Energie – Motor des Fortschritts
© Manuela Mrohs
April 2017

Energie – Motor des Fortschritts

Die Entwicklung der Menschheit ist untrennbar mit der Menge an Energie verbunden, die wir erzeugen und verbrauchen können. Eine kurze Geschichte des menschlichen Energieverbrauchs in fünf Kapiteln.
Energie – Motor des Fortschritts© Manuela Mrohs
1. Schritte zur Zivilisation

Die Nutzbarmachung des Feuers und die erste Energiekrise: Holz wird knapp

Vor rund 1,5 Millionen Jahren erkennt der Homo erectus, wie nützlich das Feuer sein kann. Aber erst vor 32.000 Jahren erfindet der Homo sapiens das „Feuerzeug“, indem er durch das Aneinanderschlagen von Steinen Funken fliegen lässt. Dass er Feuer selbst entfachen kann, ermöglicht es dem Menschen, sich auch in kälteren Regionen wie Nordeuropa oder gar Sibirien auszubreiten. Die „Erfindung“ der Landwirtschaft lässt umherstreifende Jäger und Sammler vor 13.000 Jahren dann sesshaft werden, weil die Ernergiequelle „Nahrung“ nun stets in greifbarer Nähe ist. Der nächste Schritt: die Domestizierung von Nutztieren als Nahrung, aber auch als Antriebskraft. Durch das geniale Prinzip des Rads überwindet der Mensch mithilfe tierischer Zugkraft weite Distanzen und transportiert immer mehr Waren – Austausch und Handel florieren. Gleichzeitig investiert man Energie ins Zuhause. Holz- und Steinhäuser schützen vor Wind und Wetter. Das Feuer tut sein Übriges, um die Kälte zu vertreiben. Und es bringt das Licht, um die Nacht zu erobern. Zudem ermöglicht das Feuer einen Fortschritt der anderen Art: Die Hitze wird für das Schmelzen von Eisen eingesetzt, was dem Menschen mehr Eisenwerkzeuge und -bauteile verschafft, von der Sense über die Speiche im Pferdewagen bis hin zu Maschinen wie Wind- und Wassermühlen. All das steigert zwar die Effizienz menschlichen Tuns beziehungsweise schafft neue Energiequellen. Aber der Hauptbrennstoff Holz wird immer knapper. Auch deshalb, weil Holz ein wichtiges Baumaterial ist – für ein hochseetaugliches Schiff muss man bis zu 3.000 Eichen fällen. Es deutet sich bereits an, dass es so nicht weitergehen kann …

Die Ära des Walfangs

Fast jedes Haus und viele Straßen in den großen Städten Europas wurden vom 17. Jahrhundert an bis ins 20. Jahrhundert hinein mit Lampen beleuchtet, deren Öl von Waltran stammte. Waltran wurde durch das Auskochen von zerstückeltem Walspeck gewonnen, die riesige Nachfrage machte die Jagd auf Wale zu einem profitablen Geschäft, um 1840 waren 900 Fangschiffe auf den Weltmeeren unterwegs, die in fangstarken Jahren bis zu 10.000 Wale erlegten. Infolge der 1855 erstmals geglückten Herstellung von Petroleum, das über ähnliche Eigenschaften wie Waltran verfügt, kam der Fang in den Folgejahren fast zum Erliegen. Erst die Nutzung des Trans für die Herstellung von Margarine und Nitroglyzerin ließ die Nachfrage wieder steigen, und die Jagd auf die Meeresgiganten ging wieder los.

