Bahn im Umbruch
China kleckert nicht, es klotzt. Im Falle der Bahn ein 35.000 Kilometer langes Hochgeschwindigkeitsbahnnetz quer durchs Land. Und das ebenfalls im Highspeed-Modus. Planungsbeginn war 2004. 2008 rollten die ersten Schnellzüge. 2020 ist China Weltspitze und legt weiter nach. Bis 2035 sollen 13.000 zusätzliche Gleiskilometer verlegt werden. Zahlen und Dimensionen, bei denen einem schon beim Lesen schwindelig wird.
Natürlich kann man den Flächenstaat China und den europäischen Staatenverbund schwer miteinander vergleichen, weder politisch noch geografisch. Auch die finanziellen Möglichkeiten sind andere: Das Reich der Mitte lässt sich die Expansion seiner China State Railway Group oder kurz CR Unsummen kosten. Mit 650 Milliarden Euro steht CR in der Kreide. Griechenlands Staatsverschuldung ist nur halb so hoch. Für Transportminister Li Xiaopeng sind solche Zahlen kein Grund auf die Bremse zu treten. Im Gegenteil. „Die Verkehrsinfrastruktur treibt das Wirtschaftswachstum an und bildet die Grundlage für eine komfortablere Gesellschaft“, rechnet er dagegen.
Auch für die Industriesparte von Schaeffler ist der chinesische Bahnmarkt ein Wachstumsmotor. Im August unterzeichnete der Konzern eine Kooperationsvereinbarung mit der China Academy of Railway Sciences (CARS). Durch diese Zusammenarbeit will Schaeffler seine Bahnprodukte noch besser an den chinesischen Markt anpassen und Marktanteile ausbauen. Die Vereinbarung beinhaltet die Gründung eines Joint Ventures zwischen Schaeffler und CARS für die Entwicklung von Bahnlagern, die Wiederaufbereitung und Montage von Radsatzlagern oder auch die Entwicklung und Herstellung von Zustandsüberwachungssystemen für Fahrwerke.
Schon heute lässt das Ergebnis des Wettrüstens auf der Schiene europäische Bahnfernreisende neidisch Richtung China blicken. Die 1.200 Kilometer lange Strecke zwischen der Hauptstadt Peking und der Wirtschaftsmetropole Shanghai legt der Superzug Fuxing in knapp vier Stunden zurück. Eine wichtige Schallgrenze: Denn diverse Umfragen unter Reisenden haben ergeben, dass die Bahn besonders dann gegenüber dem Flugzeug punkten kann, wenn die Reisedauer unter vier Stunden bleibt.
Zugreisen schneller als fliegen
Mutterland der Idee Highspeedzug ist Chinas Nachbar Japan. Der Inselstaat eröffnete das Geschwindigkeitswettrüsten auf der Schiene 1964: Pünktlich zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Tokio zischte der erste Shinkansen über die Gleise nach Osaka. In den folgenden fast 60 Jahren wurde das System Schnellbahn Schritt für Schritt perfektioniert. Innovationsschübe bei Bremsen und Neigetechnik ließen die Tachonadel kontinuierlich höher klettern. Entsprechend reduzierte sich die Fahrzeit für die 500-Kilometer-Distanz von einst vier Stunden auf aktuell 2:22 Stunden. Das Ziel der Bahningenieure: zwei Stunden.
Schon heute ist das Netz des Shinkansen dem Flugverkehr auf vielen Strecken überlegen: durch schnelle Verbindungen, hohe Taktzahlen, günstige Preise und durch eine extrem hohe Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Die große japanische Bahngesellschaft JR-East gibt 50 Sekunden als durchschnittliche Verspätung an. Ohne die in Japan nicht seltenen Verspätungen durch Naturkatastrophen wie Erdbeben und Taifune läge die Zahl nahe null.
Auch Europa kann schnell
Allen voran mit Deutschland (ICE), Frankreich (TGV) und Spanien (AVE) schickt auch Europa einige Highspeed-Schwergewichte ins Rennen. Schon vor 30 Jahren knackte der ICE die 400 km/h Marke. Sein Problem: Es gibt zu wenige Strecken, auf denen er sein Tempo-Potenzial voll ausspielen kann. Das liegt auch daran, dass sich die Deutsche Bahn zu Beginn des ICE-Projekts dafür entschieden hat, ihren Passagieren eine möglichst kurze Anreise zum nächsten ICE-Bahnhof zu bescheren. Entsprechend hoch ist die Zahl der Stopps. Und selbst wenn der ICE in einer Stadt nicht hält, muss er bei der Durchfahrt das Tempo drosseln.
