste Ziel: Armutsbekämpfung. Mehr Wohlstand hilft Konflikte zu vermeiden und schafft Bleibe-Gründe für junge Menschen, was wiederum den anhaltenden Migrationskreislauf durchbricht. Spätestens hier wird deutlich, dass es sich bei der Great Green Wall nicht um ein regionales Umweltprojekt handelt, sondern um ein Anliegen, das die gesamte Weltgemeinschaft betrifft. Insgesamt 10 Millionen Jobs für die dortige Landbevölkerung soll der gigantische Grünstreifen dereinst erschaffen.
Ein Projekt mit Stop-and-go
Als visionär, hoffnungsvoll, ehrgeizig und inspirierend wurde das Projekt in den vergangenen fast 15 Jahren seit seiner Gründung tituliert. Ein Blick auf die 2020 von der UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) veröffentlichten Zahlen und Fakten zeigt, in welchen Regionen die größten Erfolge zu konstatieren sind. Aber auch, an welchen Stellen das Projekt hakt. Die guten Nachrichten zuerst: Allein in Äthiopien wurden laut UNCCD rund 5,5 Milliarden Setzlinge gezüchtet und gepflanzt, eine Million Hektar Land urbar gemacht, 220.000 Jobs generiert und über 60.000 Menschen in den Bereichen Nahrung, Energie und Biodiversität spezialisiert. In Eritrea, dessen gesamtes Staatsgebiet, immerhin ein Drittel der Fläche Deutschlands, zum Einzugsgebiet der GGW gehört, wurden 130 Millionen Setzlinge ausgepflanzt und über 65.000 Ackerflächen wiederbelebt. In Niger wiederum war man – neben anderen Erfolgen – besonders eifrig beim Eindämmen des Sahara-Vormarsches: über 80.000 Hektar Dünen wurden befestigt.
Mit Blick auf die 2007 formulierten Ziele ist jedoch unübersehbar, dass diese zum Teil noch in weiter Ferne liegen. Laut den Vereinten Nationen sind bislang erst 15 Prozent des GGW-Gesamtziels erreicht. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von politischer Instabilität bis zu finanziellen Nöten.
Finanzspritzen aus aller Welt
Bei letzterem Problem ist aktuell Hilfe in Sicht. Anfang 2021 bekam das GGW-Projekt anlässlich des One Planet Summit for Biodiversity eine Finanzspritze in Höhe von 16 Milliarden US-Dollar (rund 13,5 Mrd. Euro) zugesagt. Diese Summe deckt immerhin rund 30 Prozent der von der UN geschätzten 31 bis 37 Milliarden US-Dollar ab, die noch benötigt werden, um die ehrgeizigen Ziele tatsächlich bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Bereits während der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 waren vier Milliarden US-Dollar (rund 3,35 Milliarden Euro) zugesagt worden. Ansonsten finanziert sich das Projekt unter anderem durch Unterstützung der Afrikanischen Union (AU), der Vereinten Nationen, der Weltbank, der EU und nicht zuletzt einzelner Staaten, allen voran Frankreich, das zu den offiziellen Partnern der Initiative gehört.
Viel Luft nach oben hat das Projekt Experten zufolge noch im Bereich innovativer Ideen – beziehungsweise deren Umsetzung. Das weiß auch Elvis Paul Tangem, Koordinator der Great-Green-Wall-Initiative in der AU-Kommission. „Die Zukunft der Großen Grünen Wand wird von der Innovationsfähigkeit des Projekts abhängen. Wir müssen in neue Bereiche vordringen“, sagt er. Dazu gehört nicht nur die stärkere Einbeziehung der indigenen Bevölkerung und der Umstieg auf erneuerbare Energien, sondern auch die Beschaffung zusätzlicher finanzieller Mittel aus dem Privatsektor sowie durch nationale Investoren.
