Energiespeicher der Zukunft
Die globale Energiewende ist die große Herausforderung der Menschheit in den kommenden Jahren. Ohne sie kann der Klimawandel nicht gestoppt werden. Aktuell verursacht der Energiesektor durch die Verfeuerung fossiler Brennstoffe ungefähr zwei Drittel aller klimaschädlichen Treibhausgase. Um diese Zahl deutlich zu senken, soll in Zukunft der Großteil der Energie aus regenerativen statt fossilen Quellen stammen. Diese Neuausrichtung erfordert jedoch ein flexibleres Energiemanagement, denn die Erzeugung durch Windkraft- oder Photovoltaikanlagen ist fluktuierend, da tageszeit- und witterungsabhängig. Eine konstante und gleichmäßige Stromabgabe ins Netz ist somit schwer regulierbar. Gelöst werden soll dieses Dilemma durch Energiespeicher, die bei Überschuss Strom speichern und diesen bei Mangel wieder in das Netz einspeisen. So können Energieerzeugung und -verbrauch zeitlich entkoppelt und eine System- und Versorgungssicherheit ermöglicht werden.
Bei der Energiewende wird immer wieder deutlich, dass es DIE eine Technologie, die alle Probleme löst, nicht gibt
Dr. Bernhard Ernst, stellvertretender Abteilungsleiter Energiespeicher beim Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik
Grundsätzlich gibt es bei der Speichertechnologie zwei Anwendungen: Kurzzeitspeicher können mehrmals am Tag Energie auf- und abgeben, Langzeitspeicher sollen dagegen Energie über Tage oder Wochen abrufbar bereitstellen. Technisch basieren diese Speicher auf höchst unterschiedlichen Bauweisen. „Bei der Energiewende wird immer wieder deutlich, dass es DIE eine Technologie, die alle Probleme löst, nicht gibt, sondern ein Mix aus vielen verschiedenen Systemen sinnvoll zusammenarbeiten muss“, ist sich Dr. Bernhard Ernst, stellvertretender Abteilungsleiter Energiespeicher beim Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE, sicher. Batteriespeicher wie Lithium-Ionen-Akkus begegnen einem schon heute überall im täglichen Leben. Auch ist es möglich, Strom in sogenannten Power-to-x-Anlagen in andere Energieträger umzuwandeln und längerfristig zu speichern, zum Beispiel in Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe. Eine wichtige Rolle spielen aber auch mechanische Energiespeicher, bei denen es immer wieder neue Vorstöße gibt.
Bewährtes und Innovatives
Die wohl älteste, ausgereifteste, kapazitätsstärkste und dazu noch extrem effiziente Möglichkeit, mechanisch Energie zu speichern, sind Pumpspeicherkraftwerke. Bereits ab 1863 gab es in der Schweiz ein solches Kraftwerk, das von einer Weberei genutzt wurde. In Deutschland und den USA entstanden die ersten größeren Pumpwasserkraftwerke in den 1920er- und 1930er-Jahren. Die Kraftwerke bestehen aus zwei sich auf unterschiedlichen Höhen befindlichen Wasserreservoirs, die durch Röhren verbunden sind. Bei Stromüberschuss wird vom unteren Bereich Wasser in den oberen gepumpt, wenn zusätzlicher Strom benötigt wird, wird die Lageenergie des Wassers im oberen Reservoir genutzt. Es wird abgelassen und treibt Stromgeneratoren an – und dies mit einem Wirkungsgrad von bis zu 80 Prozent. Je größer der Höhenunterschied zwischen den beiden Reservoirs ist, desto mehr Energie kann gespeichert werden. Daher sind hügelige oder gebirgige Landschaften ideale Standorte.
