Das ewige Auto
Die Fahrt des Automobils in eine stärker ökologisch ausgerichtete Zukunft begann 1976. Apokalyptisch anmutende Panoramen des unter Smog erstickenden Los Angeles führten in Kalifornien zur Einführung des geregelten Katalysators – die erste einer langen Reihe technischer Maßnahmen der Autoindustrie, um die Umweltbelastung durch Kraftfahrzeuge zu reduzieren. Viele Innovationen – Motoren wurden sauberer, die Fahrzeuge leichter, Start-Stopp-Systeme vermieden unnötige Abgase – trugen dazu bei, die Emissionslast zu reduzieren.
Doch mit dem aktuell immer stärker an Tempo gewinnenden zentralen Paradigmenwechsel – dem Übergang von Verbrennungs- zu elektrischen Motoren – rücken anstelle der Abgase andere Emissionen und Umweltbelastungen bei Kraftfahrzeugen in den Blickpunkt: der ökologische Lifetime-Fußabdruck, der nicht nur die Nutzung berücksichtigt, sondern den kompletten Lebenszyklus von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung bis zur Verschrottung respektive Wiederverwendung.
Diese umfassendere ökologische Betrachtung des Kraftfahrzeugs ist unabdingbar. Denn inzwischen geht es um mehr – nämlich ums Ganze, um die Zukunftsfähigkeit des motorisierten Individualverkehrs in einer immer stärker belasteten Welt, zu dem es global in weiten Regionen kaum Alternativen gibt.
Stromer mit unerwarteten Marathon-Talenten
Zwar gelingt es schon heute, immer mehr Autos in die Kreislaufwirtschaft einzuspeisen, aber der für die Fahrzeugherstellung benötigte Energie- und Materialaufwand steht in einem wachsenden Missverhältnis zur Nutzungsdauer des Fahrzeugs. Durchschnittlich nach 11,3 Jahren wird beispielsweise in Deutschland ein Auto außer Dienst gestellt. Damit hat sich die Nutzungsdauer in den vergangenen Jahren zwar leicht erhöht, es bleibt doch eines unübersehbar: Das technisch komplexe Produkt Auto wird viel zu früh zerstört.
Das könnte sich mit dem gerade stattfindenden Wechsel der Antriebstechnologie ändern, denn es zeichnet sich inzwischen immer konkreter ab, dass Elektrofahrzeuge ein unerwartet großes Potenzial zur Langlebigkeit aufweisen. E-Motoren und Traktionsbatterien stellen sich schon jetzt als signifikant standfester heraus als viele übrige Fahrzeugkomponenten. Und genau dort setzt das Refurbishing an, also die Erneuerung von verschleißenden Komponenten etwa in Fahrwerk oder Kraftübertragung, damit alle Teile des Fahrzeugs ein annähernd gleiches Langlebigkeitspotenzial bekommen.
„Ich gehe davon aus, dass wir mehr als bisher von dem Material leben müssen, das im System ist.“
Jens Schüler, Schaeffler-Automotive-Aftermarket-Vorstand
Tatsächlich haben erste weitblickende Pioniere das Potenzial der E-Fahrzeuge als „Ewigkeitsauto“ entdeckt. Eine Studentengruppe aus Eindhoven entwickelte den „Eterna“, und aus der Innovationsschmiede von Prof. Günther Schuh in Aachen, dem Vater des vom Einsatz bei der Post bekannten „Streetscooter“ und des Kleinwagens „eGo“, kommt ein „e.Volution“ genanntes Konzept. Beiden Projekten gemeinsam ist eine Perspektivenumkehr: Anstatt beim Versagen der schwächsten Komponenten auch die noch nutzbaren Komponenten mit außer Dienst zu stellen (sprich: zu recyceln), definiert das langlebigste Teil die maximale Nutzungsdauer, und die verschleißenden Komponenten werden turnusmäßig erneuert. Vermutlich kommen dann auf ein E-Aggregat mit dem Leistungspotenzial von einer Million Kilometer mehrere Satz Stoßdämpfer, Radlager und so weiter, was aber trotzdem eine bessere Gesamtökobilanz aufweist.
Automobilvordenker Schuh rechnet vor, dass die Fahrzeuge aus der e.Volution-Familie eine Nutzungsphase von 50 Jahren und eine Laufleistung von einer Million Kilometer erreichen könnten, bevor sie komplett recycelt werden – also rund viermal länger als der aktuelle PKW-Durchschnitt. Rechnet man bei der e.Volution-Idee Materialaufwand und Produktionsenergie der in den fünf Jahrzehnten verbauten Ersatzteile mit ein, die in etwa denen eines kompletten Neuwagens entsprechen, ergibt sich immer noch eine doppelt so gute ökologische Bilanz.