Der französische TGV hingegen brettert bevorzugt mit Vollgas durch die Lande. Seine Trassen wurden so gelegt, dass sie einen Bogen um Städte machen, in denen nicht gehalten wird. Das bringt Tempo, erschwert aber den Zustieg. Für beide Strategien gibt es Argumente. Die Vorteile des TGV sind an der Uhr ablesbar. Der schnelle Franzose schafft die 765 Kilometer von Paris nach Marseille nonstop in etwas mehr als drei Stunden. Der ICE braucht für die fast gleich lange Strecke von Hamburg nach München (780 Kilometer) mit einem halben Dutzend Zwischenstopps Minimum 5:35 Stunden, meist eine Stunde länger. Damit reißt er die wichtige Vier-Stunden-Marke deutlich und hat es entsprechend schwer, gegen die Verlockungen des Fliegens anzukämpfen. Anders auf der neu gebauten Hochgeschwindigkeitsstrecke Berlin–München. Für die 623 Kilometer dort braucht der ICE knapp vier Stunden. Das ist zwar 1,5 Stunden länger als der spanische AVE für die 621 Kilometer zwischen Madrid und Barcelona, hat aber noch die magische Vier vorn stehen. Das zahlt sich aus: Laut Bahn hat die neue Verbindung im ersten Betriebsjahr 2018 eine Million Reisende aus dem Pkw und 1,2 Millionen aus dem Flugzeug in den Zug geholt und ist damit zum beliebtesten Verkehrsmittel auf der Strecke geworden. Auch der zeitraubende Zwischenstopp in Nürnberg zahlt sich aus: Eurowings strich die Flugverbindung aus der Frankenmetropole nach Berlin aus dem Streckenplan – die Bahn hatte zu viele Passagiere abspenstig gemacht.
Digital koppeln
Kaum zu glauben, aber wahr: Bis heute nutzen europäische Bahngesellschaften im Güterverkehr und bei klassischen Waggonzügen unisono die 1861 eingeführten Schraubenkupplungen (oberes Bild), die von den Arbeitern manuell verbunden werden. Anschließend müssen Wagenreihungen in Listen eingetragen werden – natürlich auch manuell. Das soll sich ändern – mit einer automatisierten Digital-Kupplung (unteres Foto).
Der Bahnverband Allianz pro Schiene begrüßt den Vorstoß aus dem Bundesverkehrsministerium. „Die Digitale Automatische Kupplung kann dem klimafreundlichen Schienenverkehr in Europa den lang ersehnten Schub geben“, sagt Geschäftsführer Dirk Flege. Zieljahr des auf mehrere Jahre angesetzten europaweiten Systemwechsels: 2030. Prognostizierte Kosten: rund zehn Milliarden Euro, die sich Staaten und Bahnbetreiber teilen sollen.
Mit einem weiteren Prestigeprojekt will Deutschland den Bahnverkehr attraktiver machen: mit der Wiederbelebung des 1987 eingestellten Trans-Europ-Express, kurz TEE. „Ein solches TEE-Netz für Hochgeschwindigkeits- und Nachtzugangebote kann bis 2025 stehen, wir müssen den Einstieg jetzt schaffen“, drückt Deutschlands Verkehrsminister Andreas Scheuer verbal aufs Tempo. Taten müssen folgen, denn der Innovationsbedarf für einen TEE 2.0 ist ebenso groß wie der Investitionsbedarf. EU-weit gibt es unterschiedliche Strom- und Zugsicherungssysteme sowie Vertriebs- und Tarifgestaltungen. Ganz zu schweigen von fehlenden Hochgeschwindigkeitsstrecken gerade im Osten und Südosten des Kontinents. Auch wichtige Infrastrukturprojekte wie Stuttgart 21, die Fehmarnbeltquerung samt Bahnanschluss im Hinterland, die Deutschland mit Skandinavien verbindet, oder der für den Verkehr nach Süden wichtige Brennerbasistunnel warten noch auf die Fertigstellung. Und sie verschlingen Milliarden.
Mit dem Thalys zwischen Paris und Brüssel, dem Eurostar, der in 2:14 Stunden von Paris nach London rast, und dem immer enger zusammenwachsenden Hochgeschwindigkeitsnetz der Nachbarländer Spanien und Frankreich gibt es bereits funktionierende bilaterale Beispiele. Weitreichendere Linien wie Paris–Warschau oder Amsterdam–Rom könnten kurzfristig umgesetzt werden und ein bequemes interurbanes Reisen ohne Umsteigen ermöglichen. Andere Verbindungen wie Stockholm–München oder auch Paris–Budapest erfordern hingegen größere Infrastrukturmaßnahmen. Aber selbst wenn alle Magistralen stehen, alle Systeme reibungslos laufen und Durchschnittstempi von über 200 km/h erreicht werden: Transkontinentalfahrten über mehrere Ländergrenzen hinweg bleiben zeitaufwendig – und kostenintensiv. Daher dämpfen Kritiker die Erwartungen an einen wiederbelebten TEE. Gegen den steuerlich wenig belasteten Flugverkehr hätten nicht subventionierte Zugfernverbindungen kaum eine Chance im Preiskampf, sagt beispielsweise Walter von Andrian, Chefredakteur der Eisenbahn Revue.