Um das zu erreichen, wurden mit 1t.org und UpLink zwei handlungsorientierte Innovationsplattformen ins Boot geholt: Ihre im März 2021 ins Leben gerufene „Trillion Trees“-Kampagne für die Sahelzone will die Aktivitäten rund um den „grünen Mauerbau“ vorantreiben. Die Idee: Zwölf zuvor ausgewählte Start-ups bekommen in den kommenden Monaten die Chance, ihre Ideen zur Lösung verschiedener GGW-Probleme vorzustellen (siehe unten). Dabei geht es um Vorschläge für die Wiederherstellung der Landschaft ebenso wie um die Sicherung von Lebensgrundlagen, die Förderung der Ernährungssicherheit, die Bekämpfung der Wüstenbildung und die Schaffung wirtschaftlicher Chancen. Ein intensiver Austausch der zwölf Teilnehmer untereinander ist geplant, um voneinander zu lernen und gegebenenfalls zu kooperieren. Innovative Hilfe zur Selbsthilfe in nachhaltiger Form. Das entspricht auch einem Mantra von Inna Modja, das ihr auf der Reise entlang der zukünftigen Great Green Wall immer wieder in den Sinn kam: „Wir müssen den Mut haben, die Zukunft zu erfinden.“
12 innovative Wachstumsbeschleuniger
Die Great Green Wall gedeiht – aber nicht überall gleich gut. Die „Trillion Trees“-Kampagne will mit diesen Projekten die Entwicklung vorantreiben.
- Forested Foods will Wälder in Äthiopien nachhaltig und dennoch lukrativ nutzen. Gearbeitet wird entlang der gesamten Lieferkette, vom Anbau bis zur Verpackung.
- GasLowCost setzt bei der Energiegewinnung auf Biogas statt Holzkohle. Gewonnen wird es aus Schlachthofabfällen, Hausmüll und Kompost.
- Green Aid – One Billion Trees for Africa züchtet heimische Bäume in der gesamten Sahelregion. Dabei werden traditionelle Technologien für integrierte Agroforstpraktiken verwendet, eine Wertschöpfungskette für Nicht-Holz-Produkte entwickelt und Arbeitsplätze geschaffen.
- Green AgroFarms von Tele Bere fördert Agroforst- und Agrarökologie-Initiativen. Sie sollen als Katalysator für die Wiederherstellung der Landschaft sowie für Einkommens- und Ernährungssicherheit für Landfrauen und Jugendliche dienen.
- Groupe de Réflexion et Développement Durable arbeitet eng mit der Bevölkerung Malis zusammen, um nachhaltige Praktiken zur Waldbewirtschaftung wiederzubeleben und neue Wertschöpfungsketten zu entwickeln.
- Labousitari widmet sich in Niger dem Schutz lokaler Baumarten im Kampf gegen die Wüstenbildung und zum Aufbau von Tierfutter-Wertschöpfungsketten.
- Landscape Restoration for Ecosystem Recovery hat die nachhaltige Bewirtschaftung von Feuchtgebieten und Weideland in Verbindung mit nachhaltiger Agroforstwirtschaft in Niger in den Fokus genommen. Zudem stärkt und unterstützt die Initiative Afrikas am stärksten gefährdete indigene Völker.
- ProNat, ein von Frauen geführtes Sozialunternehmen in Niger, versorgt lokale und regionale Märkte mit einer gesunden und ausgewogenen Ernährung auf Basis von Bienenprodukten und natürlichen Ölen.
- Sahara Sahel Foods verarbeitet und vermarktet Lebensmittel aus heimischen Wildpflanzen. Damit werden Arbeitsplätze für Kleinbauern geschaffen, Lebensmittel entstigmatisiert und wieder in die Ernährung integriert.
- SeriousShea setzt sich für eine neuartige Wertschöpfungskette von Sheabutter ein. Die innovativ ausgestatteten Verarbeitungszentren sollen mit erneuerbarer Energie betrieben und die Logistik im Rahmen eines nachhaltigen Forstwirtschaftsmodells optimiert werden.
- SoilWatch wendet Remote-Technologien und KI-Prozesse an, um zuverlässige und kostengünstige Bodenkohlenstoffmessungen bereitzustellen und verifizierte CO2-Kompensationsprojekte für regenerative Land-und Weidewirtschaft zu entwickeln.
- Typha Alimentation Animale produziert nachhaltiges Tierfutter unter anderem aus der sich invasiv ausbreitenden Pflanze Typha.