„Pumpspeicherkraftwerke sind eine seit Jahrzehnten etablierte Technik, die viele Vorteile bietet und ohne die die Stromversorgung vor viel größeren Herausforderungen stände“, sagt Ernst. 99 Prozent der weltweiten Kapazitäten zur Stromspeicherung werden nach Angaben der Deutschen Energie-Agentur (dena) über Pumpspeicherwerke abgedeckt. Das größte Pumpspeicherkraftwerk ist die Bath County Pumped Storage Station in den USA mit einer Kapazität von 24.000 MWh, womit man eine Millionenstadt immerhin einen Tag mit Strom versorgen könnte.
Aber Energie für ganze Landstriche und einen längeren Zeitraum einzig auf diese Art zu bevorraten ist schon aus Platz- und aus geologischen Gründen kaum vorstellbar. Eine mögliche Alternative: die Nutzung ehemaliger Bergwerksstollen oder Tagebau-Restlöcher als Wasserreservoirs. Aber auch hier sind die Möglichkeiten gleichermaßen begrenzt.
Das Projekt StEnSea (Stored Energy in the Sea) des Fraunhofer-Instituts bringt eine weitere Option ins Spiel: sogenannte Hohlkugelkraftwerke für den Offshore-Einsatz. Dafür müssen hohle Betonkugeln mit 35 Metern Durchmesser im Meer versenkt werden. In diesen Hohlkugeln herrscht ein Unterdruck. Strömt durch den Druckunterschied Wasser in die Kugel, treibt es eine Turbine an, die Strom produziert. Bei Energieüberschuss wird das Wasser aus der Kugel zurückgepumpt und so wieder ein Unterdruck hergestellt. Je tiefer die Kugeln auf dem Meeresgrund abgelegt werden, desto höher die Druckunterschiede und damit auch die Energieausbeute. Allerdings müssten dann auch die Kugelwände immer dicker werden. Als optimale Tiefe haben StEnSea-Techniker daher Lagen zwischen 700 und 800 Meter unter dem Meeresspiegel ausgemacht. Dort herrscht ein Druck von mindestens 70 bar. Bei diesen Bedingungen soll das Speicherpotenzial der Hohlkugelkraftwerke bei rund dem 1.000-fachen der heute weltweit genutzten Pumpspeicherleistung liegen – und das zu vergleichsweise günstigen Kosten: „Mit heutiger standardisierter und verfügbarer Technik sehen wir bei der Speicherkapazität von 20 MWh pro Kugel eine weltweite elektrische Gesamtspeicherkapazität von 893.000 MWh. In zukünftigen Parks mit einer großen Anzahl solcher Anlagen ergeben sich vergleichsweise niedrige Zykluskosten von voraussichtlich 2,0 Eurocent pro kWh. Damit ließen sich kostengünstig wichtige Ausgleichsbeiträge für die schwankende Erzeugung aus Wind und Sonne leisten“, stellt Fraunhofer-Bereichsleiter Jochen Bard fest. Eine erste Testphase mit einem 1:10-Modell wurde im Bodensee bereits erfolgreich abgeschlossen. Auch Energiespeicher-Experte Dr. Bernhard Ernst hält das Konzept seiner Fraunhofer-Kollegen für eine vielversprechende Alternative. „StEnSea ist mit dem klassischen Pumpspeicher in Anwendung und Kosten vergleichbar“, erklärt er. „Die Aktivierungszeit ist mit unter einer Minute sogar schneller. Zudem sind Genehmigungen leichter und schneller zu bekommen, da die Umweltauswirkungen viel geringer sind als bei herkömmlichen Pumpspeichern.“
Inspiriert von den Pumpspeicherkraftwerken wurden die Ingenieure des Schweizer Start-ups EnergyVault. Sie suchten jedoch nach einer Lösung, die nicht auf Wasser angewiesen ist, sondern überall eingesetzt werden kann. Die Idee: Statt Wasser setzten sie auf mobile, bis zu 35 Tonnen schwere Blöcke, die von Kränen zu Türmen gestapelt werden. Je höher diese Blöcke zu liegen kommen, umso mehr Energie speichern sie. Bei Stromknappheit werden die Blöcke dann wieder heruntergelassen, wobei die bewegte Masse genutzt wird, um mit Generatoren Strom zu erzeugen.