Hydrail
ist der Oberbegriff für Züge, die Wasserstoff als Antriebsenergie nutzen. Anbieter Alstom hat den weltweit ersten „H-Zug“ 2018 in Betrieb genommen. Wettbewerber Siemens (Foto) will 2024 folgen. Wasserstofftriebwagen sollen langfristig Dieselloks ersetzen.
Dem Faktor Zeit könnte man auf Langstrecken mit mehr als acht Stunden Fahrzeit durch den Einsatz von Nachtzügen den Schrecken nehmen. Die Österreichische ÖBB und die Schweizer SBB haben bereits Pläne für den Aufbau eines europaweiten Nachtzugstreckennetzes vorgestellt. Auch dieses wird nicht ohne massive Subventionen auskommen. Den TEE muss man sich leisten wollen, so wie China sich sein attraktives, aber unwirtschaftliches Hochgeschwindigkeitsnetz leistet. Aktuell schreiben zwei Drittel der 18 CR-Strecken rote Zahlen.
Airlines wollen auf die Schiene
Dass die Bahn als schnelles Massentransportmittel auch vor dem Hintergrund des Klimawandels immer unverzichtbarer wird, haben auch Fluggesellschaften erkannt. Im Februar beschlossen der Luftfahrt-Dachverband IATA und die internationale Bahnorganisation UIC, Standards zu erarbeiten, um die Verknüpfung von Flügen und Zugfahrten einfacher zu gestalten. „Wir werden ein Produkt entwickeln, um nach London zu fliegen und zurück den Zug zu nehmen“, nennt KLM-Manager Boet Kreiken ein Beispiel im Fachmagazin „Aero Telegraph“. Langfristig könne er sich vorstellen, dass Fluggesellschaften kurze Distanzen komplett mit Zügen bedienen. Vielleicht werden es Hyperloop-Kapseln sein. Diese Highspeed-Züge sollen im Jet-Tempo mit bis zu 1.000 km/h durch Vakuum-Röhren rasen. Erste bemannte Fahrversuche haben begonnen. Kritiker der Technologie bleiben aber skeptisch. China und Japan pushen hingegen die in Deutschland geborene Innovation der Magnetschwebebahn. So soll der JR-Maglev ab 2027 die japanische Hauptstadt Tokio mit Nagoya verbinden. Mit einem Temposchnitt von weit über 500 km/h braucht der Zug für die 286 Kilometer Strecke 40 Minuten. Bis 2037 soll der Ausbau bis Osaka erfolgen. Angepeilte Fahrzeit 67 Minuten – halb so viel wie aktuell mit dem Shinkansen. Bon voyage!
3 Fragen an …
Dr. Michael Holzapfel, Leiter Branchenmanagement Bahn bei Schaeffler
Welche großen technischen Herausforderungen kommen auf die Bahn zu?
Auf die Schiene wird wesentlich mehr Verkehr zukommen. In Deutschland zum Beispiel politisch angestrebt 100 Prozent mehr Personen- und 25 Prozent mehr Güterverkehr. Erwartungsgemäß wird die Zahl der Schienenfahrzeuge nicht proportional mitwachsen. Also müssen die Bestandszüge intensiver und länger genutzt werden. Auch die Antriebsleistung wird steigen, um eine höhere Taktung und Ausladung zu erzielen. Für uns als Komponentenhersteller hat das zur Folge, dass wir Produkte anbieten müssen, die noch langlebiger sind, einen noch intensiveren Betrieb erlauben, noch längere Wartungsintervalle haben und obendrein noch kompakter sind, weil man mehr Platz für Fahrgäste oder Ladung haben will. Bei diesem Anforderungsprofil wird ein Wälzlager schnell zum Hightech-Produkt.
So lange Züge auf der Schiene fahren, wird es Wälzlager geben.
Dr. Michael Holzapfel
Wie will Schaeffler den wachsenden Anforderungen gerecht werden?
Mit unserem Wissen um Materialien, Umformung und Oberflächenbearbeitung wollen wir die Entwicklung weiter vorantreiben. Auch dort, wo wir bereits einen Wettbewerbsvorsprung haben. Ein Beispiel: Für Eisenerz-Züge in Australien liefern wir Wälzlager, die eine Achslast von 45 bis 50 Tonnen ermöglichen. Das ist doppelt so viel, wie aktuell in Europa gefordert ist. Aber in Australien sind diese Dimensionen wichtig, um die Züge wirtschaftlich betreiben zu können.
Schaeffler setzt auch bei der Bahn immer mehr auf mechatronische und digitale Angebote – weil Sie das Ende des Wälzlagers kommen sehen?
Überhaupt nicht. Produkte wie unsere Condition-Monitoring-Lösungen oder auch der Radsatz-Generator sind ein zusätzliches Angebot für unsere Kunden, das diese auch sehr gut annehmen. Aber so lange Züge auf der Schiene fahren, wird es Wälzlager geben. Selbst ein Hyperloop stellt in seiner Vakuum-Röhre Kontakt für die Spurführung her und braucht daher Wälzlager.