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2. Schwarzes Gold

Die Dampfmaschine und fossile Energien

In vorindustriellen Zeiten ist die dreckige, stinkende Kohle noch eine Notlösung. Ein Ersatz, wenn Holz und Holzkohle knapp sind. Eine Erfindung aber lässt ihren Nutzen – und ihren Verbrauch – vom 18. Jahrhundert an explodieren: die Dampfmaschine. Damit lässt sich erstmals Wärme in Bewegungsenergie umwandeln. Was nichts anderes bedeutet, als dass sich damit alles antreiben lässt, was sich bislang nur mit Wind-, Wasser- oder Muskelkraft bewegen ließ. Von der Webmaschine für die Textilherstellung bis zum Fortbewegungsmittel in Form der Dampflokomotive revolutioniert sie den Alltag der Menschen grundlegend. Kohle erweist sich dabei auch deshalb als idealer Rohstoff, weil ihre Energiedichte sehr hoch ist und sie gut transportiert werden kann. Die Kohle gehört – wie Öl und Gas, auf die ab dem 20. Jahrhundert vermehrt zurückgegriffen wird – zu den fossilen Energiequellen, die in geologischer Vorzeit entstanden sind. Im Falle der Kohle vor 250 bis 350 Millionen Jahren in einem langen Prozess aus Pflanzenresten. Die Nutzung der fossilen Energiequellen befördert die Menschen in eine neue Ära: Maschinen nehmen ihnen immer mehr mechanische Arbeit ab und sorgen für neuartige, industrielle Produktionsprozesse, die Mobilität wird durch die Eisenbahn und später Autos und Flugzeuge grundlegend erweitert.

70 Mal mehr Energie …

… als der menschliche Grundumsatz verbraucht jeder Mensch in Indus­triegesellschaften im Schnitt. Begonnen hat diese Explosion des Energieverbrauchs mit der industriellen Revolution, die durch die Erfindung der Dampfmaschine gekennzeichnet ist. Bis heute wird ein großer Teil der Energie durch fossile Brennstoffe erzeugt.

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3. Elektrisiert und vernetzt

Strom als vielseitigste Energie

Höherer Lebensstandard, höhere Produktivität, mehr Energieverbrauch pro Kopf trotz geringerer körperlicher Arbeit – schön! Die industrielle Revolution ist gerade verdaut, da schielen die Fortschrittshungrigeren schon nach der nächsten Stufe. Ist es nicht enorm umständlich, dass man überall dort, wo Energie gebraucht wird, eine Dampfmaschine mit Kohle befüllen muss? Gut, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der nächste Quantensprung ansteht: Mit der Umwandlung von Wasserdampf – und übrigens auch Wasserkraft – in Strom und dessen Transport via Kabeln werden viele Probleme gelöst: Der elektrische Strom kann in zentralen Kraftwerken produziert und dann verteilt werden. Er ist – zumindest dort, wo er verbraucht wird – emissionsfrei, und er erfüllt von der Heizung über den mechanischen Antrieb bis hin zu Beleuchtung alle Anforderungen buchstäblich auf Knopfdruck. Darüber hinaus machen neue Erfindungen den Strom bald unentbehrlich, angefangen vom Telefon über das Radio bis hin zur Waschmaschine. Der einzige Haken an der Sache: Mit der Zahl der Anwender und Anwendungen steigt der Energieverbrauch. 1950 gingen nur zehn Prozent der fossilen Brennstoffe in die Stromerzeugung, 50 Jahre später sind es bereits 40 Prozent.

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4. Mächtig gefährlich


Die Urgewalt der Kernkraftwerke

Fossile Brennstoffe und Wasserkraft allein können den Bedarf an Energie und Strom bald kaum noch decken. Außerdem kristallisiert sich heraus, dass das jahrzehntelange Verbrennen von Kohle auch in der Atmosphäre unangenehme Spuren hinterlässt. Zumindest in Bezug auf die Luftqualität verspricht eine neue Technologie Sauberkeit: die Kernspaltung, bei der Atomkerne gespalten und die freigesetzte Energie in einem Kraftwerk in Strom umgewandelt wird. 1954 wird in Russland das erste zivile Kernkraftwerk in Betrieb genommen, 35 Jahre später produzieren 438 Reaktorblöcke weltweit Strom aus Kernenergie. Nicht zuletzt die Katastrophe von Tschernobyl 1986 und der Super-GAU in Fukushima im Jahr 2011 zeigen, dass hier nicht die Zukunft der Energiegewinnung liegt. Auch das Problem des entstehenden Atommülls ist ungelöst.