„Damit sich die Energiespeicherung auf diese Weise lohnt, müssen mindestens 20 Stockwerke Höhe möglich sein“, sagt Robert Piconi, CEO und Mitbegründer von EnergyVault. Um auf diese Weise 80 MWh Energie vorzuhalten, bedarf es bis zu 16 Stunden Stapelarbeit. Fortschrittliche Computersysteme koordinieren die Lade- und Entladezyklen. Der Wirkungsgrad soll bei 90 Prozent liegen. Aktuell baut EnergyVault in China das erste kommerzielle Hubspeicherkraftwerk. Die Anlage EVx soll in der zweiten Jahreshälfte 2023 in Betrieb genommen werden.
Lageenergie lässt sich auch fahrenderweise speichern und abrufen. Zum Beispiel indem man schwer beladene Züge eine Steigung hinauf- (Energie speichern) und wieder herunterfahren lässt (Energieabgabe durch Rekuperation, siehe unten stehendes Video). Eine ähnliche Idee verfolgt das Internationale Institut für angewandte Systemanalyse in Österreich: Hier sollen Elektro-Lkw Wasser von einem oberen Flusslauf zu einem unteren bringen. Da die Brummis gefüllt den Berg hinunterfahren und dabei Strom rekuperieren und leer wieder hinauf, produzieren sie beim Rauf und Runter sogar einen kleinen Stromüberschuss, was dem Wirkungsgrad dieses Systems zugutekommt (weitere Infos).
Gravitationskräfte sind auch das Geheimnis des Gravity Storage. Hier wird mit überschüssigem Strom eine mehrere Hundert Meter große Fels- oder Betonmasse hydraulisch hochgepumpt. Bei Strombedarf wird dieser Kolben dann abgelassen. Er drückt das Wasser durch Turbinen, die wie bei einem Wasserkraftwerk Generatoren antreiben. Das Wasser fließt zurück in ein Reservoir. Das System hat einen Wirkungsgrad von mindestens 80 Prozent – was es ökonomisch besonders attraktiv werden lässt. Die Speicherkapazität ist immens und würde mehrere Gigawattstunden betragen und damit die Werte von Pumpspeicherkraftwerken erreichen oder übertreffen. Das große Potenzial dieser Technologie stellt auch eine Studie des Imperial College of London heraus. Darin heißt es: „Gravity-Storage-Systeme sind die kostengünstigste Stromspeichertechnologie für Speicherkapazitäten von mehr als einer Gigawattstunde.“ Doch bevor ein solches System einsatzbereit ist, muss eine lange To-do-Liste abgearbeitet werden. Denn genauso immens wie die Kapazität sind auch die technischen Herausforderungen – wie die Drücke, die auf Turbinen, Leitungen und Dichtungen einwirken.
Eine weitere Möglichkeit, Energie mechanisch zu speichern, sind rotationskinetische Speicher (RKS). Ihre Vorteile: kurze Reaktionszeiten, große Standortunabhängigkeit und eine hohe Umweltverträglichkeit über den kompletten Lebenszyklus. Beim RKS wird durch einen Elektromotor mit Überschussstrom ein Schwungrad beschleunigt, das reibungsarm in einer Vakuumkammer rotiert. Wird Strom gebraucht, treibt die eingebrachte Rotationsenergie einen Generator an. Der Wirkungsgrad soll bei 85 bis 90 Prozent liegen. Ende 2021 präsentierte die TU Dresden mit dem Projekt DEMIKS den bisher größten Schwungmassenspeicher. Mit einer Kapazität von 500 Kilowattstunden übertrifft der 42 Tonnen schwere Prototyp die bisher üblichen RKS um das Fünffache. Im direkten Umfeld von Windparks montiert, sollen die schnell reagierenden RKS helfen, Schwankungen bei der Erzeugung von Windstrom auszugleichen.
