Let’s talk about future
Herr Krzywdzinski, aktuell pendelt die mediale Debatte zwischen Paradiesvorstellungen à la „Nie wieder arbeiten!“ und Horrorszenarien wie „Maschinen bestimmen über den Menschen“. Wie stellen Sie sich persönlich die künftige Arbeitswelt vor?
Die Debatte darüber wird viel zu dramatisierend geführt. Ich persönlich glaube nicht daran, dass wir künftig alle in der Hängematte liegen oder es zu einer großen Arbeitslosenwelle in den Industrieländern kommen wird. Technologischen Wandel gab und gibt es seit jeher, ebenso die Diskussionen darüber. Produktivitätszuwächse durch Maschinen bedeuten in erster Linie Fortschritt. Angefangen hat das mit der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert. Dann kam Henry Ford und seit einigen Jahrzehnten erleben wir nun die digitale Revolution. Natürlich haben wir dadurch den Effekt, dass Maschinen immer mehr von dem übernehmen können, was Menschen machen. Gleichzeitig ist die Beschäftigung weiter gestiegen, weil auch die Wirtschaft weiter gewachsen ist. Gerade in der Industrie ist der Automatisierungsgrad hoch – in den vergangenen Jahren konnten wir dennoch hierzulande einen Beschäftigungsrekord quer durch die Wertschöpfungskette verzeichnen.
Zur Person
Privatdozent Dr. Martin Krzywdzinski ist einer von sieben Direktoren des Weizenbaum-Instituts in Berlin. Und er leitet die Forschungsgruppe Globalisierung, Arbeit und Produktion am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Er hat an der Freien Universität Berlin promoviert und sich dort in Soziologie habilitiert, ist Co-Leiter des Promotionskollegs „Gute Arbeit“ am WZB sowie Mitglied im Steering Committee des internationalen Automobilforschungsnetzwerks Gerpisa und im Vorstand der Sektion Arbeits- und Industriesoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.
Eine oft zitierte Studie der Oxford University hat die Wahrscheinlichkeit der Automatisierung bei einer Reihe unterschiedlicher Berufe analysiert. Wie bewerten Sie solche Prognosen?
Mit der Interpretation solcher Studien muss man immer vorsichtig umgehen. Hier ging es in erster Linie um den Anteil von Routinetätigkeiten in den Berufen, die anhand von Jobbeschreibungen bewertet wurden. Mit dem Ergebnis: Je höher der Routineanteil, desto eher besteht angeblich die Gefahr der Substitution durch Automatisierung. Ob Unternehmen das dann auch so machen, ist eine andere Frage. Das hängt beispielsweise davon ab, wie viel ein Automatisierungsschritt kosten würde. Das ist in Prognosen wie dieser überhaupt nicht berücksichtigt. Natürlich werden einige Berufsbilder von der Bildfläche verschwinden. Aber in der Vergangenheit war es bis jetzt so, dass bei großen technischen Umbrüchen völlig neue Jobprofile entstanden sind – mit neuen Anforderungen an Kompetenzen. Dementsprechend existiert heute in vielen Branchen ein Fachkräftemangel. Zugleich stellt sich in solchen Umbruchsphasen natürlich die Frage, wer eher das Nachsehen hat. Die modernen Logistikzentren von Online-Versendern sind so ein Negativbeispiel: Hier arbeiten Lagerarbeiter oftmals in hoch standardisierten Jobs, ohne Qualifikationsanforderungen und mit einer schlechten Bezahlung. Das hält niemand lange durch.
Welche Technologien verändern die Art und Weise, wie wir in Zukunft arbeiten werden?
Da gibt es viele Beispiele. Die Technik rückt näher an die Menschen, etwa durch den Einsatz von Wearables wie Datenbrillen. Verbesserte Modelle machen die Technologie zunehmend salonfähig in Bereichen wie der Fernwartung und Logistik. Zugleich scheitern manche Pilotprojekte, weil bei den Mitarbeitern schlichtweg die Akzeptanz fehlt – sei es in Hinblick auf Bedienbarkeit, Tragekomfort, Displayauflösung oder Akkulaufzeiten. In dem Thema steckt jedenfalls viel Potenzial, dabei sind noch Fragen der Datensicherheit zu klären. Ein anderes Feld ist der 3D-Druck. Hier sind die Unternehmen je nach Branche unterschiedlich optimistisch. Zwar lassen sich damit immer noch nicht größere Stückzahlen realisieren, aber bei Tätigkeiten wie dem Rapid Prototyping kann die Technik händische Routinen ersetzen und optimieren. So lassen sich Konzepte und Ideen schneller umsetzen.
Lebenslanges Lernen ist längst nicht mehr nur ein Schlagwort
Martin Krzywdzinski
Wie können Berufstätige quer durch alle Hierarchien mit dem technologischen Wandel Schritt halten?
Es reicht nicht, nur junge Toptalente anzuwerben und Kompetenz extern einzukaufen. Man muss ebenso die internen Ressourcen anzapfen und in verschiedenen Bereichen der Belegschaft Möglichkeiten und Räume bieten, sich mit datenbasierten Technologien auseinanderzusetzen und Erfahrungen zu sammeln. Wer mit künstlicher Intelligenz arbeitet, sollte beurteilen können, nach welchen Prinzipien sie funktioniert. Personalabteilungen müssen dafür verschiedene Fähigkeiten zusammenbringen. Die Lernarchitektur sollte auf eine interdisziplinäre Ausrichtung des Kompetenzprofils achten. So wird beispielsweise die Verbindung klassischen Ingenieurswissens auf dem Gebiet der Automatisierung mit den modernen Ansätzen der Softwareentwicklung immer relevanter. Es macht außerdem Sinn, über alternative Entwicklungspfade nachzudenken, die dann vielleicht aus der Instandhaltung oder dem Werkzeugbau in die Softwareentwicklung führen, um so entsprechendes Wissen einzubringen. Hier sehe ich beim Gros der deutschen Unternehmen immer noch viel Luft nach oben. Und insbesondere jüngere Arbeitnehmer müssen sich darauf einstellen, dass „lebenslanges Lernen“ längst nicht mehr nur ein Schlagwort ist.