Gefährliches Erbe

Bis Ende 2010 sind weltweit etwa 300.000 Tonnen hochradioaktive Abfälle angefallen. Wegen der langen Halbwertszeit müssen sie mindestens mehrere Hunderttausend Jahre sicher gelagert werden. Ein solches Endlager für hochradioaktive Abfälle gibt es weltweit allerdings noch nicht, kein Ort erfüllt bislang die hohen Anforderungen. Damit steht man vor einem ungelösten Problem, das im wahrsten Sinne immer schwerwiegender wird: Jedes Jahr kommen 12.000 Tonnen hochradioaktiver Abfall hinzu.

5. Zurück zu Wind und Sonne

Der Aufschwung der erneuerbaren Energien

Niemals haben die Menschen so viel Energie produziert und verbraucht wie heute. Wie geht es weiter? Langsam kristallisieren sich drei Dinge heraus. Erstens: Der Energieverbrauch wird weiter steigen, allein das Internet verbraucht in jedem Jahr etwa zehn Terawattstunden, das ist ein Drittel mehr als der Grundumsatz der gesamten Menschheit in einem Jahr. Zweitens: Die zentralen Energieträger der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte, die fossilen Brennstoffe und die Kernenergie, haben keine Zukunft – sie sind entweder zu schmutzig oder zu gefährlich. Drittens: Daher wird die Zukunft der Energie wohl auf die erneuerbaren Energien hinauslaufen, allen voran Wind- und Solarenergie. Beide stammen von der Sonne, der Wind entsteht durch Temperaturunterschiede in der Luft. Die Menschen wenden sich also dorthin zurück, wo sie angefangen haben. Das ist angesichts der Technologie von heute allerdings kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt.

