Brett vorm Kopf
© SvetaZi/Getty
Dezember 2022

Brett vorm Kopf

Zu den Systemen, die zu einer sinnvollen und nachhaltigen Mobilität in der Zukunft beitragen müssen, gehört auch der Mensch. Kann die Verkehrspsychologie dazu beitragen, dessen Barrieren im Hirn gegen Veränderungen aufzubrechen?

Der deutsche Kaiser Wilhelm II. soll nicht überzeugt gewesen sein von der Mobilitätswende, als sich das Automobil Ende des 19. Jahrhunderts seinen Weg bahnte. Ihm wird das Zitat zugeordnet: „Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“

Barriere im Kopf? Typisch Mensch. Er ist nämlich keine Einheit, sondern bildet mit Körper und Psyche ein System. Das kann sich zum Beispiel darin ausdrücken, dass das Gehirn weiß, dass die Klimaerwärmung gestoppt werden muss, dass der Körper aber zu faul ist, die Brötchen zu Fuß zu holen und sich stattdessen in den Sessel des Verbrenner­autos fallen lässt …

Elektroautos, Carsharing, Vorfahrt für Fahrräder – um nur ein paar aktuelle Themen zu nennen – sind noch längst nicht bei jedem ins Bewusstsein gerückt, werden vielleicht auch aus Angst vor Veränderung komplett abgelehnt. Woher kommt das? Wie kann die Blockade gelöst werden? Und: Ist gleich jeder ältere Mann, der wenig verdient und auf dem Land lebt, der Prototyp des Blockierten? Weil er glaubt, für Veränderungen zu alt zu sein, die persönliche Mobilitätswende nicht bezahlen und auf dem Lande sowieso kein E-Auto nutzen zu können?

Brett vorm Kopf
Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino
© Stefanie Aumiller/ADAC

„Technik gewinnt immer dann, wenn sie den Alltag erleichtert.“

„Nein“, weiß der renommierte Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino, der bei Europas mitgliederstärkstem Mobilitätsclub ADAC den Bereich Verkehrspolitik leitet. „Jede Veränderung bringt für den Einzelnen gewisse Risiken mit sich, und die sind unterschiedlich gelagert. Das hängt aber nicht zwingend mit Wohnort, Alter oder anderen Merkmalen zusammen. Es kommt darauf an, welche Relevanz es für den Einzelnen gibt, sein Verhalten neu auszurichten, sich an einem Prozess zu beteiligen, und welche Voraussetzungen getroffen werden müssen, damit möglichst viele davon überzeugt werden können.“

Perspektiven sind wichtig

Dafür müssten Perspektiven aufgezeigt werden, die Veränderungen für jeden denkbar machen. Chiellino: „Es gibt disruptive Ereignisse wie die Pandemie, die gezeigt hat, wie schnell der Mensch in der Lage ist, sich anzupassen. Auch, wie schnell man auch einen Technologieshift hinbekommt. In Sachen Digitalisierung trat da eine neue Handlungsrelevanz bei jedem Einzelnen auf. Das Thema Klimaschutz ist dagegen etwas anders gelagert. Hierbei handelt es sich eher um einen Weg, eine Reise, die man gemeinsam unternehmen muss. Die Notwendigkeit dazu wird von den wenigsten angezweifelt – nicht das ‚ob‘ wird diskutiert, sondern das ‚wie‘.“ Und dann komme es darauf an, welche Angebote einem dafür zur Verfügung stünden: „Denn man will ja weiter mobil sein, man will Zuverlässigkeit, man schätzt die Verfügbarkeit, zudem muss es bezahlbar sein und man braucht letztlich auch eine gewisse Sicherheit.“

Brett vorm Kopf© SvetaZi/Getty

Allerdings findet Chiellino, dass schon einiges erreicht worden ist. Stichwort Elektroauto zum Beispiel: „Anfangs drehte sich die Diskussion stets um das Thema mangelnde Reichweite und hohe Brandgefahr. Jetzt hört und liest man darüber kaum mehr etwas. Und wenn man dann gleichzeitig Fragen löst wie die der Ladeinfrastruktur, dann kann man Schritt für Schritt weiter das Vertrauen jedes Einzelnen gewinnen, sodass schließlich die Transformation umgesetzt und angenommen wird.“