Auto auf Wiedervorlage
Die Langlebigkeitskonzepte von Eterna oder den e.Volution-Modellen sehen vor, dass die Fahrzeuge alle paar Jahre einen Boxenstopp einlegen, bei dem alle einem Verschleiß unterliegenden Teile in Fahrwerk, Antrieb oder auch Elektronik ausgetauscht und damit auf Laufleistung null gesetzt werden. Perfekt wäre, die ausgetauschten Komponenten wieder aufzubereiten und ebenfalls erneut einzusetzen, um die Ökobilanz weiter signifikant zu verbessern.
Dass die Software immer mehr zum Rückgrat moderner Autos wird, spielt dem Langlebigkeitskonzept ebenfalls in die Hände. Im Gegensatz zu einem Hardware-Update lassen sich Programme viel einfacher auf den neuesten Stand bringen – im Idealfall sogar over-the-air, sodass der Nutzer nicht einmal etwas davon mitbekommen muss. Und zickt die Bordelektronik, wird einfach die zentrale Steuereinheit komplett ausgetauscht und der Wiederaufbereitung zugeführt.
Zukunftsfähiges Denken
So überzeugend die Ideen aus Eindhoven und Aachen auch klingen – fraglich bleibt, inwieweit die Autokäufer hier mitziehen. Wer daran gewöhnt ist, aus purer Lust am Neuen alle zwei, drei Jahre sein Fahrzeug zu wechseln, muss da wohl umdenken. Doch mit einem sich wandelnden Bewusstsein der Verbraucher wachsen Bedarf und Nachfrage nach immer ökologischeren Fahrzeugen. Ein Ewigkeitsauto wäre also für all jene geeignet, für die ein schneller Komplettersatz des Fahrzeugs irrelevant ist. Und Ownership wandelt sich immer häufiger in Usership – statt Eigentümern setzten sich immer häufiger temporäre Nutzer hinter das Steuer. Perspektiven für das Ewigkeitsauto à la e.Volution bieten sich in den Bereichen Leasing, Vermietung und Car-Sharing, also überall dort, wo es auf die sichere Mobilitätsleistung ankommt, aber nicht auf Baujahr oder Laufleistung, die durch das regelmäßige Reset ja auch irrelevant wird.
In der folgenden Grafik sind einzelne „lebensverlängernde“ Maßnahmen für ein potenzielles Ewigkeitsauto detaillierter beschrieben.
Vom E-Auto zum Ewigkeitsauto
Der Aftermarket unterstützt lebensverlängernde Maßnahmen
Die Expansion der Nutzungsdauer durch regelmäßige Runderneuerungs-Boxenstopps ist ein wichtiger Impuls für das Ersatzteilgeschäft. Für Schaeffler-Automotive-Aftermarket-Vorstand Jens Schüler nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine ökologische Chance. Stichwort Wiederaufbereitung. Er sagt: „Gerade bei den hochwertigen Komponenten der Elektroautos mit ihren vielen wertvollen Rohstoffen ist die Wiederaufbereitung von Ersatzteilen sinnvoll.“
Schaeffler macht das mit einer E-Achse für den e-Golf bereits in der Praxis so: Statt die teure Komponente komplett zu ersetzen, werden bei der Schaeffler-Lösung nur die verschlissenen Teile erneuert – eine Ersparnis an Material, CO₂-Emissionen und nicht zuletzt auch bei den Kosten. Schüler geht davon aus, dass das Geschäft mit aufbereiteten Teilen generell zurückkomme – aus zwei Gründen: Man kann damit CO₂-Emissionen verringern, und es könnte eine Antwort auf die derzeitigen Knappheiten sein. „Ich gehe davon aus, dass wir mehr als bisher von dem Material leben müssen, das im System ist“, sagt Schüler.
Der Aftermarket hat das Potenzial, eine zentrale Rolle bei der Idee einzunehmen, die Nutzungsdauer von Fahrzeugen Richtung Ewigkeitsautos auszudehnen. Denn Fahrzeughersteller werden es im Alleingang kaum umsetzen können, die für das Langzeitauto nötigen Komponenten 50 Jahre lang verfügbar zu halten. Erst im Zusammenspiel von Hersteller, Werkstätten und Teilelieferanten wird das Ewigkeitsauto daher sein Potenzial ausspielen können.