Wie können Unternehmen die Akzeptanz zum Wandel bei der Belegschaft fördern?
Wenn sich im Zuge der Digitalisierung immer nur alles um Schnelligkeit, Effizienz und die Intensivierung von Arbeit dreht, erzeugen Sie automatisch Widerstände und die zuvor gepriesenen Effizienzgewinne sind dahin. Die digitale Transformation steht und fällt nun mal mit der Akzeptanz der gesamten Belegschaft – und nicht nur durch den digitalaffinen Nachwuchs. Wenn ich vierzig Jahre als Maschinenführer in einem Werk gearbeitet habe, stellt die Digitalisierung natürlich erst mal gefühlt eine Gefahr für mich dar. Auf der anderen Seite können neue Tools den eigenen Horizont erweitern und lästige Routinen ablösen. Man muss den Wandel mitgehen. Und am besten selbst mitprägen. Aber das ist leichter gesagt als getan.
Die digitale Transformation steht und fällt mit der Akzeptanz der gesamten Belegschaft
Martin Krzywdzinski
Vieles kann aufgrund der Digitalisierung von einem anderen Ort erledigt werden. Arbeitsplätze werden flexibilisiert. Wird die Bedeutung des Büroturms abnehmen?
Der Betrieb als soziales Bindeglied hat weiterhin Konjunktur. Es gibt im Arbeitsalltag nichts Wichtigeres als den persönlichen Austausch. Positiv ist, dass der Arbeitsplatz und seine Gestaltung eine andere Qualität bekommt mit kurzen Dienstwegen, weniger Silodenken und optimalen Kommunikationsmöglichkeiten für den funktions- sowie standortübergreifenden Austausch. Der Grund des Erfolgs des Silicon Valley liegt beispielsweise darin, dass die Menschen die Nähe zueinander suchen und miteinander sprechen. Das sehen wir in der neuen Arbeitsmethodik in der Softwareentwicklung, das erleben wir in Start-ups sowie kleinen und mittelständischen Unternehmen, aber noch nicht in allen Konzernen.
In der täglichen Arbeit übernehmen Algorithmen und Maschinen zunehmend Entscheidungsprozesse. Rücken wir in der Befehlskette immer weiter nach unten?
Vorsicht vor zu viel Technikgläubigkeit – die meisten Maschinen und Algorithmen sind noch gar nicht so intelligent, wie wir ihnen immer unterstellen. Wir delegieren überwiegend Routineaufgaben an sie. Aber so langsam spielen algorithmische Unterstützungssysteme in komplexeren Entscheidungsprozessen eine Rolle, beispielsweise bei der Personalauswahl mit Diagnostiktools. Und es wird in Zukunft weniger Kontrollvorgänge durch Menschen geben. Systeme in der Industrie wie Predictive Maintenance und Condition Monitoring erkennen automatisch Probleme und reduzieren Fehler. Doch die übergeordneten Aufgaben der Prozesssteuerung, das Kommunizieren, Abstimmen und Improvisieren kann man nicht an Maschinen delegieren. Im Flugverkehr laufen beispielsweise viele Systeme heute schon autonom, aber gerade die jüngsten Flugzeugkatastrophen zeigen, wie wichtig es ist, dass auch künftig der Pilot oder die Fluglotsen alles im Auge behalten und fähig bleiben, in Krisensituationen einzugreifen. Algorithmen und Maschinen sollten wir daher als Hilfsmittel betrachten, aber nicht glauben, dass sie uns noch komplette Entscheidungen und letztendlich auch das Denken abnehmen.
40 % aller neuen Jobs,
die zwischen 2005 und 2016 entstanden sind, fielen in Bereiche mit einer hohen Digitalisierung. Das Problem: 6 von 10 Arbeitern weltweit verfügen nicht einmal über ein Basis-Computerwissen. Auch diese Schere zeigt: Eine ständige Weiterbildung ist eine immer wichtiger werdende Eintrittskarte für den Arbeitsmarkt.
Quelle: OECD
Wird der Mensch Roboter und KI irgendwann als gleichwertige Kollegen sehen können – oder gar als Chefs akzeptieren?
Wir tendieren dazu, Maschinen und Programmen menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, sie zu vermenschlichen. Doch Roboter und Cobots setzen nur um, was man ihnen vorher beigebracht hat. Sie können weder denken noch Probleme eigenständig lösen oder Emotionen entwickeln. Daher halte ich das für Unfug.
Was halten Sie von der Idee, Roboter bzw. Computer als „elektronische Personen“ zu klassifizieren und deren Besitzer oder Betreiber dazu zu verpflichten, für sie gesondert Steuern abzuführen?
Wir sollten nicht über die zusätzliche Besteuerung von Investitionen diskutieren, denn eine Besteuerung von Robotern wäre eigentlich nichts anderes. Wenn wir über eine Reform des Steuersystems diskutieren, wäre es besser, darüber nachzudenken, wie wir bestimmte Konzerne – allen voran die großen Internetunternehmen – stärker besteuern und Steuerschlupflöcher schließen.