Die Zukunft auf der Hebebühne
Es ist ein sehr spezieller Teil des Automobilmarkts, in dem Jens Schüler mit seinen Kollegen arbeitet, aber einer, mit dem fast jeder Autofahrer einmal in Berührung kommt: Der 48-jährige Manager verantwortet im Vorstand des Automobilzulieferers Schaeffler das Geschäft mit Ersatzteilen und Reparaturanleitungen für Werkstätten, im Fachjargon Aftermarket genannt.
Wer an seinem Wagen Probleme mit Getriebe oder Kupplung hat, der wird mit gewisser Wahrscheinlichkeit Teile aus der Produktion des Konzerns aus dem bayerischen Herzogenaurach ins Fahrzeug eingebaut bekommen. Vor allem dann, wenn das Auto schon älter ist und zur Reparatur in einer freien Werkstatt auf die Hebebühne kommt. Je länger die Wagen gefahren werden, umso wahrscheinlicher wird so eine Reparatur.
Markt für Ersatzteile verändert sich
Der Markt für Ersatzteile verändert sich ebenso stark wie der für Neuwagen. Aber die Ausschläge sind deutlich andere. Laut Kraftfahrt-Bundesamt sind Pkw in Deutschland inzwischen im Durchschnitt 10,1 Jahre alt. Im EU-Schnitt sind es 12 Jahre. Seit 2010 steigt der Behörde zufolge das Durchschnittsalter „kontinuierlich an“. Mehr als eine Million Autos auf den Straßen des Landes sind sogar älter als 30 Jahre. Die Kundschaft für Jens Schüler wächst also – und die aktuelle Lage am Pkw-Markt mit stark gestiegenen Preisen und knappem Neuwagen-Angebot spielt ihm auch in die Hände.
„Wir verstehen uns als treibende Kraft bei der Herausforderung, den Ersatzteilmarkt fit für die E-Mobilität zu machen. Dabei stellen wir den Bedarf unserer Kunden nach wirtschaftlichen und zukunftsfähigen Reparaturlösungen in den Mittelpunkt“
Jens Schüler, CEO Automotive Aftermarket bei Schaeffler
„Es gibt einige Faktoren, die in der kommenden Zeit sehr für den Ersatzteilmarkt sprechen“, sagt Jens Schüler. Die Preise für Ersatzteile seien zwar auch gestiegen, allerdings nicht so stark wie die für Neu- und Gebrauchtwagen. „Unser Geschäft läuft gut in guten Zeiten, und es läuft noch besser in schlechten Zeiten“, sagt Schüler. Lediglich wenn die Autofahrer ihre Wagen stehen lassen würden, könnte das die Nachfrage nach Ersatzteilen dämpfen. Aber danach sieht es in Deutschland und anderen Märkten momentan nicht aus.
Lieferengpässe wie im Neuwagenmarkt treffen die Werkstätten mittlerweile weniger. „Ersatzteile sind da“, sagt Schüler. Bei Komponenten für Elektroautos könne es zu Wartezeiten kommen, aber noch werden diese Teile kaum nachgefragt. Die meisten E-Autos sind noch nicht alt genug, um massenweise in die Werkstatt zu müssen. Schaeffler und andere Ersatzteilhersteller bereiten sich trotzdem darauf vor.
In Elektroautos liegt eine Chance. Schüler zeigt die Schachtel mit der „Reparaturlösung“ seines Unternehmens für die elektrische Antriebsachse des VW eGolf, der 2017 auf den Markt kam und inzwischen nicht mehr gebaut wird. „Eine Austausch-E-Achse kostet mehr als 5.000 Euro, unsere Reparaturlösung wird dagegen deutlich unter 1.000 Euro liegen“, sagt der Manager. „Wir zeigen der Werkstatt, wie man das Elektroauto reparieren kann, und wollen die Reparatur demystifizieren. Dafür bieten wir Reparaturanleitungen an und vermitteln mit Trainern die technische Kompetenz.“
Schüler folgt damit geradezu mustergültig den Vorschlägen der Berater von Roland Berger, die in einer aktuellen Studie zum Aftermarket feststellen, die Chance für Teilehersteller liege darin, ihr Produktportfolio um spezifische Komponenten für Elektroautos zu erweitern. „Dies wird besonders dann erfolgreich sein, wenn es ihnen gelingt, diesen Übergang zu nutzen, um sich als vertrauenswürdiger, langfristiger Partner für Werkstätten zu positionieren“, schreiben die Berater in dem Papier, das der europäische Zuliefererverband Clepa in Auftrag gegeben hat. Auf diesem Weg könnten die Ersatzteilhersteller auch dazu beitragen, dass mehr freie Werkstätten überleben können. Denn mit Hochvolttechnik kennen sich bisher noch nicht so viele Automechaniker aus.