Eine weitere Art, Strom zu „parken“, bieten Druckluftspeicherkraftwerke. Hier wird bei Stromüberschuss Gas komprimiert und beispielsweise in unterirdischen Kavernen gespeichert. Zum Energieabruf treibt das expandierende Gas eine Turbine an. Die Leistung eines solchen Systems lässt sich mit dem hydrostatischen Druck aus einem Wasserspeicher zusätzlich steigern. Das erste Druckluftspeicherkraftwerk wurde 1978 in Betrieb genommen. Mit sogenannten adiabatischen Anlagen konnte der Wirkungsgrad dieser Speichermethode von rund 40 auf über 70 Prozent gesteigert werden. Adiabatisch bedeutet, dass die bei der Kompression entstehende Wärme nicht entweicht, sondern gespeichert und für den Expansionsprozess bereitgestellt wird. Auf dem Weg zu einer kohlenstofffreien Elektrizität in Kalifornien im Jahr 2045 setzt zum Beispiel der kommunale Energieanbieter der Central-Coast-Region auf diese Art der Energiespeicherung. So sollen die Druckluftspeicher des Willow Rock Energy Storage Center in den nächsten 25 Jahren 1.600 MWh Energie bereitstellen. Das Ziel: eine jährliche Einsparung von bis zu 28 Millionen Tonnen Kohlendioxid – das entspricht dem Schadstoffausstoß von mehr als 120.000 Pkw.
Rahmenbedingungen müssen stimmen
Ob sich alle diese neuen Technologien in der Praxis bewähren und zusätzliche Möglichkeiten für das Energiespeichern bieten, wird sich zeigen. Zahlreiche Faktoren wie die technische Umsetzbarkeit, Sicherheitsaspekte, Umweltauflagen oder Fördergelder und Subventionen spielen dabei eine Rolle. Experte Ernst sieht unter den mechanischen Speichern vor allem in zwei Technologien das größte Potenzial: „In Pumpspeichern und Druckluftspeichern, weil hier die größten Speicherkapazitäten realisierbar sind. In einem großen Verbundnetz, wie es in Europa betrieben wird, sind sehr schnelle Speicher wie zum Beispiel Schwungradspeicher eigentlich nicht nötig, da im Sekundenbereich genügend Momentanreserve für ausreichende Netzstabilität sorgt.“
Damit aus den Projekten nachhaltige Geschäftsmodelle werden, müssen zudem die Rahmenbedingungen stimmen. Ernst: „Nur so sind nachhaltige Geschäftsmodelle darzustellen. Das reicht von schnellen und rechtssicheren Genehmigungen für Großprojekte über regulatorische Bedingungen (zum Beispiel Netzentgelte) bis zu langfristigen Verträgen (zum Beispiel Kapazitätsmärkte). Weiterhin muss auch die Forschung und Entwicklung neuer Technologien wie StEnSea unterstützt werden, da das genehmigungsfähige Potenzial an Pumpspeichern endlich ist.“
Für den Experten Ernst ist noch eine andere Entwicklung für die Energiewende unabdingbar: der Ausbau des Stromnetzes, das dann digital und zentral reguliert wird. „Eine starke Vernetzung der Stromversorgung verringert beispielsweise in Europa den Bedarf an Speichern, weil es sowohl im kurzfristigen Bereich als auch für saisonale Schwankungen in einem großen Gebiet zu Ausgleichseffekten kommt, die Speicher zum Teil überflüssig machen. Hinzu kommt, dass große Speicher in Norwegen oder in den Alpen besser an Erzeugung und Verbrauch angebunden werden können, wenn ausreichende Transportkapazitäten im Netz vorhanden sind. Zurzeit ist der Netzausbau deutlich günstiger zu haben, als Speicher es sind, um den gleichen Effekt zu erzielen. Daher ist eher die Frage, wie viel und bis zu welchen Entfernungen der Netzausbau genehmigungsfähig ist und umgesetzt werden kann. Daraus ergibt sich dann der Speicherbedarf.“