Schritt für Schritt – das gilt auch beim Kennenlernen neuer Technologien. Aus Erfahrung weiß man, dass viele Widerstände bröckeln, wenn man den Nutzen von Innovationen selbst erlebt hat. Was auch erklärt, warum es noch so viele Widerstände gegen das hochautomatisierte Fahren gibt. Chiellino: „Aus unseren Umfragen wissen wir, dass die wenigsten Autofahrer bereits Kontakt mit dieser Technik hatten. Sie konnten sich noch gar nicht damit auseinandersetzen, weil sie noch keinen Zugriff auf solche Fahrzeuge haben. Das Wissen darüber ist zu klein, somit ist der Nutzen tatsächlich noch nicht greifbar. Also ist es kein Wunder, dass viele Menschen noch skeptisch sind.“

Vorteile gegen Vorurteile

Das war schon vor Kaiser Wilhelm so – zum Beispiel bei der industriellen Revolution, die mit Dampfmaschinen begann. Waren die englischen Minenarbeiter anfangs skeptisch, weil ihnen die Kessel um die Ohren flogen, wurde schnell klar, wie einfach die Bergwerksarbeiten wurden, weil die Maschinen für die notwendige Entwässerung sorgten. „Veränderungen werden vom Verbraucher zuerst immer skeptisch beäugt“, sagt der Verkehrspsychologe, „denn wenn ich auf einem vertrauten Pfad wandele, fühle ich mich sicher, kenne mich dort aus und will ihn deshalb nicht so ohne Weiteres verlassen. Warum sollte ich ein zusätzliches Risiko eingehen? Der Unternehmer aber muss weiterdenken. Für ihn gilt: ‚Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.‘ Wenn er den Anschluss verpasst, hat er etwas versäumt und kann den Nachteil meist auch nicht mehr aufholen.“

Letztlich beweist die Historie allerdings, dass Technik immer gewinnt – sogar gegen alle Blockaden in diversen Hirnen. Oder? „Sie gewinnt immer dann, wenn sie benutzerfreundlich und attraktiv gestaltet ist und wenn sie es schafft, den Alltag zu erleichtern“, sagt Ulrich Chiellino und verweist auf einen Vergleich mit der Digitalisierung: „Das erste iPhone kam im Jahre 2007 auf den Markt, das ist gerade 15 Jahre her. Und trotzdem hat heute fast jeder die Vorzüge des Smartphones verinnerlicht, weil es unseren Alltag effizienter gestaltet. Technik kann begeistern, immer wieder von Neuem überzeugen und uns sogar glücklich machen.“

Fahrspaß wird neu definiert

Apropos „glücklich“: Darf man trotz aller Klimadiskussion heute überhaupt noch über „Fahrspaß“ reden? Denn auch dessen Verlust ist ein Argument einiger Mobilitätswandelskeptiker. Chiellino antwortet diplomatisch: „Es kann sein, dass ‚Fahrspaß‘ in Zukunft etwas anderes bedeutet als das, was wir heute darunter verstehen. Fahrspaß kann zum Beispiel die persönliche Auszeit im autonom fahrenden Auto sein, also das Gewinnen von Freizeit. Aber klimaverträgliche Transformationen in der Technologie können auch dafür sorgen, dass der ursprüngliche ‚Fahrspaß‘ erhalten bleibt. Oder sogar zunimmt – wenn man realisiert, wie agil Elektrofahrzeuge sein können.“

Der Tipp vom Verkehrspsychologen an alle, die versuchen, ihre Barrieren zu überwinden: „Erst mal bei der eigenen Alltags- und der Nahmobilität prüfen, welches Verkehrsmittel wofür sinnvoll ist. Es ändern sich ständig Strukturen, es ändern sich Räume. Da geht es ums Ausprobieren, darum, Erfahrungen zu sammeln, für sich neue Perspektiven zuzulassen und das Ergebnis dann in seinen Alltag zu übernehmen.“

Hat Kaiser Wilhelm übrigens auch gemacht – letztlich gehörte ihm ein ordentlich motorisierter Fuhrpark …

Roland Löwisch
Autor Roland Löwisch
30 Jahre über Autos zu schreiben hinterlässt Spuren, jedenfalls bei Roland Löwisch. Wie gut, dass er sich schon rein beruflich mit dem Mobilitätswandel beschäftigen muss – da werden die Barrieren im Kopf durch Wissen ständig kleiner. Auch wenn er sich noch nicht vorstellen kann, eines Tages Fahrfreude in einem Auto zu erleben, das den Piloten zum Passagier befördert …