Verbrenner als Bestandsfahrzeug weiter ein Umsatzbringer
Noch liegt dieses Geschäft aber in der Zukunft. Selbst wenn die Autohersteller zum Ende des Jahrzehnts weitgehend zu Elektroauto-Unternehmen geworden sind, wie sie es derzeit planen, werden Zulieferer wie Schaeffler noch lange Verbrenner-Komponenten fertigen. Zumindest als Ersatzteil.
„Im Jahr 2030 werden global vielleicht nur noch 20 Prozent der Neuwagenverkäufe Autos mit Verbrennermotoren sein. Aber der Bestand sieht anders aus, da werden 74 Prozent Verbrenner, 15 Prozent Hybride und nur 11 Prozent reine Elektroautos sein. Wir entwickeln gerade ein Produktionskonzept, das uns die Möglichkeit gibt, weiter Teile für diese Autos zu liefern“, sagt Schüler. Allerdings werden diese Ersatzteile wohl zum Großteil aus Asien kommen. „In Europa entwickeln wir beispielsweise Werke für Kupplungen nicht mehr weiter, in Asien aber schon.“ Schüler sieht durchaus Chancen im absehbar schrumpfenden Verbrennergeschäft, weil sich Konkurrenten nach und nach daraus zurückziehen werden.
Gerade bei den hochwertigen Komponenten der Elektroautos mit ihren vielen wertvollen Rohstoffen ist die Wiederaufbereitung von Ersatzteilen sinnvoll.
Wachstum im Werkstattgeschäft möglich
Schaeffler, so sein Plan, soll im Ersatzteilgeschäft in den kommenden Jahren deutlich wachsen, auf mehr als drei Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. „Wir blicken dabei auch auf Zukaufmöglichkeiten im Bereich Produkt, im Marktzugang und bei Servicedienstleistungen an die Werkstatt“, sagt er. Solche Übernahmen und eigenes Wachstum sollten dabei helfen, über die Umsatzschwelle zu kommen.
Zu diesem Wachstum soll auch ein neuer Umgang mit Ersatzteilen beitragen, der eigentlich ein alter ist: Schüler will Werkstätten künftig wieder gebrauchte, aufgearbeitete Autoteile anbieten. In den USA, wo er lange gearbeitet hat, gebe es das noch heute. „Weil sich die Technik unter der Motorhaube dort nicht so schnell verändert wie in Europa, gibt es viele Teile im Fuhrpark, die man bei jüngeren Autos als Ersatzteil verwenden kann. In Europa gibt es das faktisch nicht mehr, hier haben Neuteile die aufbereiteten Teile vom Markt verdrängt“, sagt Schüler.
Er gehe aber davon aus, dass dieses Geschäft zurückkomme – aus zwei Gründen: Man kann damit CO₂-Emissionen verringern, und es könnte andererseits eine Antwort auf die derzeitigen Knappheiten sein. „Ich gehe davon aus, dass wir mehr als bisher von dem Material leben müssen, das im System ist“, sagt Schüler. Gerade bei den hochwertigen Komponenten der Elektroautos mit ihren vielen wertvollen Rohstoffen habe das seinen Sinn.
Reparaturlösung als clevere Alternative
2022 hat Schaeffler die erste Reparaturlösung für E-Achsen vorgestellt. Wo Fahrzeughersteller ihren Kunden derzeit ausschließlich teure Austauschaggregate zur Verfügung stellen, bietet der Automotive Aftermarket von Schaeffler mit dem E-Axle RepSystem-G als erster Anbieter im Ersatzteilmarkt eine Reparaturlösung für E-Achsgetriebe. Während bei einer Fahrzeuginstandsetzung mittels Austauschaggregat der Antriebsstrang komplett ersetzt wird, tauschen die Werkstätten bei der Schaeffler-Lösung nur die relevanten Komponenten respektive die Teile mit dem größten Verschleiß aus. Das spart Ressourcen, Geld und CO₂ und zahlt somit auf das Thema Nachhaltigkeit ein. Ebenfalls schafft die neue Reparaturlösung zusätzliches Geschäftspotenzial für freie Werkstätten.