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Zeitreise zu den Quellen der Energie
  • Vor 4,5 Milliarden Jahren
    Wissenschaftler gehen davon aus, dass die wichtigste Energiequelle der Erde 4,57 Milliarden Jahre alt ist: die Sonne. Weitere 5 Milliarden Jahre soll der Stern noch „brennen“. Im Kern der Sonne werden pro Sekunde 5 Millionen Tonnen Wasserstoff in Helium umgewandelt. Dabei entstehen Kerntemperaturen von unfassbaren 15 Millionen Grad Celsius (Raketenbrennkammer: 4.200 °C).
  • Vor 1,5 Millionen Jahren
    Blitze und Vulkanausbrüche bringen das Feuer auf die Erde. Seit wann genau sich Frühmenschen Feuer nutzbar machen, ist unter Wissenschaftlern höchst umstritten. Als ziemlich sicher gilt, dass der Homo erectus in Afrika ca. 1,5 Mio. v. Chr. Feuerstellen betreibt. Und noch bevor es dem Homo sapiens gelingt, Feuer selbst zu entfachen (ca. 32.000 v. Chr.), werden die heißen Flammen zum Härten genutzt (ca. 70.000 v. Chr.).
  • Vor 12.000 Jahren
    Archäologische Funde deuten darauf hin, dass Menschen schon in der mittleren Steinzeit (10.000–8.300 v. Chr.) Tieröl in Lampen zum Beleuchten nutzen. Chinesen sollen um Christi Geburt dafür erstmals Erdöl verwendet haben.
  • Vor 4.000 Jahren
    Die Kraft von Wasser und Wind nutzt der Mensch seit rund 4.000 Jahren als Energiequelle. Wobei Windmühlen etwas älter sein sollen als Wassermühlen. Es sind die ersten Maschinen, die sich ohne Unterstützung menschlicher oder tierischer Energie bewegen.
  • Vor ca. 2.600 Jahren
    Der Gelehrte Thales reibt Bernstein aneinander, um statische Ladung zu erzeugen. Bernstein heißt auf Griechisch „elektron“. Bis zur Nutzung der Elektrizität sollte es aber noch über 1.000 Jahre dauern. Oder nicht? Mit der „Bagdad-Batterie“ (Tongefäß mit Eisenstab und Kupferzylinder) ließ sich ca. 100 v. Chr. 0,5 Volt Spannung erreichen. Ob das Gefäß tatsächlich als Batterie genutzt wurde, ist umstritten.
  • Vor ca. 2.000 Jahren
    Der Heronsball (auch Aeolipile genannt) ist eine der ersten schriftlich überlieferten Wärmekraftmaschinen. Namensgeber ist Heron von Alexandria, die Aeolipile soll aber schon altägyptischen Priestern bekannt gewesen sein. In seiner Schrift „Pneumatika“ beschreibt Heron neben seinem Heronsball auch praktisch verwendbare Wärmekraftmaschinen in Form automatischer Tempeltüren.
  • 1713
    In England wird erstmals durch Verkokung von Kohle Koks gewonnen. Bei 1.000 °C unter Luftausschluss werden die flüchtigen Bestandteile der Kohle entfernt, sodass der feste Kohlenstoff und die verbleibende Asche verschmelzen. Der Heizwert von Koks ist mit 23–31 MJ/kg ca. viermal so hoch wie bei Rohkohle (Heizöl ca. 43 MJ/kg). Bis nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt Koks die wichtigste Energiequelle der Welt.
  • 1769
    Der Brite James Watt reicht das Patent für eine Dampfmaschine ein. Erfunden hat er sie aber nicht. Denn schon 1712 konstruiert Thomas Newcomen eine erste verwendbare Dampfmaschine. Sie hatte allerdings nur einen Wirkungsgrad von 0,5 %, die von Watt immerhin 3 %.
  • 1859
    Im niedersächsischen Wietze gelingt am 1. Juli die erste erfolgreiche Erdölbohrung der Neuzeit. Wenige Wochen später stößt Edwin L. Drake in Pennsylvania (USA) auf eine ergiebige Lagerstätte. „Dieser Sonntagnachmittag an den Ufern des Oil Creek bei Titusville lieferte den Funken, der die Erdölindustrie in die Zukunft katapultierte“, urteilt Öl-Experte William Brice.
  • 1867
    Werner von Siemens präsentiert das dynamoelektrische Prinzip. Mit den darauf basierenden Generatoren lässt sich Strom einfacher und stärker bereitstellen als bisher üblich mit Batterien. Die so ermöglichte Elektrifizierung trennt den Energieverbraucher erstmals weiträumig von der Primärquelle. Erfindungen wie Transformator, Glühbirne, E-Bahn folgen Schlag auf Schlag.
  • 1951
    Am 20. Dezember fließt erstmals mit Kernenergie erzeugter Strom durch eine Leitung. Er stammt aus dem US-Forschungsreaktor EBR-I und bringt vier Glühlampen zum Leuchten. Erstes Kernkraftwerk zur großtechnischen Erzeugung elektrischer Energie ist 1954 der Meiler Obninsk bei Moskau.
  • 2009
    In Oslo (N) geht das erste Osmosekraftwerk der Welt in Betrieb. Es nutzt den Unterschied im Salzgehalt zwischen Süßwasser und Meerwasser, um daraus Energie zu gewinnen und Strom zu erzeugen. Weltweit könnten auf diese Weise 625 TWh Energie erzeugt werden (3 % des Weltstrombedarfs). Vorreiter Norwegen möchte langfristig 10 % seines Strombedarfs per Osmose decken.
Christian Heinrich
Autor Christian Heinrich
Der freie Journalist Christian Heinrich trainiert gerade für einen Marathon. Seit der Recherche denkt er beim Laufen ab und zu daran, welchem Luxus er gerade nachgeht – ein Mensch aus der Frühsteinzeit würde wohl kaum eine solche Anstrengung auf sich nehmen, bietet sie doch keinerlei Aussicht auf neue Nahrung.